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PopDer Soundtrack für die neue Feier

Bei Moderat weiß man genau, welche Knöpfchen man drücken muss sowohl für eine exzessive Feierlaune als auch für atmosphärisch knisternde Electronica.

Auf dem neuen Album dieser Jungs tröpfeln die Beats bisweilen sanft wie ein Sommerregen Bild: Samuel John Butt

Folgt man dem Klischee, gibt es genau zwei Produzenten elektronischer Musik. Der eine ist ein Bastlernerd, der in seinem Wohnzimmer an vertrackten Beats und fantasievollen Klanglandschaften schraubt. Der andere ein Partytier, das nach einer DJ-Nacht im Hotelzimmer noch schnell einen endorphingedopten Bumbum-Track programmiert. So selten diese beiden sich diametral gegenüberstehenden Modelle tatsächlich in Reinform anzutreffen sind, so passgenau finden sie doch in Moderat zusammen.

Diese Verschmelzung ist nicht nur eine personelle. Auf ihrem neuen Album gelingt es Moderat, dem supergroupartigen Zusammenschluss des noch jedes Festival in Feierlaune rockenden Duos Modeselektor mit dem vergleichsweise zurückhaltenden Produzentenkollegen Apparat, auch musikalisch den vielleicht nur scheinbaren Widerspruch zu versöhnen.

Schlicht „II“ hat das Trio sein zweites Werk getauft, das am Freitag erscheinen wird und von dem man durchaus sagen kann, dass es nach dem großen Erfolg des Debüts vor vier Jahren sehnsüchtig erwartet worden war. Aus den römischen Ziffern spricht auch ein gewisses Selbstbewusstsein, für das die drei Berliner ihre guten Gründe haben. Sebastian Szary und Gernot Bronsert haben sich als Modeselektor vor allem im Ausland einen mittlerweile legendären Ruf erspielt, schon Remixe für Björk gefertigt und für Radiohead so erfolgreich den Einheizer gegeben, dass sich deren Sänger Thom Yorke als Fan outete und immer wieder für Kooperationen zur Verfügung stand. Sascha Ring, der unter seinem Pseudonym Apparat und mit melancholischen Soundskulpturen zum Liebling der Kritiker wurde, hatte vorher das legendäre Label Shitkatapult mitgegründet und mit seiner Band die Lücke zwischen Song und Track geschlossen.

Klientelarbeit im Einklang

Sie alle bei Moderat wissen also, welche Knöpfchen man drücken muss, um die jeweils eigene Klientel zu begeistern. Das Großartige an „II“ ist, wie es ihnen gelingt, diese unterschiedlichen Ansätze in Einklang zu bringen. Das war nicht immer so: Schließlich gab es bereits 2002 einen ersten Versuch der drei Freunde für eine Zusammenarbeit, der aber plattenlos wieder abgebrochen wurde. Als sie dann wieder zusammengefunden hatten und 2009 „Moderat“ erschien, standen die beiden Ideen – der bisweilen ins Exzessive lappende Feierwille von Modeselektor und die knisternde Electronica von Apparat – bisweilen noch zusammenhanglos nebeneinander oder entwickelten sogar einen durchaus reizvollen Kontrast.

Diese Reibung ist auf „II“ nun beinahe völlig verschwunden. Stattdessen ist eine musikalische Zwischenwelt mit Platz für das Beste aus beiden Seiten entstanden. Die Beats tröpfeln sanft wie ein Sommerregen, können aber auch eine erstaunliche Kraft entwickeln, bevor sie dann verschwinden, um Platz für reine Atmosphäre zu schaffen.

„Das ist eine Ü-30-Party“, hatte Bronsert schon anlässlich des Debütalbums frohgemut verkündet. Diese Aussage beinhaltete, dass die alte Party zwar vielleicht vorbei ist, dafür aber eine neue begonnen hat. Und Bronserts Einschätzung gilt erst recht für „II“. Die Stimmung ist lange nicht so schweißtreibend wie während eines Modeselektor-Auftritts, aber eben auch weit aufgeräumter als in den Songs, die Sascha Ring sonst schreibt, singt und aufnimmt.

Seine Stimme kommt weiterhin nur auf einigen der elf neuen Tracks zum Einsatz, nimmt aber eindeutig eine größere Rolle ein. Vor allem in „Bad Kingdom“ hat sie einen großen Auftritt: Ring beweist, dass auf seinen Stimmbändern auch der Soul zu Hause ist, während die Sequenzer gemütlich rattern und ein seltsames Quietschen dann doch verhindert, dass sich der Hörer allzu wohlig einrichtet in der Popseligkeit.

Wenige Minuten später erscheint in „Therapy“ die Stimme dann nur als ein im Computer modifizierter Fetzen, als geisterhaftes Wesen, als schemenhafte Erinnerung an den klassischen Soul. Man spürt die Vergänglichkeit des Moments, eine Gewissheit, die elektronische Musik bis heute immer noch allzu oft und allzu gern verweigert. Darüber sind der 35-jährige Ring und die beiden Familienväter Szary und Bronsert hinweg. Sie können gut damit leben, dass die eine Party vorbei ist. „II“ ist der Soundtrack für die neue Feier.

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