Coen-Brüder über ihren neuen Film: „Erfolg hat uns nicht interessiert“
Ein Kater schlüpfte herein und bekam eine Hauptrolle. Joel und Ethan Coen erzählen, wie „Inside Llewyn Davis“ aus ihrer Leidenschaft für Folkmusik entstand.
taz: Ihr Film „Inside Llewyn Davis“ erzählt vom glücklosen Dasein eines Folksängers im New York der späten 1950er/frühen 1960er Jahre. Wie zentral war der Einfluss des Musikers Dave Van Ronk und seiner Biografie?
Joel Coen: Dave Van Ronks Biografie war das beste Buch, das wir in die Hände gekriegt haben, was die Beschreibung des Musikermilieus des Greenwich Village dieser Zeit anbelangt. Die Szene war in den späten 50er Jahren schon da, aber man kennt erst die Singer-Songwriter der 60er wirklich gut: Bob Dylan hat das losgetreten. Van Ronk schrieb das Buch gemeinsam mit Elijah Wald, wir haben Charaktere, bestimmte Ideen daraus entnommen. Seine Persönlichkeit war nicht so wichtig – Llewyn Davis, die Filmfigur von Oscar Isaac, ist nicht Van Ronk.
Obwohl auch Van Ronk eine Platte hatte, die „Inside Dave Van Ronk“ hieß?
Joel Coen: Ja, aber Llewyn singt nicht nur Van-Ronk-Songs. Das Buch war wirklich eher Inspiration und Quelle.
Das Milieu ist noch sehr authentisch: Es geht um Künstler, die sich nicht anbiedern wollen, die an ihr ureigenes Tun glauben. Warum war das wichtig?
Joel Coen: Wir mögen dieses nichtkommerzielle Milieu, in dem es um persönliche Ambitionen geht, um die Folklore-Tradition, die von der Idee von Authentizität geradezu besessen war. Den Leuten ging es darum, musikalische Formen zu konservieren.
Joel Coen (59) wuchs wie sein Bruder Ethan Coen (56) in Minneapolis auf. Joel Coen studierte an der New York University Film, während sein Bruder eine Philosophie-Ausbildung in Princeton abschloss. Bereits in ihrem Debüt „Millers Crossing“ (1984) arbeiten die Brüder eng zusammen, wobei Joel Coen ursprünglich als Regisseur angeführt wurde.
Bereits mit seinem vierten Film „Barton Fink“ (1991) gewann das Duo die Goldene Palme in Cannes; mit ihren oft ironisch gefärbten Erzählungen, die sich spielerisch diverser Genres, Stile und Epochen annehmen, ohne Eigenheit einzubüßen, gehören die Coens zu den wichtigsten US-Autoren im Kino; für „Fargo“ und „No Country For Old Men“ wurden sie mit Oscars prämiert.
Wie hat sich denn Ihre Leidenschaft für diese Musik entwickelt?
Ethan Coen: Die Liebe war immer da, nur gefiltert durch andere. Bob Dylan, den wir verehren, seit wir kleine Jungs sind, ist vielleicht der offensichtlichste Filter. Es ist seltsam mit Musik, sie wandert von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Und man selbst bewegt sich wieder zurück in der Zeit.
Joel Coen: Diese Musik war ja vor den Leuten da, die wir jetzt thematisieren.
Ethan Coen: Sie haben wiederum die Musik gehört, die wir schon in „O Brother, Where Art Thou?“ behandelt haben.
Anders als in diesem Film sind alle Nummern live aufgenommen und werden vollständig gespielt.
Ethan Coen: Ja, diesmal geht es um einen Musiker. Wir mussten das, was er tut, ernst nehmen.
Joel Coen: Er verbringt einen Großteil seines Alltags mit dem Musikmachen.
Ethan Coen: Und er bewegt sich in diesem abgeschlossenen Zirkel von Leuten, von denen etliche auf Bühnen stehen. Das bedeutet, dass man sie beim Musizieren zeigen muss, um die Community einzufangen.
Das Cover von Bob Dylans Album „The Freewheelin’“ hat Ihren Film, Farben und Atmosphäre mitinspiriert, stimmt das? Wie ist daraus die weitere Erzählung entstanden?
Ethan Coen: Es begann damit, dass Joel sagte, wie es wäre, einen Film über einen Folksänger zu machen, der damit anfängt, dass dieser in einer dunklen Gasse niedergeschlagen wird. Von da an weiß ich es gar nicht mehr so genau … Wir haben uns sehr früh für diese Kreisform der Erzählung entschieden. Und dann gab es bald die Idee für den Roadtrip nach Chicago in der Mitte des Films, als eine Form der Interpunktion. Es erschien uns wichtig, wieder an den Anfang zurückzukehren.
Das ist ziemlich anders als die Sorte Musikerfilm, die mit einem Hit endet …
Joel Coen: Ja, Erfolg hat uns einfach nicht interessiert. Aber wir wollen auch keine Geschichte übers Scheitern erzählen, weil den Musikern das Talent fehlt. Das Spannende an der Figur des Llewyn Davis ist, dass man nicht weiß, ob er sich durchsetzen wird oder nicht. Man hat seine Zweifel, ob er es schafft. Musikalisch ist er gut. Manchmal reicht es aber nicht, gut zu sein.
Der Film leistet auch die Rekonstruktion einer Ära: Das New Yorker Village, die Clubs, aber auch Orte wie ein Diner definieren ihn mit. Wie eng war dabei die Zusammenarbeit mit Ihrem Produktionsdesigner Jess Gonchor?
Ethan Coen: Was den Look betrifft, haben wir darüber eigentlich mehr mit dem Kameramann Bruno Delbonnel gesprochen als mit Jess. Das erwähnte Dylan-Cover, die Farben der Bilder von damals, alles, was New York in den 1960er Jahren dieses spezifische Aussehen gab, war uns wichtig.
Es war immer klar, dass es Winter sein würde?
Ethan Coen: Ja. Auch Fotos von Robert Frank lieferten Akzente, gerade beim Roadtrip.
Joel Coen: Diese Reise durch den Mittleren Western hat auch den Aspekt, dass wir die Gegend aus unserer eigenen Kindheit gut kennen. Wir sind dort aufgewachsen. Diese Restaurants an den Highways existieren heute nicht mehr.
War es deshalb wichtig, auf Film zu drehen?
Ethan Coen: Ja, wobei zum Teil die Autofahrten „process shots“ sind [mit Rückprojektionen im Studio gedreht, Anm.]. Die Straßenaufnahmen in New York waren eine Qual. Man muss schon sehr viel Arbeit investieren, um am Ende dem damaligen Zeitkolorit zu entsprechen.
Joel Coen: Bei diesen ganzen Details hat Jess geholfen, sogar die Fensterfassungen sind ja mittlerweile anders – früheren waren sie aus Holz. Zugunsten von besserer Dämmung sind die inzwischen zumeist ausgetauscht. Doch solche Details lassen sich später am Computer kaum rekonstruieren, das würde zu undeutlich.
Es heißt, T Bone Burnett und Marcus Mumford, Ihre Musikberater, waren mit der Performance und Bandbreite von Oscar Isaac sehr glücklich.
Joel Coen: T-Bone hat am Set eine Stoppuhr verwendet. Er wollte sicherstellen, dass das Tempo von Einstellung zu Einstellung nicht zu sehr schwankt – er war dann ganz verdutzt, dass das bei Oscar so selten der Fall war. Er hat ein absolutes Gehör. Das ist natürlich toll, wenn man unterschiedliche Takes variiert …
Ethan Coen: … was wir gar nicht so oft getan haben!
Das heißt, die Entscheidung für Oscar Isaac fiel vor allem aufgrund seiner musikalischen Fähigkeiten?
„Inside Llewyn Davis“ begleitet einen Folk-Musiker (und einen rot getigerten Kater) durch einen kalten New Yorker Winter. Es ist die Ära des Folk-Revivals der frühen 1960er in den kleinen Clubs des Greenwich Village, einer Zeit für Connaisseure des Musikgenres – noch bevor Bob Dylan (im Film ganz am Schluss zu sehen) daraus eine Kunstform machte, welche die Massen zu begeistern vermochte.
Llewyn Davis hat viel Talent, aber es fehlt das bisschen Glück, das zum Erfolg dazugehört. Er lebt ohne Dach über dem Kopf und ohne vernünftigen Wintermantel, arbeitet jedoch hart daran, private Fehltritte zu verringern und seine Popularität ein wenig zu vergrößern.
Makellos changiert der Film zwischen lakonischem Humor und schwermütigem Tiefgang. Oscar Isaac ist als Titelheld, der in seinen Songs („Hang Me“) von Tod und Traurigkeit erzählt, eine Entdeckung; Justin Timberlake und Carey Mulligan spielen zwei seiner Musikerfreunde, alle singen selbst – der von T Bone Burnett und Marcus Mumford besorgte Score ist integraler Bestandteil des Films, seine zweite Ebene: Mit ihnen lassen sich die liebevoll gezeigten Niederungen und Demütigungen des Lebens für kurze Zeit aufheben und manchmal auch belächeln. (kam)
„Inside Llewyn Davis“. Regie: Joel und Ethan Coen. Mit Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake, John Goodman. USA 2013, 105 Minuten. Ab Donnerstag im Kino.
Joel Coen: Wir haben jemanden gesucht, der auf zwei Arten außergewöhnlich ist: als Schauspieler und als Musiker. Es passiert selten, dass das gelingt. Es gibt tolle Musiker, die gute Nebenfiguren abgeben, aber wir brauchten jemanden, der einen ganzen Film zu tragen vermag. Insofern war es ein kleines Wunder, dass wir Oscar fanden.
Ich habe noch gar nicht den Kater im Film erwähnt, der ja wirklich ein Original ist.
Joel Coen: Das trifft es ganz gut! Ich weiß nicht, woher er kam. Er schlüpfte durch den Türspalt. Sobald er da war, suchten wir nach einer Aufgabe für ihn. Ab einem bestimmten Punkt erschien es praktisch. Mit dem Kater ließen sich Szenen verbinden. Er hat die Episoden gut zusammengehalten.
Ethan Coen: Außerdem gibt es diese versteckte durchgehende Frage im Film: Was wird Llewyn behalten und was wieder verlieren? Obdachlos sein, bei fremden Leuten schlafen, das alles mit Kater – es ergab einfach Sinn.
Joel Coen: Llewyn ist so etwas wie ein ungewollter Gast. Noch dazu einer mit stiller Begleitung.
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