piwik no script img

Liebe zu KinofilmenHier geht's zur großen Liebe

Filme spiegeln die Sehnsüchte, Vorlieben und Ängste ihrer Zuschauer. Deshalb sind sie für Singles der perfekte Partnerschaftstest. Ich probiere es aus.

Die Antwort hierauf gibt es bestimmt – auf DVD und BluRay. Bild: reuters

Die große, wahre Liebe ist nur einen Filmabend entfernt. Das weiß ich, seit ich „Schlaflos in Seattle“ gesehen habe. Und das Beste daran: Um den passenden Menschen zu finden, muss niemand wie Meg Ryan eine nächtliche Radiosendung hören, in der einer wie Tom Hanks zögerlich von seiner verstorbenen Frau erzählt. Wer hätte gedacht, dass man beim Suchen und Finden der Liebe auch bequem sitzen und Popcorn essen kann? Aber der Reihe nach.

Vordergründig geht es in der romantischen Komödie ja um die Frage, ob Hanks und Ryan zueinanderfinden – entgegen aller Wahrscheinlichkeit und über Tausende Kilometer hinweg. Aber jeder gute Film ist mehr als die Summe seiner Drehbucheinfälle und Schauspielleistungen. Ein Meisterwerk bringt etwas in Menschen zum Schwingen, von dem sie oft selbst nicht wissen, was es ist. Es lässt sie ahnen, was sie fürchten und wünschen. So war es auch bei mir, als ich neulich „Schlaflos in Seattle“ guckte.

Es war später Abend, ich sah allein fern. Mehr brauche ich wohl kaum zu sagen, um klarzumachen, dass ich schlechte Laune hatte. Meine Freundin und ich hatten uns kurz zuvor getrennt. Im Fernsehen war gerade zu sehen, wie Sam (Hanks) nach dem Krebstod seiner Frau versucht, ins Leben zurückzufinden. In diesem Moment kommt Annie (Ryan). Sie will zu Filmbeginn ihren netten, aber langweiligen Freund heiraten. Annie redet sich ein, als Frau in den Dreißigern müsse sie ihre Träume von der großen Liebe aufgeben.

Das Buch zu den Filmen

Ab sofort ist Matthias Lohres zweites Buch im Handel: „Der Film-Verführer – Warum Frauen Action lieben und Männer Romantik wollen“ (Fischer/Krüger, 240 Seiten, 14,99 Euro). Darin beschreibt er die Wirkung von 16 bekannten Filmen auf Frauen und Männer. Er erklärt unter anderem, warum „Alien“ feministisch ist, und berichtet von einer Nahtoderfahrung namens „Sex and the City - Der Film“.

„Schicksal“, sagt Annie ihrer Mutter, „ist etwas, das wir erfunden haben, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert, reiner Zufall ist.“

Dingdong, die Liebe ist da

Ich legte die Fernbedienung aus der Hand. Genau, dachte ich, so ist es! Wir können nicht erwarten, dass der perfekte Mensch an der Tür klingelt nach dem Motto: „Dingdong, du hattest die große Liebe bestellt. Hier bin ich. Oh, du guckst ’Schlaflos in Seattle‘. Hast du noch Platz auf der Couch? Ich hab auch Choco Crossies.“

Wer die große Liebe finden will, muss etwas dafür tun. Aber was? Ich schaute auf die DVD-Hülle. Darauf stand: „Stell dir vor, jemand, den du nie getroffen hast, den du nie gesehen hast, den du nie kennengelernt hast, ist die Liebe deines Lebens.“(Okay, ich geb’s zu: Ich habe den Film nicht zufällig im Fernsehen gesehen, ich habe die DVD in der Videothek ausgeliehen. Bitte nicht meinen männlichen Freunden erzählen.)

Mir wurde klar, dass tief in mir große Unruhe herrschen musste, wenn eine romantische Komödie es schafft, mich so zu berühren. Die perfekte Frau für mich mochte da draußen sein, und ich saß zu Hause und hatte nicht mal Choco Crossies. Dann kam diese unscheinbare Filmszene:

Annie eilt zu ihrem Bruder. Sie ist verwirrt, ihr geht die Stimme aus der nächtlichen Radiosendung nicht aus dem Kopf: die Stimme des Witwers Sam.

Verliebte Neurosen

Annie fragt ihren Bruder, ob es sein könne, dass sie verliebt ist in einen Mann, den sie gar nicht kennt. Ruhig antwortet er: „Wenn du dich zu jemandem hingezogen fühlst, heißt das nur, dass dein Unterbewusstsein sich von dem anderen Unterbewusstsein angezogen fühlt – unterbewusst. Also ist das, was wir Schicksal nennen, das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen.“

Etwas in mir wusste: Das ist die Lösung der Probleme bei der Partnersuche. Dass ich nicht früher darauf gekommen bin! Dabei hatte ich die Antwort die ganze Zeit direkt vor meinen Augen.

Filme sind mächtig, weil sie uns Bilder einprägen können. Das gelingt ihnen aber nur, wenn sie dabei an etwas rühren, was bereits in uns schlummert. „Im Laufe eines Tages sind wir mehrmals in das Entstehen und Vergehen kompletter Seelenwelten einbezogen“, schreibt der Medienpsychologe Dirk Blothner.

Auch in alltäglichen Situationen geraten wir ständig „in die Dramatik von Gelingen und Verfehlen, von Sieg und Niederlage, Ordnung und Chaos, Treue und Verrat“. Im Büro gibt es Streit, jemand nimmt uns die Vorfahrt, der Blick eines Menschen auf der Straße irritiert uns. An das meiste erinnern wir uns bald nicht mehr. Das Unbewusste aber vergisst nicht, es kennt weder Vergangenheit noch Zukunft.

Grenzen kennenlernen

„Im Kino haben wir die dramatische Lebenswirklichkeit noch einmal vor Augen“, schreibt Blothner. „Wir möchten im freieren Raum der fiktionalen Unterhaltung ausprobieren, was wir uns im realen Leben nicht (zu)trauen. Wir benutzen das Kino, um zu erfahren, was uns lieb und teuer ist, und um unsere Grenzen kennenzulernen.“ Hier kommt „Schlaflos in Seattle" ins Spiel.

Annies Bruder Dennis sagt: „Was wir Schicksal nennen, ist das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen“ – unbewusst. Beim Sichverlieben verstehen zwei Menschen also gar nicht, was sie am Gegenüber so anziehend finden. Etwas in ihnen aber weiß es genau. Bekanntlich erweisen sich Beziehungen als besonders stabil, die auf Gemeinsamkeiten, nicht Unterschieden beruhen.

Wie aber lässt sich herausfinden, welche Neurosen, Ängste, Sehnsüchte und Vorlieben ein Mensch hat und ob sie zu meinen passen, ohne viel Geld fürs Bestechen seines Psychotherapeuten auszugeben? Jemanden direkt zu fragen nützt häufig wenig. Schließlich kennen die meisten Menschen sich selbst schlechter, als sie glauben. Und gegenüber anderen malen sie von sich oft ein Bild, das zu charmant ist, um wahr zu sein. Jetzt aber habe ich die perfekte Abkürzung zum Glück gefunden.

Meine Idee: Der effizienteste und kurzweiligste Partnerschaftstest, den es gibt, ist ein gemeinsamer Kino- oder DVD-Abend. Nichts verrät so untrüglich wie ein beiläufiger Blick in die Augen des Sitznachbarn, was diesen Menschen im Innersten bewegt. Lächelt er oder sie unwillkürlich im selben Moment wie ich? Oder gähnt da etwa jemand während meiner Lieblingsszene? Hält mein Date meinen Leinwandhelden für einen Trottel? Ein Kichern und ein Seufzen an der richtigen oder falschen Stelle sagen eine Menge aus. Auch ein Plausch über Filme verrät viel.

Ein Lügendetektortest zum dabei aufs Klo gehen

Ein Spielfilm ist wie ein Lügendetektor. Wir können ihn nicht überlisten, weil wir oft nicht mal ahnen, was das Leinwandgeschehen in unserem Unbewussten berührt. Ein Filmabend ist ein Lügendetektortest, bei dem man zwischendurch aufs Klo gehen kann.

Ich drückte auf die Stopptaste der Fernbedienung, auf dem Fernseher gefror das Bild des einsamen Tom Hanks, der nachts vor seinem Hausboot in einem Stuhl hockt. Anders als die Filmfigur stand ich auf. Ich warte nicht mehr aufs Schicksal. Das ist doch bloß etwas, was wir erfunden haben, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert, reiner Zufall ist.

Ich mache mich auf, die Frau fürs Leben zu finden. Ich werde gezielt Frauen kennenlernen und mit ihnen über Filme plaudern. Ich werde sie zum Kino- oder DVD-Abend einladen. Und ich werde schneller denn je verstehen, ob eine von ihnen wirklich zu mir passt. Wer die unbewusste Wirkung von Filmen begreift, der begreift auch die Charaktere derer, die sie schauen. Das Verständnis von Lieblingsfilmen ist der Königsweg zum Herzen moderner Menschen – Frauen wie Männer.

Womöglich ist die Liebe meines Lebens jemand, den ich nie getroffen habe, den ich nie gesehen habe, den ich nie kennengelernt habe. Doch Liebe überwindet derlei Kleinigkeiten. Hab ich im Kino gesehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • N
    Nagual

    Das sollte ich vielleicht auch mal versuchen.