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Osteuropa-Experte über EU und Ukraine„Nicht einknicken“

Das Abkommen mit der Ukraine ist vorerst gescheitert. Die EU braucht nun eine neue Strategie für den Osten, sagt Osteuropa-Experte Cornelius Ochmann.

Für eine Annäherung an die EU: Studenten-Proteste am Montag in Lviv, Ukraine. Bild: reuters
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Ochmann, das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine wird beim Gipfeltreffen diese Woche in Vilnius wohl nicht unterzeichnet werden. Sollte die EU weitere Zugeständnisse machen, um das Abkommen zu retten?

Cornelius Ochmann: Die EU hat sich auf die Ausreise der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko zwecks medizinischer Behandlung als Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens fokussiert. Daher halte ich es für unrealistisch, dass Brüssel jetzt in letzter Sekunde noch einknickt, aber es wäre auch kontraproduktiv. Die Strategie hätte man von Anfang an anders aufziehen können. Vor einem Jahr hat sich die EU auf die Causa Timoschenko versteift und muss jetzt den Preis dafür zahlen.

Ist denn damit die Östliche Partnerschaft insgesamt gescheitert?

So weit würde ich nicht gehen. Die Chancen stehen gut, dass bei dem Gipfel in Vilnius Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldau paraphiert werden. Das zeigt, dass es neben der Ukraine Länder gibt, die auf dem Weg in Richtung EU Fortschritte machen.

Was bedeutet die Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine für die Politik Brüssels gegenüber den östlichen Staaten?

Die Östliche Partnerschaft muss verändert werden. Das heißt, die Europäische Union muss stärker auf zivilgesellschaftliche Kooperation setzen und weniger auf offizielle Programme. Die EU muss eine andere Visumstrategie fahren: Wir müssen die Grenzen für diejenigen öffnen, die in die EU reisen, dort studieren oder arbeiten wollen. Dabei dürfen wir die Staaten der Östlichen Partnerschaft nicht als Bittsteller behandeln. Denn klare wirtschaftliche Beziehungen zu diesen Staaten sind auch im Interesse der EU.

Im Interview: Cornelius Ochmann

Jahrgang 1964, studierte in Mainz und Breslau. Forschungsreisen führten ihn unter anderem nach Moskau und Jerusalem. Seit August dieses Jahres ist er Direktor der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Warschau.

Wie beurteilen Sie die Rolle Russlands?

Dass die Ukraine einen Rückzieher gemacht hat, ist für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Pyrrhussieg. Russland wird eine Zollunion nur mit Druck und Vergeltungsmaßnahmen nicht zusammenhalten können. Russland kann die Ukraine in diesem Winter in die Knie zwingen – etwa durch die Aussetzung von Gaslieferungen. Dennoch halte ich die Drohungen Russlands gegenüber der Ukraine für kontraproduktiv. Denn Russland, die Ukraine und die EU sind auf eine wirtschaftliche Kooperation angewiesen, nicht zuletzt wegen des steigenden Konkurrenzdrucks aus Asien.

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9 Kommentare

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  • G
    Gehtsnoch

    Frau Timoschenko ist eine achtbare Person, aber

    das Wohl der Stabilität

    der Welt ist viel wichtiger als

    diese eine Person.

    Wie unreif doch die EU ist!

    Es ist taktisch militärisch idiotisch, wenn zwei Atommächte

    eine zehntausende km lange Grenze zu Russland aufbauen und

    NATO und Russland ohne Puffer dastehen.

    Das ist so etwas von rotzblöd und dummdreist, wie dämlich kann denn die EU sein?!

    Rein aus Sicherheitsaspekten können die unmittelbaren Anrainer Russlands, von gewaltiger Größe, wie Ukraine und Weißrussland höchstens neutrale Länder werden.

    Alles andere würde für Russland

    in eine nichtakzeptabe Sicherheitsbedrohung münden und wäre damit auch für uns hochgefährlich!! Ein bißchen vorausschauend denken, kann doch nicht zuviel verlangt sein!

  • S
    Störtebekker

    Laßt es Leute! Ich habe mich 40 Jahre lang unter den Russen witaus besser gefühlt, wie nur einen Tag in der EU. Ich wurde weniger bevormundet. Geht zu den Russen!!!

    • D
      Denis
      @Störtebekker:

      Piraten sollten sich in Russland besser nicht blicken lassen.

  • OB
    Oblomow Blechstein

    Von Herrn Ochmann hört man permanent: "die Eu muß dies, die EU muß das" Die EU muß garnichts außer die Füße stillhalten. Frau Timochenko wird nur als Schild benutzt um die wirtschaftlichen und strategischen Ziele der Herren aus Brüssel zu verdecken.

    Eine mehr als durchsichtige und verlogene Veranstaltung

  • IK
    Im Klartext der Bourgeoisie

    Experten des Kapitals: "Die EU braucht"...

     

    Richtig ist: Die Finanz-, Energie-, Rohstoff-, Rüstungs- und Monopolbourgeoisie und deren NATO und BND-BRD-Administration (und Experten) braucht eine neue Strategie für die ökonomische, geopolitisch-militärische und gesellschaftspolitische Unterwerfung Osteuropas und Asiens.

  • Die spinnen, die Ukrainer!

     

    Kaum nachdem es ihnen gelungen ist, die Ketten der UdSSR zu zerbrechen, scheinen viel scharf darauf zu sein, sich unter das Joch der EUSSR zu beugen, auf dass sie bald in ihrem eigenen Land kaum mehr zu entscheiden haben werden, als zu Sowjetzeiten.

     

    Befremdlich, einfach nur befremdlich!

  • Bin sehr erleichtert, dass der Machtstreben der EU, der Drang nach Osten, vorerst aufgehalten werden konnte. Dieses koloniale Gehabe der EU, dieser Drang immer weiter zu expandieren und sich immer neue Gebiete einzuverleiben erinnert fatal an die Politik der europäischen Grossmächte und Kolonialimperien des 19. Jahrhunderts. Wenn man sich das Gebahren Brüssels anschaut, könnte man denken die seien noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.

     

    Zudem war es beklemmend zu sehen, mit viel Druck die EU Kiew in den eigenen Machtbereich zwingen wollte.

    • D
      Denis
      @Benz:

      na na Benzchen, verwechseln wir da nicht etwas ? Die letzte Kolonialmacht der Welt heißt Russland, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben.

    • @Benz:

      Ist tatsächlich irgendwer gezwungen in die EU einzutreten? oder wird irgendwer gezwungen? Ist die EU ein Imperium? Wer ist der Imperator- Herr Barroso? Worin bestehen seine Machtinstrumente? Eine Flotte oder Armee? Wieviel macht hat er über seine Satrapen? Wieviel Einfluss auf die Gesetze? Wieviel Kontrolle über die Bewegungen des Kapitals in seinem Reich?