SS-Führer Erich Priebke: Angst vor dem Untoten
Er ist tot – aber noch lange nicht erledigt. Der Streit um die Beerdigung Erich Priebkes hat erst begonnen. An Roms Häuserwänden ist der Nazi allgegenwärtig.
ROM taz | Wohin mit Erich Priebke? Seit Tagen beschäftigt Italiens Öffentlichkeit diese eine Frage: Wohin mit der Leiche des Nazimörders, der letzten Freitag in Rom im Alter von 100 Jahren gestorben ist? Wohin mit dem Mann, der den Italienern als einer der furchtbarsten deutschen Kriegsverbrecher überhaupt gilt?
SS-Hauptsturmführer Priebke, gelernter Hotelfachmann, hatte schon immer eine Vorliebe für Italien gehabt, hatte seine Gestapo-Karriere als Dolmetscher für Italienisch begonnen, war schließlich 1941 an die deutsche Botschaft in Rom versetzt worden, als Verbindungsoffizier zur Polizei des Mussolini-Regimes. Doch als der Duce 1943 stürzte und Italien kurz darauf die Fronten im Krieg wechselte, wurde Hitler-Deutschland plötzlich zur Besatzungsmacht im einst verbündeten Land.
Nun befasste Priebke sich vor allem mit der Bekämpfung des italienischen Widerstands, Dienst tat er in der berüchtigten Gestapo-Folterzentrale in der Via Tasso. In die Geschichte aber ging er vor allem als einer der Haupttäter des Massakers von den Fosse Ardeatine vor den Toren Roms ein.
Am 24. März hatte eine Partisanengruppe mitten im Zentrum Roms ein Bombenattentat auf ein Bozener Polizeibataillon verübt, bei dem 33 Menschen starben. Und am folgenden Tag hatten die Nazis zurückgeschlagen: Sie überstellten 335 italienische Zivilisten – Juden, politische Gefangene aus der Via Tasso genauso wie aus anderen Gefängnissen, aber auch willkürlich bei Razzien in der Stadt Aufgegriffene – in den aufgelassenen Steinbruch Fosse Ardeatine. In Fünfergruppen wurden die Menschen in eine Höhle geführt und dort erschossen. Priebke und die anderen SS-Offiziere erschossen eigenhändig die ersten zwölf Menschen, dann soll Priebke die Liste geführt, jeden Getöteten abgehakt haben.
Unbehelligtes Leben
Doch wie so viele kam der SS-Mörder erst einmal davon, flüchtete nach dem Krieg nach Argentinien, lebte dort friedlich und ungestört, unter eigenem Namen, ja brachte es gar zum Vorsitzenden des Trägervereins der Deutschen Schule von Bariloche. Doch 1995 war es mit dem Frieden vorbei. Italien erwirkte seine Auslieferung, und 1998 wurde der nunmehr 85-Jährige in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu einer Haft allerdings, die er, seines hohen Alters wegen, in Hausarrest absitzen durfte, in einer geräumigen Wohnung, die ihm sein Anwalt zur Verfügung stellte, mit täglichen Spaziergängen und Einkäufen.
Aus der recht bequemen Haft heraus brachte der alte SS-Mann die Italiener immer wieder zur Weißglut. Nein, sich selbst vorzuwerfen hatte er rein gar nichts, geschossen hatte er doch bloß auf Befehl, nie kam ihm ein Wort der Reue über die Lippen. Stattdessen überzog er lieber Nachfahren der Opfer mit Prozessen, zum Beispiel Rosetta Stame, Tochter eines ermordeten Widerständlers, die in einem Zivilverfahren zur Zahlung einer Entschädigung an den SS-Mörder verurteilt wurde, weil sie ihn beschuldigt hatte, auch ihren Vater gefoltert zu haben.
Priebke feierte zudem gern im Kreis von Alt- und Jungnazis, zum Beispiel vor zehn Jahren seinen 90. Geburtstag, mit einer großen Fete in einem Restaurant bei Rom. Auch nach seinem Ableben legte er noch mal nach, mit einem posthum veröffentlichten Text, gleichsam seinem Vermächtnis, das vor allem in der Leugnung der Gaskammern und der systematischen Judenvernichtung besteht. Und auch eine 90-minütige Videobotschaft liegt vor – sie soll direkt nach dem Begräbnis veröffentlicht werden – wann auch immer das sein wird.
Spätestens mit diesem Abgang sorgt Priebke dafür, dass auch mit seinem Tod die Akte nicht geschlossen ist. Priebke lebt weiter, als Ikone italienischer und deutscher Nazis, nun auch als „Märtyrer“ (so sein Anwalt), und nahe seiner letzten Wohnung tauchten schon erste Schmierereien „Ehre dem Capitano Priebke“ auf, mit Hakenkreuzen verziert.
In den Herzen der Fans
Und es ist die Angst vor dem Untoten, die jetzt die Stadt Rom umtreibt. Große politische Verbrecher haben ja beste Chancen, in den Herzen ihrer Fans weiterzuleben, worüber sich ihre Grab- in wahre Pilgerstätten verwandeln können. Wunsiedel weiß ein Lied davon zu singen; Tausende Nazis fanden sich hier regelmäßig ein, um Rudolf Heß zu huldigen. Und im italienischen Predappio ist rund um den Sarkophag Benito Mussolinis eine wahre Pilgerindustrie mit Dutzenden Devotionalienshops entstanden; Tag für Tag treten hier faschistische Nostalgiker im Schwarzhemd an, um den Duce auf ewig mit Gesängen und römischem Gruß hochleben zu lassen.
Schon deshalb fiel im Umgang mit solchen prominenten Leichen immer wieder der Beschluss, zur radikalen Lösung zu schreiten. Adolf Hitler: Vor dem Führerbunker verbrannt, seine Asche in alle Winde verstreut. Osama Bin Laden: irgendwo im Meer versenkt. Adolf Eichmann: die Asche im Meer verstreut. Eines wurde auf diesem Wege sicher verhindert: die Entstehung von Wallfahrtsorten.
Doch es sind nicht allein pragmatische Überlegungen, die die Behörden im Umgang mit solchen Massenmördern mit Mission anstellen. Es ist auch der uralte Reflex: Mit diesen Unmenschen will der Rest der Menschheit selbst im Tod nichts zu tun haben. Für verurteilte Verbrecher gab es früher den Schindanger, auf dem Gottesacker war kein Platz für sie. Auch Selbstmördern, die sich ja an Gott vergangen hatten, blieb das Begräbnis auf dem Friedhof versagt.
Ein ganz ähnlicher Reflex begleitete im April die Suche nach einer letzten Ruhestätte für den Boston-Attentäter Tamerlan Zanarjew. Schon vor dem Bestattungsunternehmen protestierten wütende Bürger; Wochen brauchten die Ämter, bis sie die Leiche loswaren. Jetzt liegt Zanarjew auf einem kleinen islamischen Friedhof in Doswell, Virginia, 800 Kilometer von seinem Anschlagsort entfernt – und als die örtliche islamische Gemeinde erfuhr, wen sie da überstellt bekommen hatte, äußerte sie sich sofort „empört“.
Auch für Erich Priebke gestaltet sich die Suche schwierig; schließlich werde da „nicht ein Mensch, sondern ein Lebewesen“ begraben, dekretierte Riccardo Pacifici, Chef der Jüdischen Gemeinde Roms. Den Bürgermeister Ignazio Marino hat er auf seiner Seite, genauso wie die katholische Kirche, die eine Totenmesse „für alle Kirchen Roms“ kategorisch ausschloss.
Geburtsort winkt ab
Wenn man seinem Anwalt glauben darf, wollte Priebke selbst sowieso in argentinischer Erde ruhen, doch mit einem Tweet erteilte das argentinische Außenministerium einem solchen „Affront gegen die Menschenwürde“ die Absage. Efraim Zuroff, Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, sieht dagegen Deutschland in der Pflicht; von dort stamme Priebke schließlich, und außerdem habe Deutschland auch die besten Gesetze, um die Verwandlung der Priebke-Bestattung in eine Nazishow zu vermeiden.
Doch Priebkes Geburtsort Hennigsdorf in Brandenburg winkte sogleich ab. Bloß dort Ansässige oder Leute, die ein Familiengrab haben, könnten auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt werden, sagte eine Sprecherin der taz – auch hier also kein Platz für Priebke.
Harry Shindler wiederum, 93-jähriger Vorsitzender einer britischen Veteranenvereinigung, brachte den Deutschen Soldatenfriedhof in Pomezia ins Spiel, 30 Kilometer südlich von Rom. Da lägen doch sowieso schon diverse deutsche Kriegsverbrecher, die zum Beispiel am Massaker von Marzabotto beteiligt waren, „er wäre dort in bester Gesellschaft“, bemerkte Shindler trocken. Doch auch Pomezia will von dieser guten Gesellschaft nichts wissen – und so könnte Priebke wohl noch auf Wochen im Kühlschrank des römischen Krankenhauses Gemelli bleiben.
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