Bürgerregistrierung in Indien: Mit „Big Brother“ gegen Korruption
Die indische Regierung will alle Menschen im Land registrieren. Das soll Arme vor Korruption schützen, bringt aber auch Datenschutzprobleme mit sich.
DELHI taz | Eigentlich sollte es ein Projekt für die Armen sein, doch jetzt sollen alle mitmachen: Bis zum 31. März sind sämtliche Bürger Delhis aufgerufen, sich bei der neuen staatlichen Registratur-Behörde Aadhar anzumelden. Aadhar bedeutet „zuverlässig“ auf Hindi. 94 Prozent der Delhier haben sich angeblich schon bei Aadhar registrieren lassen. Nun sollen die restlichen 6 Prozent noch in dieser Woche folgen. „Unter Aadhar werden in Zukunft die meisten Sozialleistungen unserer Stadt verteilt werden“, kündigte Delhis Gouverneurin Sheila Dikshit an.
Die Rede ist von dem größten digitalen Bürgerregistrierungsprojekt der Welt. Ins Leben gerufen wurde es 2009 von einem der Helden des indischen Software-Booms. Nandan Nilekani, Gründer des Software-Riesen Infosys, trat damals in die Dienste der indischen Regierung, um – anfangs nur mit ein paar Dutzend Supertechnikern – alle armen Inder datentechnisch zu erfassen.
Nun ist es so weit. In 51 von 640 Distrikten läuft das Projekt an. Schon sind 300 Millionen Inder unter Nilekanis neu geschaffener Aadhar-Behörde registriert. Sie müssen dafür Finger und Iris scannen lassen und die Daten zu ihrer Person, auch die E-Mail-Adresse angeben. Dann bekommen sie ein paar Wochen später ihre Aadhar-Karte, die wie eine Kreditkarte funktioniert. Jeder Bürger erhält sogleich seine Aadhar-Identifikationsnummer, die ihm ermöglicht, ein Bankkonto zu eröffnen, und darauf, falls er dazu berechtigt ist, Sozialleistungen zu beziehen.
So bekommen heute schon viele arme Witwen in den Pilotprojekt-Bundesstaaten Andhra Pradesh und Maharashtra ihre Witwenrente über 200 Rupien im Monat (umgerechnet 3 Euro) zu jedem Monatsbeginn auf ihr Bankkonto, das sie mit Hilfe ihrer Aadhar-Nummer angelegt haben. Das ist der Idealfall. Er bewahrt die Witwen vor der bislang üblichen Korruption.
Denn vorher bekamen sie ihre Rente meistens nur alle drei Monate und dann mit einem vorgeschobenen Steuerabzug der lokalen Behörde ausgezahlt. Oft blieb dann nicht viel vom Gesamtbetrag übrig. Genau deshalb wurde Aadhar erfunden: Damit die Leistungsberechtigen an der Basis wirklich in den Genuss ihrer Ansprüche kommen. Insgesamt hat der indische Staat bislang Sozialleistungen in der Höhe von umgerechnet 500 Millionen Euro auf Basis der Aadhar-Nummern ausgezahlt.
Sturm auf die Registrierungsbüros
Die Regierung in Delhi will das System nun so schnell wie möglich ausbauen: Denn je mehr Aadhar-Gelder bis zum nächsten Wahltermin im Frühjahr 2014 vergeben werden, desto mehr Stimmen hofft die regierende Kongresspartei zu gewinnen. Auch deshalb gibt Delhis Stadtchefin Gas. Sie ist natürlich Mitglied der Kongresspartei.
Doch je schneller es gehen soll, desto weniger werden Kritiker gehört. Das führte in der südlichen Metropole Hyderabad kürzlich zu Straßentumulten, weil die Leute die Aadhar-Büros stürmten. Sie wollten rechtzeitig registriert werden, um an ihre staatlichen Kochgas-Ermäßigungen heranzukommen. Denn immer mehr staatliche Leistungen, die für die Armen wie die Mittelschicht bestimmt sind, sollen nun über Aadhar fließen und Stimmen einbringen.
Das neue System aber ist damit überfordert, warnen Kritiker. Auch Datenschutzexperten sind besorgt. Bei der Registratur waren in den letzten Monaten zahlreiche Fehler vorgekommen, die auf mangelnde Datensicherheit schließen ließen.
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