piwik no script img

Kommentar Verfassungsbeschwerde EEGAufgebauschter Pseudoskandal

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Sigmar Gabriel hat sich viel vorgenommen. Doch mit Widerständen – auch via Verfassungsbeschwerde – ist zu rechnen.

Man achte auf die Wasserflasche. Bild: dpa

I n diesem Jahr wird die Energiewende grundsätzlich reformiert. Die Große Koalition hat sich’s so vorgenommen. Mit SPD-Vizekanzler und Energieminister Sigmar Gabriel hat sich einer das Thema unter den Nagel gerissen, der Kanzler werden will und dringend beweisen muss, dass vor seiner Inthronisierung alles unglaublich schlecht lief und erst mit ihm die wahre Wende kam.

Angesichts des zu erwartenden gabrielschen Reformfurors wird es eine blutige PR-Schlacht um den Kurs der Energiewende geben. Heißt also, dass man gut daran tut, hinter jedem Interview, jeder Studie und Exklusivstory eine Agenda zu vermuten.

Nun zum aktuellen Fall: Das Handelsblatt titelt am Montag mit der Schaudergeschichte „Geiseln der Energiewende“ und darin warnt dann ein Anwalt, dass Unternehmen eine komplette Abschaltung der Produktion droht. Der Grund: Gibt es zu viel Sonnen- und Windstrom, könnten die betriebseigenen Kraftwerke von Unternehmen womöglich kurzzeitig abgeschaltet werden müssen. Dagegen habe ein öffentlich nicht genanntes Unternehmen nun Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Nun ist es keine Frage, dass besonders energieintensive Unternehmen ein gewaltiges Problem haben, wenn ihre Anlagen stehen bleiben. Das Thema ist ernsthaft zu prüfen. Allerdings: Noch ist kein einziger derartiger Fall bekannt. Es handelt sich um eine Eventualität, aufgebauscht zu einem Pseudoskandal.

Sie lenkt vom eigentlichen Problem ab. Das besteht darin, dass immer mehr Unternehmen ihre Energie selbst produzieren und sich damit von den Netzentgelten und der EEG-Umlage zur Finanzierung der Energiewende verabschieden – auf Kosten der restlichen Verbraucher. Diese Unternehmen nun zu „Geiseln der Energiewende“ zu adeln, dazu gehört schon ziemlich viel Fantasie.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Von wegen der Industriestrompreis in Deutschland ist zu hoch.

    Die niederländische Aluminiumhütte Delfzijl B.V. hat Ende Dezember Insolvenz angemeldet. Als Grund gibt das Unternehmen niedrige deutsche Industriestrompreise an. Nachzulesen hier: http://www.recyclingmagazin.de/rm/news_detail.asp?ID=19324&SID=723194192168100100

  • M
    Malte

    Werden hier nicht Sachen miteinander vermischt? Nur weil die eigenen Kraftwerke abgeschaltet werden, heißt das nicht, dass die Produktion eingestellt werden muss, weil der Strom (gerade wenn viel Wind- und Sonnenstrom vorhanden ist) auch aus dem Netz gezogen werden kann