piwik no script img

Debatte Nahost Die Welt der Politprofis

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Kommt endlich Bewegung in die Verhandlungen um Syrien, weil der Machtwechsel in Kiew die russische Regierung schwächt?

Joschka Fischer will zurück auf die Bühne der Weltpolitik, und der UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, findet das gut. : dpa

D ie Sicherheit in Deutschland ist bedroht. Joschka Fischer kennt sich aus und er ist in Sorge, zumal nur er die Gefahr zu erkennen scheint. Welche? Syrien. Auf die Idee muss man erst mal kommen.

Ort des Bekenntnisses ist ein Gespräch, das die Grüne-Bundestagsfraktion mit dem UN-Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi, im Bundestag vor zwei Tagen veranstaltet hat. Sicher nicht alle deutschen Dschihadisten, die nach Syrien in den Kampf reisten, werden dort ihr Leben lassen, führt der ehemalige Außenminister aus: Einige kämen sicher zurück. Was dann? Ja, was dann, Herr Fischer: ein heiliger Bürgerkrieg in Berlin oder in der Eifel?

Auch der Leiter der Friedensverhandlungen Genf I und Genf II setzt auf den persönlichen Bezug und erinnert sich an seine Gefühle. Anders als Fischer will Brahimi aber keine Aufmerksamkeit durch Angst erzeugen, sondern durch Scham.

Nie mehr werde er einen Fuß in ein syrisches Flüchtlingslager setzen. Er habe das Elend dort gesehen, er war in Jordanien und auch in der Türkei. Dort habe er sich geschämt, und zwar so sehr, dass er niemals zurückkehren werde. Fischer springt ihm bei: Die Situation im Nahen Osten sei tatsächlich äußerst deprimierend. Bleiben wir also in den Konferenzräumen. Und tun dort was?

Joschka Fischer und Lakhdar Brahimi haben sich gern

Brahimi will unbedingt weiter verhandeln und hofft auf Genf III. Alles andere hätte bei einem Diplomaten auch verwundert. Ansonsten ließ er sich nicht die Karten schauen. Ob es einen Zusammenhang gäbe zwischen der neuen russischen Konzilianz und ihrer politischen Niederlage in der Ukraine? Immerhin wurde letzte Woche erstmals eine UN-Resolution zur humanitären Hilfe für Syrien einstimmig beschlossen. Alle hatten mit einer Enthaltung Russlands gerechnet, doch es kam anders. Warum?

Leider gab Brahimi keine Auskunft über das geopolitische Geschachere, das Syrien zur größten Katastrophe gemacht hat, die wir gegenwärtig auf der Welt haben. Syrien für sich genommen sei kompliziert genug, Osteuropa halte man da besser heraus, wiegelte er ab.

Schade. Von Politikern und Diplomaten, die wenig Interesse zeigen, sich mit der konkreten Situation in Syrien zu beschäftigen, sondern in der kleinen Welt der großen Politik verweilen, von ihnen hätte man gerne zumindest die groben Verhandlungslinien skizziert bekommen. Aber die sind nicht für das Fußvolk bestimmt. Das bedient man lieber mit in Sorgenwölkchen eingehüllten Floskeln: Sind wir nicht alle ein bisschen Opfer, weil so überfordert von der Weltlage?

Dabei wäre Solidarität die einzige legitime, da konstruktive Haltung gegenüber dem Leid der anderen. Doch Fischer und Brahimi setzen wie die meisten Politiker weltweit auf moralisierende Unverbindlichkeit. Das ist frustrierend. Die Darbietung der Konferenzprofis lässt einen ratlos ermattet zurück.

Es geht auch anders: Das Beispiel Gordon Brown

Ortswechsel. Nahezu zeitgleich zum Podium gibt ein gleichfalls ausrangierter Spitzenpolitiker der CNN ein Interview. Gordon Brown ist heute UN-Sonderbeauftragter für Erziehung und mobilisiert seit Monaten für ein riesiges Schulprogramm für die vertriebenen syrischen Kinder. Im Libanon sollen die etwa 400.000 Schulpflichtigen Unterricht auf Arabisch erhalten.

Brown verbindet damit die hohe Politik mit den Bedürfnissen auf der Straße, und er betont: Bildung bedeutet Zukunft, und Kinder ohne Zukunft sind sozialer Sprengstoff, irgendwann womöglich auch ein Sicherheitsproblem. Vor allem aber sind sie unschuldig. Pro Schüler soll der libanesische Staat rund 6 Euro pro Woche bekommen. Der libanesische Premier unterstützt das Vorhaben, aber noch ist das nötige Geld nicht gesammelt.

In Projekte zu investieren, die Strukturen schaffen, damit der Einzelne mit dem erfahrenen Elend umgehen und sein Leben wieder gestalten kann, ist genau das Gegenteil von den warmen Worten, die Brahimi und Fischer routiniert verloren haben. Es eröffnet Perspektiven. Das ist angesichts der verfahrenen Lage zwischen den Global Players das Mindeste, was zu tun ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.