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Friedhofszwang in BremenOrte für die Asche

Das Parlament streitet erneut um die angemessene Form der Totenruhe. In zwei Monaten will das Umweltressort einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen.

Friedhof Osterholz: Hier ist ein schöner Ort für Urnen - doch "Würde" gibt es auch anderswo. Bild: Archiv

Selten geht es im Landtag so emotional zu wie beim Thema Tod. Und noch seltener bekommt der Bürgermeister deutlich mehr Beifall von der CDU als von seiner eigenen Partei.

Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hält die Idee, den Friedhofszwang für Urnen aufzuheben, für gar nicht förderlich. Zu seinem Leid haben das SPD und Grüne aber bereits im vergangenen September beschlossen, nun geht es um die Ausarbeitung einer Gesetzvorlage. Die will der grüne Umweltsenator Joachim Lohse in zwei Monaten vorlegen, versprach er gestern. Lohse, der aus einer Theologenfamilie stammt, tut das keineswegs mit Leidenschaft – auch er ist sich bei dieser Frage mit seiner Fraktion nicht einig.

Diese skeptische bis ablehnende Haltung herrscht im gesamten Senat vor, doch das war nicht immer so: Jens Eckhoff verfasste als zuständiger Umweltsenator 2004 ein Papier, in dem er unter anderem die Aufhebung des Friedhofzwangs für Urnen forderte. Koautor war sein Parteifreund Jörg Kastendiek, der heutige CDU-Chef.

Wenn sich die divergierenden Befindlichkeiten und Haltungen quer durch fast alle Parteien ziehen – wie sieht es dann in der Bevölkerung aus? Nur rund fünf Prozent würden von einer Liberalisierung Gebrauch machen, hat Emnid ermittelt, doch 65 Prozent befürworten sie. Klar ist auch: Die Gewohnheiten verändern sich grundlegend. Bundesweit werden bereits 50 Prozent der Toten eingeäschert, in Bremen sogar 80 Prozent.

Dabei lehnte die katholische Kirche diese Praxis bis 1963 kategorisch ab, die Protestanten akzeptieren sie seit den 20ern. Gibt es also tatsächlich eine so eindeutige „christlich-jüdische Tradition“ im Umgang mit Toten, wie sie CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp gestern eindringlichst beschwor? Wohl nicht.

Denn selbst sehr katholisch geprägte Gesellschaften wie in Italien oder Spanien kennen keinen Friedhofszwang. Deutschland und Österreich stehen damit europaweit allein da – und innerhalb Deutschlands ist Bremen bislang der einzige Vorreiter einer Liberalisierung. Denn: Auch die grüne Gesundheitsministerin von NRW lehnte eine Aufhebung des Friedhofzwangs erst vor wenigen Tagen ab.

In Bremen hingegen steht die Mehrheit. Aber sie steht auch vor zwei ungelösten Problemen. Zum einen wies der Verfassungsrechtler Dian Schefold in einem Gutachten kürzlich darauf hin, dass bei einer Liberalisierung in jedem Einzelfall ausführlich geprüft werden müsse, ob der geplante Umgang mit der Urne genehmigungsfähig ist.

Das zweite Problem ist nicht organisatorischer, sondern sozialer Natur: Rutschen Arme nicht automatisch in eine noch kostengünstigere Bestattungsschiene, wenn gesetzlich dafür allerlei Möglichkeiten eröffnet werden?

„Es gibt auch eine soziale Würde“, mahnt Peter Erlanson von der Linkspartei – und richtig sei immerhin, dass der Friedhofszwang bislang „eine gewisse soziale Gleichheit“ garantiere. Die Linke ist am klarsten für die Liberalisierung – hat gegen das Eindringen von Sparmotiven in die Beerdigungsdebatte jedoch keine Vorschläge.

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