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Online-Spiele sammeln SpendenSpielend Gutes tun

Onlinespiele sind beliebt und machen Spaß. Mit einigen kann man auch realen Menschen helfen. Doch die Spiele vereinfachen die Probleme auch stark.

Virtuell helfen heißt auch ein wenig real helfen: Online-Spiel „Half the Sky“. Bild: Games for Change

Das Spiel beginnt in einem Dorf in Indien und endet bei den Vereinten Nationen. „It’s your turn to hold up half the sky!“, steht im Begrüßungsfenster. Du bist dran. Unterstütze die Hälfte des Himmels. Das neueste Online-Spiel auf Facebook hat sich viel vorgenommen. Es will Menschen helfen, für die Armut kein Spiel ist.

Die virtuelle Inderin Radhika muss eine Reihe von Hindernissen überwinden, bis sie medizinische Versorgung für ihre Kinder bekommt, Schulgebühren bezahlen und mit dem Verkauf von Mangos auf dem Markt das Familieneinkommen sichern kann.

Die Spielenden können unterdessen ganz real für Radhika spenden. Wenn sie selbst kein Geld haben oder aufwenden wollen, können sie Mittel von Nonprofit-Organisationen freisetzen, die arme Menschen unterstützen. Je mehr Spenden sie sammeln, desto schneller helfen sie Radhika, ihr Ziel zu erreichen.

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das Computerspiel „Half the Sky“ wurde am vierten März weltweit gestartet, zunächst nur auf Englisch, später auch auf Französisch. Es ist das neueste Projekt einer Bewegung, die sich für die Rechte von Frauen stark macht, angeführt von Nick Kristof und Sheryl WuDunn, beide JournalistInnen der New York Times.

Aus dem wirklichen Leben lernen

Alles begann im Jahr 2009 mit der Veröffentlichung ihres Buches „Die Hälfte des Himmels: Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen“. Es folgte ein vierstündiger Dokumentarfilm, der auf PBS (Public Broadcasting Service, das amerikanische Pendant zu den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern in Europa) ausgestrahlt und innerhalb einer Ausstellung im Skirball Cultural Center von Los Angeles gezeigt wurde. Im nächsten Schritt baten Kristof und WuDunn die Nonprofit-Spielefirma Games for Change aus New York, ein Projekt für digitale Plattformen zu entwickeln, in dem die Lebenswirklichkeiten von Frauen aus aller Welt thematisiert werden.

„Man kommt einfach nicht an der Tatsache vorbei, dass überall auf der Welt viele Menschen gerne spielen“, sagt Kristof in einem Interview. „Ich war neidisch und dachte, warum entwickeln wir nicht ein Spiel, in dem sich die Leute mit den Themen beschäftigen, die uns wichtig sind?“

Impact Journalism Day

Der Impact Journalism Day ist eine von der Medienplattform „Sparknews“ angestoßene Kooperation von weltweit 22 Zeitungen. Die Redaktionen verpflichten sich, in drei Sprachen Artikel zu liefern, die kreative Möglichkeiten aufzeigen wie weltweite Probleme gelöst werden können. Zudem verpflichtet sich jede Redaktion, eine gewisse Anzahl von Artikeln zu veröffentlichen. Dieser Text kommt von Sparknews.

Und es funktionierte. „Half the Sky“ sprach von Anfang an überall auf der Welt neugierige und engagierte Leute an.

„Es ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man aus dem wirklichen Leben lernen kann“, sagt Nandita Vij Tandan, eine ehemalige Fernsehjournalistin, die mittlerweile in Paris als Redakteurin im Bildungsbereich arbeitet. „Man lernt, was für Probleme Leute in armen Ländern haben, wenn es um den Zugang zu Bildung geht, man lernt, welche Rolle die Gemeinden spielen und was beispielsweise Micro-Kredite sind.“

Wasserplündern als Spiel

Nick Kristof sagt, ihr Ziel sei gewesen, Leute zu bekehren, denen zum Beispiel die Bildung von Mädchen oder der Sexhandel „völlig schnuppe“ gewesen seien. Mit ihrem Buch „Die Hälfte des Himmels“ hätten sie bereits ihre „Gemeinde“ erreicht, also diejenigen, die sich für die angesprochenen Themen interessierten.

Asi Burak, der Mitbegründer von Games for Change, betrachtet Kristof und WuDunn als Pioniere. „Sie haben begriffen, dass sie nicht viel bewirken, wenn sie auf der sicheren Seite bleiben und den bereits Bekehrten predigen.“

Auch Burak selbst ist ein Pionier. Im Jahr 2004 hat er gemeinsam mit Michelle Byrd eine Nonprofit-Firma gegründet, die „Spiele mit gesellschaftlichem Bezug“ entwickelt. Darin geht es zum Beispiel um den Nahost-Konflikt, den Bürgerkrieg in Syrien, Aids-Prävention und erneuerbare Energien.

Auch andere Nonprofit-Organisationen haben sich in die Welt der Spiele begeben und kooperieren mit Facebook und Zynga, einer Firma für Computerspiele.

Im vergangenen November entwickelte die Organisation „Water.org“, die von Gary White und dem Schauspieler Matt Damon gegründet wurde, das beliebte Facebook-Spiel FarmVille2, das sich mit der Plünderung der weltweiten Wasserreserven beschäftigt.

Die Welt vereinfacht

Das Spiel ermöglicht über eine digitale Oberfläche einen Einblick in bäuerliches Leben und wird jeden Tag von mehr als 8 Millionen Menschen gespielt. Sie „kaufen“ Benzinkanister, Pumpen und Berieselungsanlagen, die im Spiel zu wertvollem Wasser werden und den Spielenden ermöglichen, mehr Nutzpflanzen anzubauen. Die virtuellen Dinge werden dann über Zynga oder Facebook an Water.org gespendet.

Ken Weber, Geschäftsführer von Zynga behauptet, dass durch die digitalen Anstrengungen der Spielenden weltweit mehr als 16.000 Menschen lebenslangen Zugang zu sauberem Wasser erhalten.

Wegen der guten Erfahrungen mit Zynga und der enormen Reichweite wählte das „Half the Sky“-Team Facebook als Träger seines Spiels. Außerdem beteiligt sich ein französisch-kanadischer Spieleentwickler, der zwar für den kommerziellen Markt arbeitet, aber offenbar auch soziale Verantwortung verspürt, an dem Projekt.

Der Kritik, dass sie mit ihren Spielen die tatsächlichen Entwicklungsprobleme vereinfachen und in die digitale Welt verlagern, ist sich das Games-for-Change-Team bewusst. „Natürlich ist im Spiel vieles einfacher, als es in der wirklichen Welt wäre. Aber es geht darum, Lösungen und Möglichkeiten aufzuzeigen“, sagt Burak. „Das ist der Schwerpunkt unseres Spiels.“

Wissen, wofür man spendet

Spielende können zum Beispiel eine Organisation unterstützen, die Operationen von Scheidenfisteln finanziert – ein in Entwicklungsländern häufig auftretendes gynäkologisches Problem. Oder eine Organisation, die bäuerliche Gemeinden mit niedrigem Einkommen durch Hilfen bei der Landwirtschaft und der Viehzucht unterstützt. Oder man kann Bücher an Room-to-Read spenden, eine Nonprofit-Organisation aus San Francisco.

Im Verlauf des Spiels bewegen sich die Spielenden je nach erreichtem Level von Indien nach Kenia, nach Vietnam und Afghanistan, bis sie schließlich in den USA landen. Dabei können sie Mittel von Sponsoren freisetzen.

„Viele Menschen spenden Geld für eine gute Sache, wissen aber selten, wofür das Geld ausgegeben wird“, sagt Tandan in Paris. „In diesem Spiel wissen wir, wofür wir spenden, ob wir nun für Room-to-Read ein Buch kaufen oder Impfungen für Kinder finanzieren.“

Burak hofft, dass „Half the Sky“ zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt. Nach dem Debüt auf Englisch und Französisch möchte er es vor allem in den Entwicklungsländern bekannt machen, sodass die Menschen es dort in ihrer Sprache spielen können. Das wünscht er sich vor allem für Indien, wo aktuell heftig über die Rechte von Frauen und Mädchen diskutiert wird.

Da Spielen keine Grenzen kennt und kein Geld kostet, könnte das sehr gut möglich sein.

Aus dem Englischen von Heike Brandt

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1 Kommentar

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  • K
    kleinalex

    [..]dass sie mit ihren Spielen die tatsächlichen Entwicklungsprobleme vereinfachen[..]

     

    Solcherlei Kritik kann ich rein gar nicht nachvollziehen. Damit sie gerechtfertigt sein kann, muss es bei den Alternativen diese Probleme nicht oder in erheblich geringerem Ausmaß geben.

     

    - Drückerkolonne auf dem Marktplatz: Grob geschätzt erfährt der gemolkene, ääh, Spender wollte ich sagen hierbei etwa die selbe Menge an Informationen über die 'tatsächlichen Entwicklungsprobleme' wie in den ersten 3 Minuten des Spiels. Aber nur bei den besseren Drückern ist es so viel.

     

    - Zeitungsartikel zum Thema - schwankt zwischen "ein paar Stichworte in den Raum geworfen" und ein einzelnes Thema wird relativ gründlich (und mehr oder weniger einseitig) behandelt

     

    - Spenden-Veranstaltung im Fernsehen - zwischen ein paar Stichworte und ein kurzes Filmchen zum Tränendrüsendrücken

     

    etc.

     

    Ich wage folgende Behauptung aufzustellen: Wer dieses Spiel spielt, erfährt vermutlich erheblich mehr und deutlich tiefgehender über die 'tatsächlichen Entwicklungsprobleme' als mindestens 99% all derer, die im per definition 'gutem' Offline-Leben spenden.

     

    Und egal ob Online-Spiel oder Offline-Werbung - in jedem Fall besteht die Notwendigkeit, dass man sich unabhängig von den Werbenden einmal selbst intensiv mit den Themen beschäftigt. Offline aber m.E. im Schnitt sicher noch ein wenig mehr.