Brasiliens Nationalelf vor Confed Cup: Einsamer Identitätsstifter
Die Fußballfans fremdeln mit der verjüngten Seleção. Weil es ihr an individueller Klasse fehlt, richten sich alle Hoffnungen der Brasilianer auf Neymar.
RIO DE JANEIRO taz | Die Flughäfen sind geschmückt, die Stadien fertiggestellt, und im Hintergrund wird allerorts in der Stadt gebaut. Auch wenn viele Bauarbeiten erst im letzten Moment beendet wurde, scheint Brasilien für die kommenden Großereignisse, beginnend mit dem Confederations Cup an diesem Wochenende, bereit zu sein. Eine Großbaustelle indes bleibt: das Nationalteam. Es gibt durchaus Zweifel, ob die Seleção schon reif für große Titel ist.
Auffallend zurückhaltend äußern sich die Brasilianer vor dem Testlauf für die Fußball-Weltmeisterschaft über ihren eigentlichen Nationalstolz. Es ist eine junge, den Brasilianern teilweise noch fremde Mannschaft. Kein Ronaldinho, kein Kaka, kein Lucio, nicht mal Robinho oder Pato haben in ihr noch Platz. Mit diesen Spielern gewann Brasilien zumindest die letzten beiden Auflagen des Confederations Cup, auch wenn die folgenden Weltmeisterschaften jeweils im Viertelfinale endeten.
In seiner glorreichen Fußballvergangenheit hatte Brasilien stets Superstars, das Land liebt die glänzenden Individualisten, für die es überall bewundert wird. Sie stiften Identität und Stolz. Der aktuellen Generation fehlt diese unantastbare Klasse.
Ein Grund, weshalb sich alles auf den Hoffnungsträger fokussiert, obwohl auch der nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Überdimensionale Werbeplakate schmücken Hochhäuser in Rio, und das Fernsehen kennt zurzeit nur einen Helden: Neymar. Auch wenn er einfach nur für einen Gag über seine vielen Frisuren herhält, um für ein Auto zu werben.
Die Kritiker bleiben skeptisch
Zu leicht, zu weich, lautet bislang das europäische Urteil über den 21-jährigen Stürmer vom FC Santos mit dem verschmitzten Jungengesicht. Weder bei den Olympischen Spielen im vorigen Jahr noch bei den zahlreichen Testländerspielen konnte Neymar die Kritiker restlos überzeugen. Doch auf der anderen Seite ist dieser Neymar unbestritten hochtalentiert, wie nicht nur seine zahlreichen Tricks auf YouTube zeigen.
Dem FC Barcelona waren diese Tricks 57 Millionen Euro Ablöse wert, und auch Pep Guardiola soll sich für seinen Einstieg beim FC Bayern München eigentlich Neymar – nicht Mario Götze – als Willkommensgeschenk gewünscht haben.
Geschichte: Seit 1997 lässt die Fifa den Konföderationenpokal ausspielen. Seit 2001 findet er immer ein Jahr vor der WM im Land des Gastgebers als Generalprobe statt. Qualifiziert sind der Gastgeber, der Weltmeister Spanien und die jeweils amtierenden Kontinentalmeister. Der sportliche Stellenwert des Confed Cups gilt bis heute als gering. Rekordsieger ist Brasilien mit drei Titeln vor Frankreich (2) und Mexiko (1).
Modus: Gespielt wird in zwei Vierergruppen. Die beiden jeweils bestplatzierten Teams erreichen das Halbfinale. Das Finale findet am 30. Juni in Rio de Janeiro statt (24 Uhr MESZ).
Teilnehmer: In der stärkeren Gruppe A spielen Brasilien, Mexiko, Japan und Italien. Gruppe B besteht aus Spanien, Uruguay, Nigeria und Außenseiter Tahiti, das 2012 völlig überraschend Ozeanienmeister wurde und sein Debüt auf internationaler Bühne feiert.
Auftakt: Am Samstag trifft Brasilien auf Japan, Anstoß ist wie bei den meisten Spielen um 21 Uhr.
Fernsehen: ARD, ZDF und Sport1 übertragen 15 der 16 Spiele – nur für Uruguay – Tahiti müssen Fußballnerds ins Internet ausweichen.
Sollte es neben Neymar noch einen zweiten Namen geben, der Hoffnung versprüht, ist es der von Luiz Felipe Scolari, den in Brasilien alle nur Felipão nennen. Der neue alte Trainer, der Brasilien 2002 zum bis heute letzten Weltmeistertitel führte. Er setzt auf Spieler, die sich in Europa bewährt und durchgesetzt haben. Außer Topstar Neymar werden wohl nur Paulinho (Corinthians São Paulo) und Angreifer Fred (Fluminense, früher Lyon) aus der heimischen Liga in der Startformation spielen.
Scolari übernahm die Mannschaft erst vor wenigen Monaten von Mano Menezes. Der sollte nach dem Viertelfinal-Aus bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika eine neue Mannschaft aufbauen. Weil er aber weder die Copa America 2011 noch die Olympischen Spiele 2012 gewann, scheiterte er zwangsläufig in Brasilien, wo selbst ein Finale ohne Titel nichts zählt.
Entscheidend für Menezes’ Abgang war auch, dass sein größter Fürsprecher, der ebenso umtriebige wie umstrittene Verbandspräsident Ricardo Teixeira im vorigen Jahr wegen seiner Verstrickung in den Skandal um den Sportrechtevermarkter ISL zurücktreten musste. Scolari kam – angesichts seiner vergangenen Erfolge wurde sogar darüber hinweggesehen, dass er gerade mit dem Traditionsklub Palmeiras in die zweite brasilianische Liga abgestiegen war.
Nur drei sind übrig
Sportlich hat Scolari in seinen ersten Monaten den Weg von Menezes fortgeführt. Nur Torhüter Júlio César sowie Kapitän Thiago Silva und Rechtsverteidiger Dani Alves waren schon bei der WM 2010 dabei. Das deutlich verjüngte Team weiß bislang aber nur selten zu überzeugen. Da kam es gerade recht, dass im letzten Test vor dem Confederations Cup Frankreich mit 3:0 besiegt wurde – trotz eines schwachen Neymars.
Abseits des Trubels um Neymar haben mit Dante und Luiz Gustavo vom Champions-League-Sieger Bayern München nach langer Zeit mal wieder Bundesliga-Spieler eine realistische Chance auf einen festen Platz in der Selecão.
Vor allem Luiz Gustavo hat sich kurz vor dem Turnier mit zwei stabilen, starken Auftritten im zentralen Mittelfeld in die erste Elf gespielt. In Südafrika standen übrigens auch zwei Bundesliga-Spieler im brasilianischen Kader: Josué und Grafite vom VfL Wolfsburg. Allein das klingt, obwohl erst drei Jahre her, nach einer lange vergangenen Zeit.
Die Zukunft soll wieder Titel bringen – am liebsten glanzvoll, aber vor allem dann, wenn auch die Bauarbeiten in den Städten fertig sind: 2014.
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