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Kommentar Abkommen EU-TürkeiEin schäbiger Deal

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die EU kennt nur eine Antwort auf die Flüchtlingsfrage: die Mauern der Festung verstärken. Jetzt wird das Problem auf die Türkei abgewälzt.

Istanbul, Endtsation für immer mehr Flüchtlinge. Bild: dpa

B undesinnenminister Friedrich kann sich freuen. Ab dem kommenden Jahr wird die Mauer um die Festung Europa noch ein Stück höher, als sie ohnehin schon ist. Die EU-Kommission hat es nach jahrelangem Drängen geschafft, die türkische Regierung dazu zu bringen, ein Abkommen zu unterschreiben. Ankara verpflichtet sich darin, alle Flüchtlinge, die über ihr Territorium in ein EU-Land gelangen, wieder zurückzunehmen. Also praktisch alle, die es nach Griechenland oder Bulgarien geschafft haben und die Friedrich auf keinen Fall einreisen lassen will.

Im Gegenzug muss der Innenminister in Kauf nehmen, dass Visaanträge von Türken künftig großzügiger behandelt werden als bislang. Das jedenfalls ist das Versprechen, mit dem Brüssel die Türkei geködert hat.

Sosehr die Bürger der Türkei, deren Land seit 2005 mit der EU über einen Beitritt verhandelt, ein Anrecht darauf haben, endlich ohne Schikanen in die EU einreisen zu können: Die Koppelung mit der Flüchtlingsfrage ist schäbig. Noch ist nicht klar, wie die Visaerleichterungen aussehen werden. Doch selbst wenn türkische Bürger davon profitieren, es ist zutiefst inhuman, dies auf dem Rücken Tausender verzweifelter Flüchtlinge aus den Kriegs- und Armutsregionen dieser Welt zu tun.

Die Heuchelei über die Toten von Lampedusa kann nicht größer sein, wenn gleichzeitig an anderer Stelle die Hürden für die Einreise von Flüchtlingen erhöht werden. Die Türkei hat sich lange geweigert, dabei mitzumachen. Nicht zuletzt, weil sie sich im Beitrittsprozess insgesamt hingehalten fühlt. Diesen Widerstand hat die Kommission jetzt überwunden.

Auch in Nordafrika wird mit Hochdruck daran gearbeitet, den Zustand aus der Zeit vor dem Arabischen Frühling wiederherzustellen, damit die Abschottung komplett ist. Wenn Flüchtlinge bereits in Libyen oder Tunesien daran gehindert werden, Boote nach Italien zu besteigen, und türkische Soldaten dafür sorgen, dass niemand mehr ohne Genehmigung Griechenland oder Bulgarien erreicht, dann ist die EU-Welt wieder in Ordnung.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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4 Kommentare

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  • M
    magykrause@hotmail.com

    Im Gegenzug muss der Innenminister in Kauf nehmen, dass Visaanträge von Türken künftig großzügiger behandelt werden als bislang.

     

    Wieso werden Visa von türk. Leuten plötzlich großzügiger behandelt ???

  • LP
    Lorenz P. Tews

    Europa, EU ... eine kontinentale 'Gated Community'.

  • SS
    stimmt so nicht

    Der Autor geht von falschen Voraussetzungen aus, denn Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge sind von dem Rückübernahmeabkommen ausgenommen, Artikel 18 Nummer 4 des Abkommens: "Die Anwendung dieses Abkommens lässt die Rechte von und die Verfahrensgarantien für Personen unberührt, die nach Maßgabe der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten und der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft Asyl beantragen, insbesondere in Bezug auf die Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags." Übrigens gibt es längst ein bilaterales Rückübernahmeabkommen zwischen der Türkei und Griechenland, das hat den Griechen auch nicht viel gebracht.

    • G
      #gezi
      @stimmt so nicht:

      Bla,bla , um Asylbewerber zu sein, musst du zuerst schaffen, Asyl zu beantragen um irgendwann als anerkannte Flüchtlinge in Würde Leben zu können.

      Wenn das nicht der Fall ist, dann ab in die Länder wo du zuerst gelandet bist.

      EU hat damit neue Quelle für Erdogan vor den Wahlen 2014 erschlossen und schafft wieder einen neuen Möchtegern Diktator.