Grüner Finanzexperte über Zypern: „Der Finanzsektor muss schrumpfen“
Nach einem Besuch rechtfertigt Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick die harte Lösung. Für umso wichtiger hält er nun Hilfen für den Strukturwandel.
taz: Herr Schick, Sie waren gerade mit dem Finanzausschuss des Bundestages auf Zypern. Angeblich braucht die Insel nun 6 Milliarden Euro mehr Hilfsgeld. Die Regierung hat ihren Bedarf auf rund 23 Milliarden Euro beziffert. Ist das begründet?
Gerhard Schick: Ich halte die höhere Summe für plausibel, kann das aber im Einzelnen bisher nicht nachvollziehen.
Wenn es sich als notwendig erweisen sollte – würden Sie der zusätzlichen Summe am kommenden Donnerstag im Bundestag zustimmen?
Das hängt davon ab, ob die Lösung tragfähig erscheint. Einfach zusätzliche Kredite draufzusatteln würde das Problem nur in die Zukunft verschieben.
Wie ist die Lage der Bürger und Unternehmen auf Zypern?
Soweit wir das sehen konnten, machen viele Geschäfte bald zu. Auf Schildern werden Preisnachlässe zum Räumungsverkauf angeboten. Zahlreiche Läden sind bereits geschlossen. An Geldautomaten bekommt man nur 300 Euro pro Tag, größere Überweisungen müssen genehmigt werden. Das ist eine enorme Belastung für Unternehmen, die Rechnungen und Löhne bezahlen wollen. Wenn solche Maßnahmen länger anhalten, geht auch die gesündeste Ökonomie vor die Hunde. Würden die zypriotische Regierung und die Eurogruppe ein sinnvolles Krisenmanagement betreiben, müsste das alles nicht geschehen.
Der 43-Jährige ist Vizevorsitzender des Finanzausschusses im Bundestag. Der grüne Volkswirt ist Wirtschafts- und Finanzexperte und gehört zum linken Parteiflügel.
Wohin führt das? Müssen wir damit rechnen, dass auf der Insel die Arbeitslosigkeit wie in den Krisenländern Griechenland und Spanien auf 25 Prozent und mehr steigt?
Die Prognosen der Troika – Zentralbank, Euro-Gruppe und Internationaler Währungsfonds – sagen, dass die Erwerbslosigkeit dramatisch zunehmen wird. Ein Grund: Die Wirtschaft der Insel ist auf den überdimensionierten Finanzsektor konzentriert. Dieser muss nun schrumpfen. Umso wichtiger sind jetzt konkrete europäische Hilfen für den Strukturwandel, gerade bei den erneuerbaren Energien.
Sie befürworten, dass eines der beiden größten Finanzinstitute des Landes, die Laiki-Bank, komplett geschlossen wird. Warum?
Seit Beginn der Krise haben sich die europäischen Regierungen meist dafür entschieden, die Schulden der Banken durch staatliche Institutionen zu übernehmen oder abzusichern. Dies belastet die öffentlichen Finanzen mit vielen Milliarden Euro. Warum letztlich die Steuerzahler für die Fehler der Banken haften sollen, ist überhaupt nicht einzusehen. Deshalb ist es richtig, ein verschuldetes Institut wie Laiki zu schließen.
Die Bankenabwicklung zerrüttet die Wirtschaft der Insel, wie Sie gerade selbst argumentieren. Und warum soll es richtig sein, die Zyprer in ihrer Rolle als Steuerzahler zu schützen, aber als Besitzer von Sparkonten zur Kasse zu bitten?
Die zyprischen Banken haben in den vergangenen Jahren viele Kapitalanleger angelockt, durch hohe Zinsen und steuerliche Vorteile. Die großen Guthaben werden nun herangezogen, um die Schulden der Banken zu finanzieren. Das ist vertretbar. Die kleineren und mittleren Sparguthaben bis 100.000 Euro sind ja geschützt.
Sehen Sie in der Bankenabwicklung auf Zypern einen grundsätzlichen Wandel der Politik gegenüber Finanzinstituten?
Ja, die Herangehensweise ändert sich allmählich. Aber wie die neue Strategie umgesetzt wird, ist katastrophal. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister verhindern seit vier Jahren, dass ein europäischer Fonds zur Bankenabwicklung eingerichtet wird, den die Finanzbranche selbst füllt. Gäbe es diesen, hätten die Probleme viel früher und ohne große Verunsicherung der Sparer europaweit gelöst werden können. Auch die Belastung für Bankkunden und Firmen wäre geringer.
Warum will die Bundesregierung das nicht?
Der alte Fehler. Man meint, Deutschland und die deutsche Wirtschaft davor zu bewahren, zu viel Geld für andere Länder zu bezahlen. Dabei wären die Kosten für uns geringer, wenn Europa funktionsfähige Strukturen hätte.
Leser*innenkommentare
@joy
Gast
In Zypern hatten aber genau die Leute Geld auf dem Konto, die eben keine Staatsrente beziehen, "konservativ" Sparende, und abgesehen davon steht die Staatsrente jetzt in den Sternen, weil genau die auf den betroffenen Banken lag.
Interessant ist wie ein rausgedisster Chef der Bank auf Cyprus sieht wie seine funktionierende Bank sturmreif geschosssen wurde:
http://www.griechenland-blog.gr/2013/04/wahrheiten-und-luegen-ueber-bankenkrise-in-zypern/12774/
carlosss
Gast
"carlos", nimm mich mit zu den Luxusgütern, bitte, ich hab die Schnauze voll von dem ewigen Second-Hand. Gib dir einen Ruck!!!
Kernproblem übersehen
Gast
Und wieder einmal kein Wort von einem Politiker über ein Ende der Staatsverschuldung in der EU als Motor der Wirtschaft. Wie lange soll dieser Blödsinn noch fortgesetzt werden?
joy
Gast
@Dingsda
100.000 EURO an Alterssicherung pro Person
+ die staatliche Rente sind erst einmal noch kein
Notstand. Damit machen sie sich lächerlich.
Wenngleich man aber natürlich auch fragen muss, gibt
es eine Lösung die das Vermögen aller EU-Bürger
und aller Zyprioten maximal schont.
Und die gibt es: Zinsverzicht auf die letzten
5 Jahre nach der Finanzkrise von 2008.
Dann garantiert wäre Zypern aus dem Schneider.
Und wahrscheinlich wäre nur eine Zinszicht von
3 Jahren nötig, um die Banken restabilisieren.
Diese Lösung wäre richtig. Die Vermögenskappungen
und der ESM sind absolut nicht notwendig.
Eine stärke Millionärs und v.a. Millardärsbesteuerung hätte auch Abhilfe bringen können. Aber zumindest stellt sich die EU im Fall
Zypern schlauer an, als im Fall Griechenland.
Fazit: Ein evolutionärer Denkprozess ist konstatierbar! Eine ordentliche Lösung war das aber
immer noch nicht! Die Unreflektiertheit eventueller
Finanzusagen und Schuldenvervielfachungen,
die Herr Schick so hinnimmt und die Diskussionsfeindlichkeit bezüglich alternativer
Lösungsstrategien kotzt mich an.
Im Geist besteht der Bundestag, gerade unter
den jüngeren Mitgliedern, viel zu sehr aus Angepaßten Leuten mit Mamakomplex.
So macht sich eine Generation zu Witzfiguren.
Zeigt endlich einmal, dass Ihr Euer Geld wert seid
und erarbeitet Lösungsalternativen und ringt
um die besten Lösungen und nicht ums Renommee oder
um die größte Stromlinienförmigkeit!
Zypern hatte bis vor kurzem mehr als genug
Kapital, wenn die Zyprioten es unbesteuert einfach
abziehen lassen, ist dies ein Verbrechen!
Denn letzlich werden dadurch nur die Geberländer
belastet. Während die Multimillardärs und Multimillionärskonsortien in der Welt um ein
Vielfaches bereichert weiterziehen, deren Gesamtgewinne übersteigen etwaige Exporterlöse
irgendwelcher Länder um ein gigantisches Vielfaches.
Für wie lange will man die Menschen noch für
blöd verkaufen?
jochen
Gast
Globale Lösungen oder "europäische Lösungen"
bedeuten ein Anlauf und der muss dann unbedingt
funktionieren, für alle Regionen, unter allen Umständen. Wann hat das jemals funktioniert???
Was im normalen Leben funktioniert überhaupt schon auf
Anhieb, wenn es hinreichend komplex ist?
Und wie schlimm wird die Sache, wenn sich herausstellt das es nicht funktioniert.
Was für Machtbefugnisse geben wir dabei mit ab?
Es wird katastrophal.
Wieviel Routine für solche Operationen gibt es?
Keine!!! Sie zocken mit der Zukunft der gesamten
europäischen Zivilisation und haben überhaupt keine
Ahnung, nur die Tollkühnheit und Unverfrorenheit mit
fremder Leute Staatsrechte und Vermögen zu pokern.
Und deshalb wollen nun viele Menschen ihre gewohnten Verhältnisse wieder zurück! Außerdem wollen wir die monetäre Macht
nicht in EU-Hände abgeben und von Berlin und nicht
von Brüssel regiert werden!
Sie unterliegen der Fehleinschätzung der eigenen
Unfehlbarkeit und das macht sie zur Belastung!
carlos
Gast
Die 300 €, die pro Tag ausgezahlt werden können
pro Bankkunden, sind nicht wirklich das Problem.
Das läßt sich noch sehr gut umschiffen, indem
selbst mittelständische Unternehmen über
ihre vielen Mitarbeiter verteilt eben in
einer Art crowdfunding die nötigen Überweisungen
tätigen auf eine Woche z. B. hingestreckt.
Und auch die Löhne könnte man täglich statt
monatlich überweisen. Also das Argument zieht nicht
wirklich.
Was problematisch ist, ist das Unternehmen der Realwirtschaft, die ihr gesamtes Geld
in zypriotischen Banken gebunkert haben nur 100000
Euro Kapitaldeckung gesichert bekommen.
Das ist strunzdumm. Natürlich kann man die
hohen Kapitalsummen niemals losgelöst von
dem realpolitischen Nutzwert betrachten und
da ist der Kapitalschutz eines Realunternehmers
wichtiger und schutzbedürftiger als der
eines Kanzleiinhabers oder einer Fachboutique,
eines Bankmanagers.
Großkapitalrücklagen von Krankenhäusern sind
wichtiger als die von Segelschulen.
Warum können die Leute nicht ein Mindestmaß an
gesunden Menschenverstand investieren??
Wofür GENAU werden diese Mrd. eingefordert;
für welche Posten exakt???? Spekulationsgewinnler
müßten nicht bedient werden.
Und noch etwas: Die Kreditoasengeschäfte waren
in dem früheren Multiwährungseuropa der EU
viel sicherer, luxuriöser und langfristiger
als jetzt mit der EURO-Einführung.
Die Wirtschaftsoasen haben ihre große Jause gehabt, doch der Zahltag beginnt.
Sie müssten eigentlich bei kluger PolitikerINNENschaft selber wissen, dass sie sich mit dem EURO langfristig selbst nur schaden!!!!
Denn der Euro erzwingt Synergieeffekte
im Finanzwesen auf einen gleichgeschalteten
Finanzmarkt. Das ist eine Binsenweisheit!!!!
Und Europa wird der Verlust einer bürgerlichen
Elite aus dem Bankenwesen fehlen, denn er bedeutet
einen eklatanten Nachfragemangel nach Luxusgütern
und eine gesllschaftliche Erosion.
Leider sind aber diese Einserlinge und Topkarrieristen verschiedenster Kaderschmieden
einfach zu blöd und zu feige,um die Grundfesten
ihres Wohlstands zu verteidigen, der durch den EURO elementar bedroht ist. Und unsere Politiker sind zu blöd, um zu erkennen, das wir mit der Beibehaltung
des EUROs die wohlhabenden Kundenschichten der
EU zerstören. Das kann noch nicht einmal
im Interesse, der Großkonzerne sein. Die spielen
aber das Spiel, um noch möglichst viel vom Konkurrenzmittelstand auszumerzen, bevor das Ding
krachen geht oder weil auch diese wirklich, wirklich
unfähig sind, gerade weil sie "Topabsolventen" sind, denn die haben nur "Funkionieren" gelernt!
Peter Urban
Gast
Im Presseclub dazu wurde von den Journalisten - wie ich finde zu kurz - erwähnt, dass Deutschland fett an den Notkrediten verdient. Die haben die Verträge und wohl vor allem die Zinsen nämlich so besch... geschnitten. Ging das nicht kostenneutral? Wie soll das dann helfen? (Viele Reiche sponsern tolle Projekte mit Geld und Zinsen fast zum Nulltarif.)
Das ist wieder typisch dieses Merkel/Schäuble. Vielleicht hat die ja u.a. deswegen im Ausland Probleme?
Dingsda
Gast
Ich würde ja auch mal gerne auf Kosten der Steuerzahler nach Zypern reisen und dann so'ne Scheisse erzählen. Obwohl...? Wahrscheinlich wäre ich die ganze Zeit am Strand und in den Bergen, aber ich würde trotzdem was lernen und nicht diese Propaganda wiederkäuen. 100.000 bedeutet genau, daß kleine Firmen ihre Rechnungen und Löhne nicht bezahlen können und 100.000 bedeutet oft genug verloren gegangene Alterssicherung. Beim griechischen Schuldenschnitt wurde einfach ignoriert, daß neben griechischen Banken und Rentenkassen eben auch zypriotische betroffen waren, was damals "nur" 4 MRD bedeutete, ganz zu schweigen von der einen MRD, die das explodierte E-Werk kostete. Lustig wird dann wohl werden, wenn Zypern der NATO beitreten wird, vor allem weil für neue Energie Pläne eigentlich nur Platz im besetzten Norden ist. Warum sollte wohl die EU in der Richtung und überhaupt Wachstum fördern, wenn sie das in Griechenland auch nicht macht? Wind- und Solarparks werden das Land zerstören und für regional angepasste Energiekonzepte werden sich keine "Investoren" finden lassen. Für die Bevölkerung besteht somit die einzige Chance in Selbstorganisation, Lossagen vom Staat und Aufbau von Schattenwirtschaft.
Marsch, marsch
Gast
Am Grüne-Wesen muß die Welt genesen. Sonst Friedenseinsatz.