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Knapp überm BoulevardKunst kann beglücken!

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Der Klotz ruft: Ein Berg aus Styropor lädt in Wien zum Besteigen, Abgraben und Aushöhlen. Das erwachsene Publikum ist begeistert.

Die Gruppe Gelatin trotzt dem Styropor Bilder des Alpinen ab. Bild: Belvedere, Wien

W ann hatten Sie ihr letztes wirkliches Kunsterlebnis? Eben. Aber kürzlich habe ich es tatsächlich wieder erlebt: Kunst kann beglücken. Da hat die Gruppe „gelitin“ (die vielleicht auch „Gelatin“ heißt) einen haushohen weißen Block aus Styropor im Atrium des Wiener 21er Hauses aufgestellt, um eben diesen sechs Tage lang vor Publikum abzubauen. Angeseilt, so richtig mit Karabinern und allem – die Künstler bewegen sich ja in beträchtlicher Höhe –, versehen mit Eispickeln, Bohrern, Heißdraht und Messern werken sie auf diesem Berg.

Sie graben ihn ab, dringen in ihn ein, bohren Löcher – LOCH ist übrigens auch der Name des Events – und Hohlräume, die zu Gussformen für Gipsplastiken werden. Kurzum: Sie betreiben Bergbau, eine Tagebaumine vor Publikum, meinte ein Kommentator. Solch ein Bergbau in einem Land, das sich so massiv auf seine Natur beruft, wo die Alpen nicht nur ein natürliches, sondern auch ein kulturelles Zentrum sind, wo die Bergwelt ein eigenes und wesentliches symbolisches Universum bildet!

In so einem Land errichten „gelitin“ einen künstlichen Berg aus einem Material, dem so gar nichts Naturidentisches mehr anzuhaften scheint. Dieser künstlerische Berg ist eine eigene Art von „Nachbildung“: weder eine realistische – er sieht ja nicht aus wie ein Berg, sondern wie ein White Cube, der als Berg benutzt und abgetragen wird, noch eine abstrakte – das Ding steht ja da wie ein Klotz. Es markiert nicht nur einen Berg, es ist ein Berg in der Kunstwelt.

Daniel Novotny
Isolde Charim

ist freie Publizistin und lebt in Wien.

Zerhacken und zerlegen

Und wie sie da oben herumklettern, hantieren und unter großem Aufwand (und mit pionierhaftem Gestus) mehrfach mit Seilen versehene einzelne große Blöcke aus dem Styropor brechen und diese dann aus der lichten Höhe ganz langsam bis zum Boden abseilen! Am Boden machen sich dann Leute daran, diese Blöcke zu zerhacken, zu zerlegen, zu zerteilen – wie Goldschürfer, die den Stein zu durchdringen versuchen, auf der Suche nach dem Schatz, der in ihm verborgen ist.

Hier aber ist die Aktion des Zerlegens selbst der Schatz und irgendwann macht man mit, macht sich auch an den Block und versinkt im Styropor. Hier sieht man, wird die Museumsdirektorin später sagen, dass Kunst harte Arbeit ist – eine doppeldeutige Bemerkung. Denn das, was „gelitin“ unter großer Anstrengung in luftiger Höhe produzieren, sind vor allem Bilder: Sie haben dem Styropor Bilder des Alpinen abgetrotzt, Bilder einer Bergkultur, die über dem ganzen Land liegt und die hier, in dieser künstlichen, künstlerischen Natur wiederholt und freigelegt werden.

Wiederholt als Naturbilder, die statt der Ausgeliefertheit des Menschen an die Natur die Kontrolle des Künstlers übers Styropor setzen; freigelegt wird die Bergkultur, wenn die Bergarbeiter auch mal in zerrissenen Damenstrümpfen und mit roten High Heels auf die Blöcke einhämmern. Das ist alpinistisches Bildhauern und bildhauernder Alpinismus. Kurzum – das ist Kunst fürs Alpenvolk.

Man sieht nur lachende Gesichter

Damit zeigen „gelitin“, was Kunst im besten Fall kann – einen eigenen Raum herstellen. Man betritt das Museum und ist in einer anderen Welt, in einem Raum, in dem nicht Stein, sondern Styropor, kein Berg, sondern ein White Cube die Umwelt bilden, in dem das Abseilen der Blöcke (begleitet von Livemusik) zu einem wirklichen Ereignis wird – ein Raum also, völlig erfunden und entworfen, eine Freiheit hat und eine Freiheit eröffnet, die sich unmittelbar erschließt: Man kommt herein und ist sofort einfach glücklich.

Es macht nicht nur die Natur glücklich. Auch das Künstliche kann – wenn es denn künstlerisch ist – glücklich machen. Es geht offensichtlich allen im Publikum so, denn man sieht nur lachende Gesichter.

Am nächsten Tag kommt man dann wieder, um zu sehen, wie die Arbeit vorangegangen ist. Man kommt wieder, um zu sehen, ob der Berg schon abgetragen wurde. Vor allem aber kommt man wieder, um in diesen glücklichen Freiraum einzutauchen. Am Schluss habe ich zwei Trümmer geschultert und mitgenommen. Ich weiß gar nicht, ob man das durfte. Jetzt stehen sie jedenfalls bei mir zu Hause – zwei Skulpturen aus Styropor.

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2 Kommentare

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  • I
    Irmi

    Was ist das für ein Artikel, da klettern welche rum und machen was mit Styropor.

     

    Wow, was für ein Erlebnis.

     

    25.06.2013 18:16 UHR

    von anke:

     

    hallo Anke, ich gebe Ihnen recht, das es andere Dinge gibt die glücklich machen und das es sicher viele Menschen gibt die ein wenig Glück nötig hätten.

     

    Für andere wäre es schon Glück, wenn sie mal jemand in den Arm nimmt.

     

    Für andere wäre es Glück, wenn Frieden im Land wäre, Ihre Mütter nicht vergewaltigt würden, ihre Väter nicht getötet, ihre Brüder nicht in den Krieg gezwungen würden. Sie wären überglücklich könnten sie in eine Schule gehen und sich jeden Tag ein wenig ernähren, sie wären überglücklich gäbe es in ihrem Land nicht so viel Korruption und so viele Ausländer die nur ihre Erdschätze wollen statt dafür ehrlich und fair zu bezahlen wie in Kongo.

  • A
    anke

    Sie hatten also ein Kunsterlebnis, Frau Charim? Schön. Dann werden Sie vielleicht ein wenig besser als andere Leute verstehen, was ich jetzt schreibe.

     

    Gerade als Mensch, der schon am eigenen Leib, an der eigenen Seele erlebt hat, wie sehr Kunst beglücken kann, frage ich mich manchmal, wieso sie heutzutage (gefühlt) um ein Vielfaches öfter empören, schockieren, verstören oder kränken muss. Ist der moderne Mensch tatsächlich schon so glücksübersättigt, dass er nichts mehr dringender benötigt als ein Brechmittel? Muss er denn anno 2013 nicht mehr aufgebaut, geheilt und hochgehoben werden? Unwahrscheinlich! Wer, wie ich, auch nur die taz verfolgt, der weiß, dass es in diesem Land noch eine ganze Menge Leute gibt, die ein bisschen Glück ganz dringend brauchen würden. Nein, an einem Übermaß an Glück kann es nicht liegen. Als Antwort auf die vorstehend genannte Sinnfrage fällt mir eher das altbekannte, die Gesellschaft wie Blauschimmel durchziehende Muster auf: In ihrer Gier nach öffentlicher Wahrnehmung, Renommee und Geld benutzen einzelne "Künstler" die Emotionen ihrer Mitmenschen als Goldmiene. Sofern sich sie Besitzer nicht mit aller Kraft dagegen wehren, beuten sie die Gruben unter Einsatz giftiger Substanzen und Zurücklassung verödeter Landschaften bis zum Geht-nicht-mehr aus, um anschließend unbeschwert weiter zu ziehen zum nächsten Claim. Das Wort Kunstmissbrauch fällt mir in dem Zusammenhang mitunter ein. Und dann habe ich dieses gewisses Grummeln im Magen, das sehr leicht mit Wut zu verwechseln ist.

     

    Sagen Sie bitte, Frau Charim: Kennen Sie das Grummeln auch?