piwik no script img

Nothilfe für Flüchtlinge„Verfehlte Flüchtlingspolitik“

Abschiebe-Moratorium verlangt: Die 300 Flüchtlinge aus Libyen sollen vorerst bleiben dürfen, fordern Grüne und Linkspartei. Senat soll europäische Lösung ausloten

Sollen nicht Fehler der EU ausbaden müssen, finden Grüne und Linke: Flüchtlinge aus Libyen : dpa

Ein Appell an den SPD-Senat: Die Grünen und die Linkspartei fordern in Übereinstimmung mit der evangelischen Nordkirche ein Abschiebe-Moratorium für die 300 in Hamburg gestrandeten libyschen Flüchtlinge. Den Männern solle ein befristetes Bleiberecht eingeräumt werden, hieß es am Dienstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. „Wir haben null Verständnis dafür, dass sich der SPD-Senat noch immer weigert, nach einer humanitären Lösung zu suchen“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller. „Eine Millionenstadt wie Hamburg muss es doch hinbekommen, diesen Menschen wenigstens eine Notunterkunft anzubieten, ohne gleich ihre Daten für eine Abschiebung zu erfassen.“

Die beiden Bürgerschaftsfraktionen sind sich darin einig, dass das Flüchtlingsproblem keine Hamburgensie ist: „Das von uns geforderte Moratorium eröffnet die Möglichkeit, auf Hamburg-, Bundes- und europäischer Ebene eine Lösung für das Flüchtlingsdrama zu erarbeiten“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider. Es gebe für den Senat keine Rechtfertigung, den Weg zu verstellen.

„Wir brauchen ein deutliches Signal an die Europäische Union und an die Welt“, sagte auch die flüchtlingspolitische Sprecherin der Nordkirche, Fanny Dethloff. Es sei keine Lösung, die Männer, die zum Teil in der St. Pauli Kirche am Pinnasberg eine vorübergehende Zuflucht gefunden haben, einfach in das Aufnahmeland Italien abzuschieben, sagt die Theologin. „In einer Woche stehen sie wieder vor der Tür.“

Um wen es geht

Die 300 Flüchtlinge stammen aus mehreren afrikanischen Staaten und hatten als Wanderarbeiter in Libyen gearbeitet.

Nach der Nato-Intervention gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi sahen sie sich 2011 dem Verdacht ausgesetzt, zu Gaddafis Söldnern gehört zu haben - und flohen sicherheitshalber.

Die EU versprach humanitäre Hilfe und nahm sie in Sammellagern auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa auf. Nach Angaben der Flüchtlinge statteten die italienischen Behörden sie später mit EU-Aufenthaltspapieren und einem Handgeld aus. Etliche der Männer reisten daraufhin nach Norden aus.

Im Winter 2012 landeten sie im Hamburger Notprogramm und leben seit April auf der Straße.

Seit Italien keine finanziellen Mittel zur Unterbringung von etwa 5.700 libyschen Bürgerkriegsflüchtlingen mehr von der EU bekommt, ist die Regierung in Rom dazu übergegangen, die Flüchtlinge mit EU-Aufenthaltspapieren auszustatten. Damit können sie in Nachbarstaaten ausreisen. Dort haben sie zwar ein befristetes Aufenthaltsrecht, aber keinen Anspruch auf soziale oder medizinische Versorgung. „Wir kriegen Anrufe von Personalbüros, die gern jemanden einstellen würden“, sagt Dethloff: Obwohl viele der Betroffenen eine handwerkliche oder gar akademische Ausbildung besitzen, fehlt ihnen die Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt eine Arbeit anzunehmen.

Auch einen Asylantrag in Hamburg zu stellen, ist den Männern verwehrt: Nach dem „Dublin II“-Abkommen kann ein Antrag nur in dem Land gestellt werden, in dem ein Flüchtling zuerst europäisches Territorium betreten hat.

Im Falle der 300 Männer, die über Italien aus Libyen kamen, scheut sich der Senat bislang, eine Ausnahmeregelung in Form eines Bleiberechts auszusprechen: Aus Sicht der Hamburger bestünde die Gefahr, dass Italien und Griechenland dann weitere Flüchtlinge schickten.

„Wir fordern das Abschiebe-Moratorium, um Zeit für die Suche nach einer Lösung zu gewinnen“, sagt die Grünen-Abgeordnete Möller. Hamburg könne nicht allein die Probleme lösen, die durch Jahrzehnte verfehlte europäische Flüchtlingspolitik entstanden seien. „Dennoch darf sich der Senat nicht auf reine Ordnungspolitik zurückziehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen