Kein Antifaschismus in der RAI: Was Meloni nicht hören will

Italiens Ministerpräsidentin möchte nicht an den Faschismus erinnert werden. Der Schriftsteller Antonio Scurati hat das nun zu spüren bekommen.

Meloni auf TV-Bildschirm

Meloni tritt gern im staatlichen Fernsehen auf. Soll es etwa nur ihr gehören? Foto: Tania/Contrasto/laif

Irgendwann kurz nach 20 Uhr, am letzten Samstagabend, tritt Antonio Scurati vor die Kamera, spricht seinen kurzen Monolog zum 25. April, dem „Tag der Befreiung“, an dem Italien jedes Jahr den Aufstand der Partisanen, die endgültige Niederlage der deutschen Nazi-Besatzer und ihrer faschistischen Komplizen unter Benito Mussolini im Jahr 1945 feiert.

So war es geplant. Doch nein, Scurati trat nicht vor die Kamera des Polit-Talks „Che sarà“, der auf dem dritten Kanal des Staatssenders Rai ausgestrahlt wird. Kurzerhand war er ausgeladen worden, waren seine Worte zum Faschismus nicht mehr gefragt: die Worte des Erfolgsautors der Trilogie „M.“, in der er den Bogen vom Aufstieg Mussolinis in den frühen 20er Jahren bis zum Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg schlägt.

Auch am Samstag wollte Scurati wieder einen Bogen schlagen, vom Mussolini-Faschismus zur heute amtierenden Regierung der Postfaschistin Giorgia Meloni. Sein Text hob an mit der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch Duce-Schergen in Rom, im Jahr 1924, vor akkurat 100 Jahren, und er fuhr fort mit der Erinnerung an das Massaker im März 1944, dem in Rom 335 Zivilisten zum Opfer fielen, gerichtet von den Nazis als Rache für einen Partisanenanschlag, der 33 deutsche Soldaten das Leben gekostet hatte.

Es war nur eines der zahlreichen von deutscher Hand, doch unter Mithilfe der italienischen Faschisten verübten Massaker, die 1944 auf italienischem Boden stattfanden. Immer, so Scurati, von seinen frühen bis zu den späten Jahren, sei der Mussolini-Faschismus „während seiner ganzen Geschichte ein unheilbares Phänomen systematischer mörderischer politischer Gewalt“ gewesen.

„Neofaschistische Herkunftskultur“

An diese Feststellung wollte der Schriftsteller eine Frage knüpfen, die ihn dann wahrscheinlich den Auftritt in der Samstagssendung kostete: „Wollen die Erben jener Geschichte dies endlich einmal anerkennen?“ Und dann geht er mit Ministerpräsidentin Meloni ins Gericht, die versuche, „die Geschichte umzuschreiben“, die „ihrer neofaschistischen Herkunftskultur“ treu bleibe.

Bloß zu „den einfach nicht zu verteidigenden Schreckenstaten (der Judenverfolgung)“ sei Meloni auf Distanz gegangen, ansonsten lade sie alle Untaten bei den deutschen Nazis ab, statt auch von der Komplizenschaft des italienischen Faschismus zu reden. Und sie schaffe es einfach nicht, auch nicht am 25. April, auch nur einmal das Wort „Antifaschismus“ in den Mund zu nehmen.

Scurati trifft da den Kern der Erinnerungs- oder besser gesagt der Amnesiepolitik Melonis und ihrer Partei Fratelli d’Italia. Schon in ihrer Antrittsrede als Ministerpräsidentin im Oktober 2022 – nur drei Tage vor dem 100. Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom, den sie mit keinem Wort erwähnte – hatte sie zwar die Rassegesetze von 1938 gegeißelt; doch weder damals noch auch bei anderen Gelegenheiten gelang es ihr, den banalen Schluss zu ziehen, dass zu einem Verbrechen auch ein Verbrecher gehört: Über Mussolini ist Meloni nie ein böses Wort über die Lippen gekommen.

Der „Aktivist“ hat Redebedarf

Dass jetzt aber Scurati mit bösen Worten über den Duce auf Sendung gehen wollte, versetzte offenkundig einige Meloni-Getreue im Rai-Management in helle Aufregung. Erst am Samstagnachmittag erfuhr die Moderatorin des Polit-Talks, Serena Bortone, dass der von ihr eingeladene Gast nicht kommen werde. Bortone machte den Vorfall sofort mit einem Instagram-Post öffentlich und fügte hinzu, sie habe aus dem Management keine plausible Begründung für die Ausladung erhalten.

Die kam dann, auch wenn sie nicht besonders plausibel war, von dem für die Programmplanung von Informationssendungen Verantwortlichen Paolo Corsini. Corsini war im letzten Dezember aufgefallen, nicht nur weil er bei der Großveranstaltung „Atreju“ der Meloni-Partei als Moderator aufgetreten war, sondern weil er dort penetrant von „unserer Partei“ und von sich selbst als deren „Aktivist“ geredet hatte.

Der „Aktivist“ hatte jetzt mitzuteilen, Scurati habe mit 1.800 Euro ein zu hohes Honorar verlangt. Dumm nur, dass sich die Rai mit dem Schriftsteller derweil auf ein Honorar von 1.500 Euro geeinigt hatte – ein Salär, das zuvor auch anderen in der Sendung präsenten Autoren gezahlt worden war. Dumm auch, dass es in einer internen Mail der Rai heißt, Scurati sei „aus verlegerischen Gründen“ gecancelt worden.

„Meine Gedanken zum Schweigen bringen“

Quasi in Echtzeit brach deshalb am Samstagnachmittag ein Sturm der Entrüstung über Italien herein. Zahlreiche Websites posteten Scuratis Text, im Fernsehen verlas ihn nicht nur die Moderatorin Bortone; auch in einer anderen Sendung des TV-Privatkanals La7 wurde der Text rezitiert.

Und selbst Giorgia Meloni persönlich postete ihn schließlich auf Facebook, um zu unterstreichen, dass ihr Zensur völlig fernliege. Doch als geübte Postfaschistin mochte sie in der üblichen Opfermanier einfach nicht auf die Frontalattacke gegen die Linke und Scurati verzichten. Die Linke, behauptet die Regierungschefin, „bauscht auch heute einen Fall auf“, „die Rai antwortet, dass sie es einfach abgelehnt hat, für eine Minute Monolog 1.800 Euro (das Monatsgehalt vieler Arbeitnehmer) zu zahlen“.

Scurati erwiderte umgehend, auch dieser Meloni-Post sei eine „verleumderische Aggression“, denn er sei nicht des Geldes wegen ausgeladen worden, sondern weil es darum ging, „meine Gedanken zu Faschismus und Postfaschismus zum Schweigen zu bringen“.

Wenigstens dieses Ziel haben Melonis Schildknappen in der Rai nicht erreicht. Der Akt der Zensur wurde zum Aufmacher in allen Medien, und Scuratis Monolog wurde hunderte Male publiziert.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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