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Kommentar Gewalt gegen MuslimbrüderPlan B für Ägypten

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Die Militärs versuchen, die Muslimbrüder als politische Kraft auszulöschen. Und scheitern damit. Es wird Zeit, dass sie politisch denken.

Auch die Muslimbrüder müssen protestieren dürfen, ohne ihr Leben zu riskieren Bild: dpa

gypten dreht sich im Kreis, seit vor über drei Monaten das Militär den Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi unter dem Jubel eines großen Teils der Bevölkerung weggeputscht hat.

Und doch lassen sich die Muslimbrüder und mit ihnen die Anti-Putsch-Bewegung nicht so einfach aus dem Weg räumen. Ausgerechnet am großen Festtag des Militärs, nämlich dem Jahrestag zum Oktoberkrieg gegen Israel, gingen sie massenhaft auf die Straße. Es waren die größten Demonstrationen gegen Militärchef Abdel Fatah al-Sisi seitdem die Protestlager der Muslimbrüder gewaltsam geräumt wurden, mit Hunderten von Toten.

Für die Muslimbrüder ist es ein Kampf von unten gegen oben. Gegen das Militär, gegen Polizei und Innenministerium sowie gegen eine Bevölkerung, die nun seit Monaten von den ägyptischen Medien gegen die als „Terroristen“ bezeichneten Muslimbrüder aufgehetzt wird.

Doch solange die Muslimbrüder von politischen Prozessen ausgeschlossen bleiben, wird keine Normalität in Ägypten einkehren. Das haben die Muslimbrüder inzwischen bewiesen. Es war erneut eine blutige Beweisführung mit vielen Toten, Verletzten und Festnahmen.

Egal, was man von ihnen politisch halten mag: Eine Organisation wie die Muslimbrüder, über 80 Jahre alt, mit mehreren Hunderttausend Mitgliedern und mehreren Millionen Anhängern kann nicht nur als Sicherheitsproblem behandelt und kriminalisiert werden. Der Schuss muss nach hinten losgehen. Das politisch vielfältige Ägypten braucht einen gesellschaftlichen Kompromiss zwischen den verschiedenen Strömungen.

Der bisherige Plan der Militärs, die Muslimbrüder als politische Kraft auszulöschen, geht nicht auf. Es ist allerhöchste Zeit für einen ägyptischen Plan B.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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6 Kommentare

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  • C
    CDZ

    in einer fernsehdebatte hab ich einen spannenden beitrag von einem islamwissenschaftler (ein nichteuropäer übrigens) gehört. und erstaunt festgestellt, daß es im koran sog. offenbarungen gibt, an die man sich als gläubiger zu halten hätte wie an die 10 gebote im christentum. und dann gibt es eine menge passagen, die im grunde eher historisch zu bewerten sind. und das wüssten die köpfe der islamisch regierten im grunde genommen alle.

    der rest ist perfide manipulation im sinne von "schäfchen ins trockene bringen" und macht vermehren wie in mitteleuropa unter den radikalten strömungen auch. nur daß die zum glück (noch) nicht so ausarten und aufgrund unserer demokratie besser abgefedert werden.

    also ich wäre auch gespannt uaf einen plan B

  • E
    Emma

    @ Karim El-Gawhary

    Danke für diesen kurzen, aber in Angesicht der vielen Todesopfer des Sisi-Regimes, wichtigen Beitrag.

     

    Ich frage mich bezüglich der Demonstrationen am 6.10. bspw. wie viel "Muslimbrüder" in diesen Demos, sowie in dem "Anti-Coup" Bündniss steckt. Wo sind die Progressiven geblieben, die gegen jede Diktatur, sei sie militärisch oder religiös-konservativ auf die Straße geht?

     

    Die CC-Liebe muss doch bei diesem Gemetzel irgendwann ein Ende haben...oder nicht?

  • In der Logik der Muslimbrüder kann ein Staat nur Blühen, wenn Allahs Segen auf ihm ruht und das geht wiederum nur, wenn der Staat streng den Grundsätzen des Islam folgt; je strenger, desto gesegneter. Jeder Kompromiss mit westlichen Gesellschaftsmodellen ist ein Abweichen von diesem gesegneten Pfad und damit verwerflich.

     

    Wie soll man nun mit solchen Leuten Kompromisse schließen. Das ist nicht die Angela-Merkel-CDU!

  • LD
    Lies!!! Die richtigen Bücher

    Bereits auf der 1. Seite des Korans wird festgestellt, dass Moslems per Geburt die "Besten Menschen" sind und der Koran nicht hinterfragt werden darf. Eine säkulare, teilweise aufgeklärte Regierung vs. Koran der Muslimbrüder ist nicht kompatibel.

    Die einen vertreten Menschen mit einer moderneren Regierung, die Anderen "Allahs ewiges Wort" mittels Koran, welches keine Hinterfragung, bzw. Modernisierung erlaubt.

    Boko Haram argumentiert, dass Mohammed ihnen EIN BUCH geschenkt hat und alle anderen Teufelswerk sind.

     

    Ach ich mag nicht mehr als Frau, denn man kümmert sich lieber hier um Quotenfrauen.

    Zwangsehen, ermordete Studentinnen in Afrika, Beschnittene usw. interessieren die Taz schon lange nicht mehr.

    Die Muslimbrüder können mich mal! Wenn ihr solche Machos wollt, dann stülpt euch einen Müllsack auf dem Weg zum Burkageschäft um und lasst uns Alleinerziehenden, geschiedenen und aufgeklärten Frauen in Ruhe.

    • P
      pau
      @Lies!!! Die richtigen Bücher:

      Kennen Sie Muslimbrüder aus dem Milieu persönlich? Vermutlich nicht. Wenn Sie dem Journalisten dennoch keinen Glauben schenken können, müssen Sie bei ihren Frauen-Adjektive statt aufgeklärten besser ignoranten , islamophoben hinzufügen.

  • Die Einschätzung teile ich.

    Nur wie sieht ein solcher Plan B aus?

    Erst mal wird es Racheakte geben: für die Vertreibung Morsis von der absoluten Macht und für die Morde, die Repression seit Juli.

     

    Gibt es denn eine gesprächs- und verhandlungsbereite Strömung unter ihnen?