Confederations Cup in Brasilien: Professionelle Amateure
Bei der 1:6-Niederlage gegen Nigeria hat Tahiti die Herzen der Zuschauer erobert. Nun vertraut man darauf, dass auch der nächste Gegner Anstand und Respekt zeigt.
BELO HORIZONTE taz | Wahre Heldengeschichten handeln immer auch von Schmerz. Insofern musste man am Montagabend im Estadio Mineirao nicht lange überlegen, wer sie gerade geschrieben hatte. Während Nigerias Trainer Stephen Keschi vor allem froh war, dass alle seine Spieler das Auftaktspiel gegen Tahiti nach einer kaum als solche zu bezeichnenden eineinhalbtägigen Vorbereitung schadlos überstanden hatten, schoben sich Marama Vahirua und Nicolas Vallar von Gegner Tahiti schweren Ganges durch die Katakomben.
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. „Das ist wie ein Sieg für uns“, fasste Vahirua die allgemeine Gefühlslage zusammen. Trotz ihrer Blessuren und trotz der 1:6-Niederlage.
Tahiti hatte soeben Geschichte geschrieben und seine Turnierziele bereits im ersten Auftritt übertroffen: Der Ozeanienmeister wollte sich mit Anstand und einem eigenen Treffer vom Confed Cup verabschieden. Obendrein hat er aber noch die Herzen der Zuschauer erobert.
Gegen Nigeria verkaufte sich die Mannschaft trotz zahlreicher Fehler, mit denen sie im Grunde vier der sechs nigerianischen Treffer extrem begünstigten, so aufopferungsvoll und teuer, wie es für eine Amateurmannschaft gegen einen Afrikameister eben möglich ist.
Die knapp 20.000 Zuschauer in der nur zu einem Drittel gefüllten Arena waren begeistert von den Inselkickern. Die Sympathien im Stadion waren schon vor dem Spiel klar zugunsten des krassen Außenseiters verteilt. „Noch in der Kabine habe ich meine Mitspieler gefragt: Hört ihr das?“, erzählte Vahirua, der einzige Profi im Auswahlteam der Toa Aito (Eiserne Krieger), nach dem Spiel mit noch immer ungläubig großen Augen.
Kampf mit den Tränen
Bis in die Katakomben waren die „Tahiti“-Rufe von den Rängen durchgedrungen – als sie die große Fußballbühne betrat, war die Mannschaft sichtlich überwältigt, viele Spieler und Betreuer kämpften mit den Tränen.
Seit ihrer Ankunft in Brasilien vor gut zwei Wochen hat die Abordnung der südpazifischen Insel, für die die Reise zum Confed Cup das größte Abenteuer ihres Lebens ist, beste Werbung in eigener Sache gemacht. Trotz der Lockerheit ihrer Auftritte hat sie ihrer Teilnahme eine immense Bedeutung verliehen: Nicht weniger als den gesamten Amateurfußball wollen sie würdig vertreten, betonte der hinreißende Trainer Eddy Etaeta mehrfach: „Wir mögen Amateurfußballer sein, aber wir haben uns professionell vorbereitet.“
Mutige Spielweise
Und so überraschten sie ihren Gegner einerseits mit einer gut einstudierten Taktik, andererseits mit einer doch durchaus beachtlichen, mutigen Spielweise. „Wir hatten einige Torgelegenheiten. Ehrlich gesagt, hätte ich das vorher nicht gedacht“, sagte Vallar, der auch stellvertretend für den Einsatzwillen stand.
„Ich hatte mich vor zwei Wochen am Oberschenkel verletzt, sollte eigentlich nicht spielen, aber kurzfristig ist ein Spieler krank geworden, da musste ich doch ran“, erzählt Vallar lächelnd. Im Spiel hatte er sich mehr als fünfzig Minuten sichtlich angeschlagen in die zahlreichen nigerianischen Angriffe geworfen.
Der verdiente Lohn war schließlich der Treffer von Jonathan Tehau. Zunächst rangen die Tahitianer um Fassung, dann jubelten sie unbändig im Kollektiv über das historische Tor, das dem 25-jährigen Verteidiger einen Eintrag in den Geschichtsbüchern gesichert hat.
Die Feldspieler zelebrierten eine gemeinschaftliche Hommage an ihre Heimat und imitierten ein paar Paddelschläge ihres Nationalsports Pirogue, mit dem Vahirua bereits über Jahre vor allem in Frankreich berühmt wurde.
Muschelkette und Wimpel
Die Auswahl der kleinen Insel hat die Teilnahme am Confederations Cup in Brasilien tatsächlich auch zu einer Staatsangelegenheit gemacht. Etaeta erzählt, dass in der Heimat eine Kabinettssitzung wegen des Spiels unterbrochen wurde. Und wo sich Profis sonst vor dem Spiel kurz die Hand geben, überreichten Tahitis Spieler den Nigerianern heimische Muschelketten und Wimpel.
Vier Fans haben Tahiti mit nach Brasilien begleitet: die Eltern von Kapitän Nicolas Vallar und Ersatztorhüter Mikael Roche. Doch im Estadio Mineirao waren bereits Dutzende Zuschauer in Rot-Weiß zu sehen, einige jugendliche Fans hatten sich sogar die Oberkörper in den Landesfarben der französisch-polynesischen Insel bemalt. Es ist nicht sonderlich abwegig, dass es morgen im historischen Fußballtempel Maracana noch ein paar mehr werden.
Dann wird Tahiti gegen die Übermacht Spanien noch größerer Außenseiter als eh schon sein, ein zweistelliges Ergebnis wird sich selbst dann kaum vermeiden lassen, wenn Spanien es nicht darauf anlegt: „Es ist sicher nicht ihr Ziel, uns vorzuführen“, betonte Trainer Etaeta zum wiederholten Male, der seine Spieler auf die Stimmung von 80.000 Zuschauern vorbereitete, indem er sie beim Training über Lautsprecher vom Band einspielen ließ.
Und er schob in Richtung seines spanischen Kollegen Vicente del Bosque eindringlich nach: „Ich habe ihn als sehr bescheidenen Menschen kennengelernt. Ich hoffe, er hat meine Worte gehört.“
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