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SADDAM MUSS VOR EIN INTERNATIONALES TRIBUNAL GESTELLT WERDENWildwest in Bagdad

Kann es einen fairen Prozess im Wilden Westen geben, wo man mit rauchenden Colts vor dem Gerichtssaal seine Vorstellung von Gerechtigkeit durchzusetzen suchen? Das ist die Frage, die derzeit über dem Saddam-Prozess im Irak schwebt. Sicher, im Gerichtssaal in der von der US-Armee schwer bewachten künstlich geschaffenen „grünen Zone“ wird der Eindruck vermittelt, dass in diesen vier Wänden eine über alles erhabene Gerichtsverhandlung stattfindet.

Doch der wird immer wieder von der Wirklichkeit draußen eingeholt. Zwei Anwälte, die Saddam und seine sieben Mitangeklagten verteidigen sollten, wurden auf offener Straße exekutiert. Ein anderer ist aus dem Land geflüchtet. Aber nicht nur die Anwälte der einstigen Diktatur sind gefährdet. Auch der Untersuchungsrichter entging mit viel Glück einer Verschwörung, bei der man nach seinem Leben trachtete. Die mutmaßlichen Verschwörer wurden zwar festgenommen, aber einer von ihnen wurde aus seiner Gefangenschaft befreit. Und dann sind da noch die mutigen Zeugen, die in den letzten Tagen Aussagen mit schaurigen Details über die Arbeit von Saddams Sicherheitsapparat abgegeben haben. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass einer von ihnen über den Haufen geschossen wird.

Längst hat auch die religiöse und ethnische Teilung des Landes im Gerichtssaal Einzug gehalten. In dem von den US-Besatzern etablierten Gericht gibt es eine sunnitische Anklagebank, einen kurdischen Richter und schiitische Zeugen, die von den Angeklagten als „iranische Geheimdienstagenten“ diskreditiert werden. Muss es noch mehr Tote vor und mehr Tumulte im Gerichtssaal geben, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass man Geschichte so nicht aufarbeiten kann? Sowohl die mangelnde Sicherheit der Prozessteilnehmer als auch die zweifelhafte legitime Basis des Gerichts sprechen dafür, Saddam vor einem Internationalen Tribunal zu richten. Dagegen steht eigentlich nur, dass die US-Politik damit eingestehen würde, den Irak von einer Diktatur in einen Wilden Westen verwandelt zu haben. Im Saddam-Prozess kann derzeit weder die Diktatur verarbeitet noch Wildwest unter Kontrolle gebracht werden. KARIM EL GAWHARY

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