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Techno-DJs zum Sprechen gebrachtDie Dienstleister des Exzesses

Jürgen Teipel dokumentiert in seinem Interviewband die Erlebniswelten von Techno-DJs. Berühmte und weniger Berühmte kommen bei ihm zu Wort.

Der Münchener DJ Hell während eines Sets. Bild: imago/Thomas Frey

In der Gesellschaft werden große Anstrengungen unternommen, um Missstände zu beseitigen oder wenigstens um Fehler zu monieren. In der Welt der elektronischen Tanzmusik gelten andere Maßstäbe, erfährt man aus dem Interviewband „Mehr als laut. DJs erzählen“ von Jürgen Teipel.

20 von ihnen bringt der Autor zum Sprechen. Gleich mehrere loben den Fehler als kreativen Akt. „Lieber versagen als bei allem auf Nummer sicher gehen“, erklärt der Berliner DJ Andi Teichmann zum Mischen von zwei Platten.

Fehler seien Ausdruck der „ultimativen Schönheit“ des Plattenauflegens, bekennt die Chemnitzer DJ Stella Stellaire. Denn, so Stellaire, gehe etwas schief, dann lebe es, dann sei bei aller Kopflosigkeit eine Hingabe zu erkennen; also drückten Fehler doch gerade „Lebensfreude“ aus.

Bis die DJs solche Irritationen beim Auflegen offenbaren, ist man mit Teipels Buch schon fast durch. Der Beschreibung von elektronischer Musik im Mix des DJs räumt er leider keine Priorität ein, weit mehr zählen Exzess, Entgrenzung und Verausgabung. Das spricht nicht gegen die Lektüre von „Mehr als laut“, denn DJs sind Dienstleister, die eine Party in Gang bringen müssen und für die Wahl ihrer Betätigung auch ganz unterschiedliche Motive haben.

Teipel wählte für sein Buch ziemlich arbiträr Zeugen aus, aber eben auch verlässliche und integre Stimmen, darunter prominente wie den Münchner DJ Hell und den Kölner Autor und DJ Hans Nieswandt, aber auch weniger bekannte. Teipels Verdienst ist es, dass er Frauen wie Acid Maria und Miss Kittin ausführlich zu Wort kommen lässt in einer leider immer noch ziemlich männlichen Bastion.

Das Buch

Jürgen Teipel: „Mehr als laut. DJs erzählen“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 236 Seiten, 14,99 Euro

In den vergangenen Jahren wurden bereits reichlich Werke zum Selbstverständnis der elektronischen Tanzmusik in Deutschland veröffentlicht, und einige wendeten die von der Oral History abgeleitete Technik der Gesprächsmontage ebenfalls an. Nun also auch Teipels Interviewband.

Techno und House in der Provinz

Zugute halten lässt sich ihm, dass das Geschehen nicht auf Berlin beschränkt bleibt, es geht sogar viel um die Provinz, die Erfahrung von Techno und House in Mannheim zum Beispiel. Allerdings kommt die Pop-Sehnsucht nach entfernten Orten und dem Austausch mit dem Ausland viel zu kurz. Oder die DJs reflektieren darüber zu wenig.

Teipels DJs sind zwar ständig im Ausland unterwegs, aber sie sehnen sich in erster Linie nach zu Hause; DJ Hell etwa spricht von der Sensation eines wohlriechenden frischen Betttuchs. Und von einer vom Goethe-Institut in Mexiko veranstalteten DJ-Reise, an der mehrere der Interviewten teilnahmen, wird erzählt, ohne dass auch nur ein Mexikaner zu Wort käme. Geht das?

Teipels Oral History

Wahrscheinlich wäre „Mehr als laut“ gar nicht ohne „Verschwende deine Jugend“ möglich, Jürgen Teipels Oral History von Punk und Neuer Deutscher Welle, erschienen vor 13 Jahren. Und man wird das Gefühl nicht los, dass der große Erfolg von „Verschwende Deine Jugend“ und seine Ausschlachtung im Mainstream dem Autor bis heute Schwierigkeiten bereitet. Obwohl ihm weitere Bücher zum Thema Punk vorgeschlagen worden seien, so schreibt Teipel im Vorwort, habe er das Thema für sich abgeschlossen.

Jetzt also Techno. Und weil er bei seinen DJs durch „Verschwende Deine Jugend“ einen „Vertrauensvorschuss“ hat, will Teipel seinen Gesprächspartnern in „magischen Sofagesprächen“ Privates entlocken. „Unglaublich dankbar“ schwärmt er Hermann-Hesse-mäßig von den Interviewsituationen.

Als Leser wünscht man sich da manchmal mehr Kontroverse, die Teipel nur selten zulässt, etwa wenn der Hamburger DJ Lawrence von seiner Zeit als Praktikant beim Majorlabel Universal berichtet, in der der A&R-Manager Tim Renner einen „sektenhaften Ansatz pflegte“ und die Angestellten „körperlich und psychisch geschändet wurden“.

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1 Kommentar

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  • Der Redakteur dieser Rezension hat den Inhalt des Buches leider komplett verfremdet wiedergegeben. Es wirkt eigentlich wie eine Persiflage. Hat er sich da irgendeinen bestimmten Frust vom Leib geschrieben? Mit dem Inhalt hat es auf jeden Fall nichts zu tun. Es scheint vielmehr wie eine Ansammlung übelster Stereotypen zum "dekadenten Partyleben", entlang derer er sich mühsam den Inhalt zu erschließen versucht.

    Gerade das Thema "Fehlermachen" wird von ihm für diesen Zweck in, man könnte fast sagen, frivoler Weise ausgeschlachtet. Dass es aber gar nicht um hirnlosen Dilettantismus, sondern um Improvisation und Experiment geht, um spontanes und nicht einstudiertes Musikmachen, ist vielleicht einfach jenseits seines Horizontes. Dabei wirkt er leider wie ein Streber, der sich an den coolen Kids rächt, die ihn nicht zur Party eingeladen haben.

    Vielleicht sollte die TAZ besser gar keine Bücher zur Technokultur besprechen, wenn Sie keinen Bezug dazu hat.