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Kommentar Krim-ReferendumStatisten im Moskauer Schauspiel

Thomas Gerlach
Kommentar von Thomas Gerlach

Nach dem Jubel-Sonntag beginnt die Zeit der Ausnüchterung auf der Krim. Die Bewohner der Halbinsel sind jetzt Geiseln von Putin.

Eine Frau wartet am Sonntag auf das Ergebnis des Referendums in Simferopol. Bild: dpa

6,8 Prozent der Krimbewohner stimmen für den Anschluss an Russland – so etwas nannte man, als Moskau noch der Nabel der Welt war, ein „machtvolles Bekenntnis“. Erst zwei Wochen sind seit der handstreichartigen Machtübernahme auf der Krim vergangen, und nun sind die Russen auf der Krim die Ukraine bereits los.

„Heim nach Russland geht es jetzt!“ rief Wladimir Konstantinow, der Präsident des Krimparlaments, am Sonntagabend, den Bewohnern der Krim zu und versprach Wohlstand und Glück. Das mag für das persönliche Wohlergehen des Multimillionärs gelten, die Krimbewohner selbst gehen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Denn ganz gleich wie die 96,8 Prozent zustande gekommen sind, die Befragten hatten nur etwas abzunicken, was andere für sie entschieden haben. Die vielen russischen Eiferer auf der Krim sind Statisten in einem Schauspiel, das Moskau gemeinsam mit halbseidenen Lokalpolitikern inszeniert hat, um die Ukraine zu demütigen, seine „Partner“ im Westen zu düpieren und um Russland aufzurichten. Jetzt sind die Krimbewohner, ganz gleich ob Ukrainer, Russe oder Tatar, Geiseln von Wladimir Putin. Er wird mit ihnen und ihrem Votum verfahren, wie es ihm in den Kram passt.

Will er die EU und die USA besänftigen, bremst er das Tempo und lässt die Halbinsel über Jahre als Operettenstaat schmoren mit Unterweltgrößen an der Spitze und prügelnden „Selbstverteidigungskräften“ als Polizei. Will er seinen Untertanen imponieren, verleibt er sich die Krim zügig ein und rüstet die Schwarzmeerflotte auf. Will er die Ukraine weiter destabilisieren, zündelt er auf der Krim und an ihren Rändern immer weiter. Die Krimbewohner sind nur noch Zaungäste. Noch einmal werden sie nicht gefragt.

Solche Feiertage wie der Sonntag wird es trotzdem weiter geben. Bereits im April soll auf der Krim der Rubel eingeführt werden. Zumindest im Portemonnaie ist die Wiedervereinigung mit Russland bald perfekt. Dumm nur, dass Wladimir Putins Staatskunst den Rubel hat schwindsüchtig werden lassen. Auch wenn es für das russische Fernsehen kein Thema ist, auch die Bewohner der Krim werden bald merken, dass selbst glühende Patrioten im russischen Mutterland hektisch ihre Rubel in Dollar und Euro umtauschen und gen Westen schaffen, wo doch angeblich gerade der Faschismus aufersteht. Deren Banken jedenfalls vertrauen sie mehr als dem Kreml.

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Thomas Gerlach
Redakteur Reportage & Recherche
1982 Agrotechniker/Mechanisator; 1985 Film-Missionar, Diplom-Theologe, 1992/93 Staatliche Belarussische Lenin-Universität Minsk, 1997 Journalist, seit 2012 Reporter im Ressort Reportage & Recherche. Ehrungen: Bester Lehrling beim Pflügen der Herbstfurche im Kreis Burg b. Magdeburg (1983) Autor: Ukraine. Zwischen den Karpaten und dem Schwarzen Meer (Reiseführer, Trescher Verlag 2011). Aus aktuellem Anlass wieder als E-Book verfügbar.
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22 Kommentare

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  • Mit "Zündeln und Destabilisieren" kennen 'wir' im Westen uns ja aus.

     

    Ein ist klar, die Einwohner von Banderastan werden mit ihren neuen faschistischen oder neoliberalen Politikern, mit IWF und EU viel mehr Spass haben als die Einwohner der Krim mit Russland.

     

    Ich gehe davon aus, auch die EU wird noch viel Spass an Banderastan haben.

    Wie es Pepe Escobar sagt, "Russia 1, Regime Changer 0": http://theanondog.i2p.us/cgi-bin/src.py?140317060

    "Russland bleibt präsent im Schwarzen Meer mit vollem Zugang zum östlichen Mittelmeer. Und der Rest ist blah, blah, blah, blah."

  • Ich hatte gehofft, die taz würde sich nicht der russlandfeindlichen Propaganda der gleichgeschalteten Medien anschließen und das Thema differenzierter betrachten als die meisten Tageszeitungen. Aber auch hier lese ich die gleichen einseitigen Kommentare wie in allen deutschen Tageszeitungen. Ich verstehe nicht, warum sich die Meinungsvielfalt der Kommentatoren nicht in den Zeitungsartikeln wiederfindet. Sind sich die Journalisten alle einig, dass es richtig ist, einen Putsch gegen eine demokratische, aber russlandfreundliche Regierung zu fördern, aber es verwerflich ist, sich in einem Referendum gegen die neue Putschregierung auszusprechen, wenn die Alternative Russland ist? Da bleibt nur eine Reaktion: taz zahl ich nicht!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Wenn wir den Menschen in der Ukraine und in Russland ein besseres System des Zusammenlebens anbieten könnten, dann ...

     

    Aber weil wir auch nur Intrigen, Lügen, Heuchelei, mehr Verlierer als Gewinner, bzw. die unwahrheitliche und KAPITULATIVE Symptomatik des "freiheitlichen" Wettbewerbs um ... transportieren, sollten unsere "Treuhänder", "Experten", "Spitzenkräfte", bzw. FACHIDIOTEN das Maul und die Füße still halten!

  • Wenn man wirklich verstehen will, was gerade in der Ukraine passiert --->

     

    Bereits in seinem 1997 erschienenen Buch "Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie und Vorherrschaft", beschreibt er detailliert die politische Strategie gegenüber Russland. Brzezinski gilt neben Henry Kissinger als der führende Stratege der US-amerikanischen Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Das Buch ist ein Plädoyer für Amerikas Vorherrschaft. Ziel der amerikanischen Politik ist die Verhinderung der "Entstehung eines eurasischen Imperiums, das Amerika an der Verwirklichung seines geostrategischen Ziels hindern könnte..." Auf Seite 74 resümiert Brzezinski "Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr". Das geostrategische Ziel Amerikas ist und bleibt daher die Trennung der Ukraine von Russland, wodurch Russland zu einer "bedeutenden Mittelmacht", mit anderen Worten nicht mehr Weltmacht degradiert würde.

     

    http://www.goldseitenblog.com/heiko_schrang/index.php/Tagesgespraech-Schrang/wurde-bereits-1997-durch-die-usa-eine-ve

  • Verehrte Taz-Autoren*Innen , man sollte unterstellen dürfen , dass Sie diese Rede von Gregor Gysi im Bundestag kennen , s. :

    https://www.youtube.com/watch?v=ezEjykTJjVk

    Diese Rede setzt einen Maßstab des Niveaus dafür , was Sie künftig zum Konflikt um die Ukraine hier abzuliefern sich getrauen sollten .

    (Dass sich nach dieser Rede keine Hand außer derjenigen der Abgeordneten der Linke zum Applaus rührte , ist für mich die beschämendste Scene des Parlamentes seit langem gewesen . Vielleicht lag es auch daran , dass jedes Wort und jeder Satz voll ins Schwarze traf , unbestreitbar , richtig . CDUCSUSPDGRÜNE sind darob in Schockstarre gefallen )

  • Dass Russland, als zusammengeschrumpfter imperialistischer Staat, Wege sucht, um sein Territorium erneut zu erweitern, ist logisch. Aber was bringt es diesem Land? Eigentlich nicht viel. Nun hat man also die Krim mitsamt Krimsekt heim ins Reich geholt, und viele Russen freuen sich daran, ihre Schwarzmeerflotte wieder im eigenen Land zu haben. Besser waere es gewesen, sich der EU weiter anzunaehern und die Zusammenarbeit so zu gestalten, dass eine grosse Eurasische Zusammenarbeitsgemeinschaft entsteht, die auf eine friedliche und wirtschaftlich interessante Entwicklung setzt. Nun muessen alle durch diese Krise, aber danach werden hoffentlich in Russland solche politischen Kraefte an Bedeutung gewinnen, welche den absurden russischen Nationalismus wieder beenden und gute Annaeherung und Zusammenarbeit aus sind.

    • @Karl-Ludwig Diehl:

      Zitat: "Besser waere es gewesen, sich der EU weiter anzunaehern und die Zusammenarbeit so zu gestalten, dass eine grosse Eurasische Zusammenarbeitsgemeinschaft entsteht,2

       

      Herr Diehl, das ist gerade das, was die USA mit aller Kraft verhindern wollen. Und das gelingt Ihnen auch. Der bewaffnete Umsturz in der Ukraine, gesponsert und organisiert hauptsächlich durch die USA, ist ein Versuch Europa zu spalten und einen Keil zwischen der EU und Russland zu treiben.

  • Merkwürdigerweise ist ein Kommentar von mir inkl. der Antworten verschwunden.

     

    Putins Zensur?

  • AF
    Altes Forum

    Hallo Thomas Gerlach,

    warum benutzen Sie nicht den korrekten Begriff für die Geiselei?

    Auf der Halbinsel Krim leben nun die ausgenüchterten Flagellanten!

  • B
    Brutin

    Auch in der taz nur Falken. Es scheint, als hoffen alle auf einen "deutschen Moment"(FAZ). Ob Herr Gerlach nicht lieber bei seinen "Reiseführern" bleiben sollte? Die Deutschen plustern sich mal wieder in Sachen Mensch auf. Und dazu bedarf es bekanntlich(?)des Teufels an der Wand. Wie sich das vor dem Hintergrund einer Krisenlösungspolitik ausnimmt, der die Griechen, Spanier, Franzosen, Portugiesen, Italiener, Deutschen, usw. usf., also: der Menschen, scheissegal sind? Der EU und sogar der BRD sind und waren die Ukrainer völlig schnuppe. Allerdings nur solange sie keine "Transfers" beziehen wollen. Was man hierzulande von den Ukrainern hält, hat nicht erst die Visa-Affaire deutlich gemacht.

  • G
    Gastname

    Erstaunlich ist an diesem Ergebnis nur, dass Putin selbst nach der Invasion und einer Mehrheit pro Russland auf der Krim zur Wahlfälschung greifen muss.

    Waren die Ergebnisse denn doch schlechter als die Prognose erwarten ließ?

    Altstalinisten werden frohlocken, aber deren Meinung ist ohnehin keinen Heller wert.

     

    Unabhängig hiervon geht die Krim einen dunklen Weg -zusammen mit Russland. Die Rest-Ukraine dürfte sich jetzt noch geschlossener für die Zugehörigkeit zur Freien Welt entscheiden.

     

    Putin hat das Ende der russischen Imperialgelüste eingeleitet, so wie der Mauerfall das Ende des Kommunismus als Keim gesät hat.

    • @Gastname:

      Ich hab's schon woanders geschrieben:

       

      Das Ergebnis ist gar nicht so unrealistisch. Die Leute, die gegen die Wiedervereinigung mit Russland sind, haben das Referendum boykottiert. Die anderen haben dafür gestimmt.

       

      Der ehemalige pro-russische Präsident Yanukovych ist auf der Krim mit 84% gewählt worden. Die heutigen Machthaber sind auf der Kim anscheinend extrem unbeliebt. Angeblich herrscht dort eine starke Sowjetnostalgie, weil dort viele aktive und ehemalige Militärs wohnen, die von vergangener Größe träumen.

       

      Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 80%; es haben 95% für die Wiedervereinigung gestimmt. Die Zustimmung in der gesamten Bevölkerung lag also bei:

      0.8 * 0.95 = 0.76 also 76%.

      Das ist vergleichbar mit dem Wahlergebnis von Yanukovych.

       

      Also ist das Wahlergebnis durchaus wahrscheinlich, und weder Resultat einer Fälschung noch von exzessiver Propaganda.

      • G
        Gastname
        @Eike:

        Kaum... Die Wahlbeteiligung lag bei 83 Prozent. Selbst wenn ALLE (!) Wahlverweigerer Ukrainer (25 v.H. der Bevölkerung) waren, hätten 8 Prozent an der Abstimmung teilgenommen, was bei der Wahlbeteiligung einer Quote von über 10 Prozent entsprochen hätte.

         

        Dazu kommen dann allerdings auch noch die Krimtartaren (12 Prozent der Bevölkerung der Krim). Die haben mehr unter den Russen gelitten, als die Ukrainer.

         

        Nein, die Zahlen sind absolut unglaubwürdig. Die Russen stellen keine 60 Prozent der Bevölkerung, die Wahl wurde getürkt.

        • @Gastname:

          Mag sein, dass diese Wahl manipuliert war.

          Ihre Zahlen über die Zusammensetzung der Krimbevölkerung sagen dazu allerdings herzlich wenig aus.

          Denken Sie bitte nach, bevor Sie sich auf solche Zahlenspielereien einlassen, denn diese Zahlen sagen über die Wahl nicht viel aus.

          Es gibt zu viele mögliche Fehlerquellen: Ukrainer die pro-Russland gewählt haben beispielsweise. Da die Wahl lediglich aus den Möglichkeiten 1. Angliederung an Russland und 2. Autonomie der Krim bestand ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch Ukrainer ihr Kreuz in diesem Fall für Russland abgegeben haben.

  • "Denn ganz gleich wie die 96,8 Prozent zustande gekommen sind, die Befragten hatten nur etwas abzunicken, was andere für sie entschieden haben. Die vielen russischen Eiferer auf der Krim sind Statisten in einem Schauspiel, das Moskau gemeinsam mit halbseidenen Lokalpolitikern inszeniert hat,..."

    seltsam, genau dasselbe haben EU und USA doch in Kiew gemacht. Und das Assoziationsabkommen mit der EU, da brauchen die braven Ukrainer noch nicht einmal abzustimmen, das handelt die Regierung in Kiew auch ohne Wahl aus.

    Inzwischen wird es wirklich lächerlich. Kann nicht wenigstens ein Mainstream-Journalist mal ein wenig kritisch an die Geschichte herangehen?

  • OR
    Opa Rodenwald

    "Die Geiseln von Putin"? Gehts noch dicker aufgetragen. Dann sind die Deutschen wohl auch die Geiseln von Brüssel?

  • PH
    Peter Haller

    Dieser Kommentar ist bislang der absolute Höhepunkt der tazschen Verwirrungen in den letzten Wochen !

    Kommt der Autor etwa aus der DDR und hat sich mitsamt seinen 16 Mio. Revolutionären der D-Mark an den Hals geschmissen ? Und ist jetz gefrustet ?

    Und warum macht er sich über die "russischen Eiferer" lustig ? Was waren denn die wir-sind-das-Volk-Schreier, waren das ostdeutsche Eiferer ? Die Leute haben abgestimmt, ganz einfach. Und dass jetzt solche Klugscheisser daherkommen und all diese Leute quasi als debile Volltrottel darstellen, nur weil es ihnen nicht in den Krim-Kram passt macht mich wütend ! Und dass die sich jetz alle in der taz austoben dürfen macht mich sprachlos.

    • @Peter Haller:

      Mein DigiTaz-Abo habe ich schon gekündigt , vielleicht bald auch meine freiwillige Dauerzahlung .

      Schade . Die Kornelius-Beise-Kister(et al)-SZ ist schon länger für mich unlesbar geworden , ...die taz doch bitte nicht auch noch .

    • @Peter Haller:

      Genau. Immer wenn Du denkst, schlimmer geht es nicht, ....

       

      Bei den angeblichen Geiseln von Putin scheint sich aber ratz fatz das "Stockholm Syndrom" breit gemacht zu haben, denn immerhin ca. 96 % haben sich auf die Seite ihres Geiselnehmers gestellt.

       

      Wie geht es eigentlich den Geiseln in Venedig (Venetien)?

  • Erstaunlich . Sonst gibt es in diesem Lande der 'marktkonformen Demokratie' Umfragen zu allem Möglichen . Anläßlich und zum Thema des Mainstream-Propaganda-Trommelfeuers "Ukraine-Krim-Annexion-Russland" - ... Schweigen im Walde bei den bekannten Umfrageinstituten . Kann natürlich reiner Zufall sein . Wenn man's glaubt .

  • SO
    Schach oder Russisch Roulette?

    Einiges deutet darauf hin, dass die Ukrainekrise schon seit Ende der 1990er Jahre von VS-amerikanischen Neocons strategisch vorbereitet wurde. Aus der Sicht des Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski stellt sie einen wichtigen Zug auf dem geopolitischen "Schachbrett" dar.

     

    Linkhinweise

    http://www.infowars.com/obamas-former-foreign-policy-adviser-said-in-1997-that-the-u-s-had-to-gain-control-of-ukraine/

     

    https://www.youtube.com/watch?v=MouUJNG8f2k

     

    http://www.globalresearch.ca/video-brzezinski-s-feared-global-awakening-has-arrived/22995

  • Oh je , liebe Krimbürger*Innen , ... sogar die Glaskugelgucker und Horoskopisten von der taz sehen leider für euch nur eine schaurige Zukunft voraus ! Besser : Nicht mal ignorieren !