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Der ESC als ZumutungHuch, Abendland!

Rechte und Rechtspopulisten verachten den Eurovision Song Contest als schwul und dekadent. Das beflügelt die Party erst so richtig.

Für Homohasser kaum zu ertragen: Österreichs Beitrag zum ESC, Conchita Wurst. Bild: ap

Man darf das, was im Kreml und um ihn herum so gesprochen hat, schon ernst nehmen. Es ist nicht ganz falsch, wenn es heißt: Das Europa jenseits Russlands sei der Dekadenz anheimgefallen und müsse mithilfe von Glauben und nationalem Führerkult gerettet werden. „Gayropa“ nennt man in Russland diesen Kontinent gern, den man doch nur retten möchte.

Europa als politische und gesellschaftliche Community, die Minderheiten schützt, in denen überhaupt Dissidenzen ertragen werden, wird als „schwul“ abgetan: Und haben, wie erwähnt, diese Kremlisten, die in rechten und sonst wie populistischen Kreisen so viele Freunde gefunden haben, nicht recht? Als wichtigste Beispiele für die Verkommenheit Europas gelten die Homoehe – und der Eurovision Song Contest. Darum hat sich auch die Türkei im vergangenen Jahr auf Geheiß ihres islamischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vom ESC zurückgezogen.

Denn dieses Festival, bei dem viele nicht mehr sozialistische Länder seit zwanzig Jahren dabei sind, gilt als Event des schlechten Geschmacks, der kulturellen Überflüssigkeit und des Versagens aller staatspädagogischen Mühen um das Gute, Wahre und Schöne. (Wer von linker Seite sich in dieser Kette an Vorwurfshaftigkeit wiederfindet, möge sich fragen, ob das, was er für Kritik hält, nicht vor allem Ressentiment ist.)

Tatsächlich war dieser europäische – und europäisierende – Wettbewerb, den es seit 1956 gibt, stets politisch aufgeladen und bleibt es auch. Vor allem aber ist er das Kernstück jener schwulen Sehnsüchte, die sich auf Oper und Klassik spezialisieren: Der Grand Prix Eurovision de la Chanson musste stets übernational und antiprovinziell funktionieren. Schwule Männer in Deutschland oder den Niederlanden, Frankreich oder Belgien haben sich schon in den sechziger Jahren zu Partys verabredet, um diesen Mix aus Sprachenvielfalt, Divenalarm, Fremdbeschämung, Hymnischem und Ergreifendem gemeinsam zu genießen.

Refugium schwuler Pop-Interessen

Der Eurovision Song Contest war, ohne dass dies früher je theoritisiert worden wäre, ein Refugium schwuler (und überhaupt queerer) ästhetischer Pop-Interessen, weil der coole Pop (Beatles, Rolling Stones und so weiter) heterosexuell vereinnahmt war. Straighte Musik, die sich aufs Immergleiche reimte wie: Man trifft Frau oder Frau trifft Mann, gemischtgeschlechtlicher Liebeskummer und so weiter.

Der ESC hingegen war das Antigift: Hier wurden Tragödien international vorgelebt, Triumphe, magische Momente, das Gefühl von One Moment in Time. In diesem Schmäh heterosexuellerseits steckte also immer die Botschaft: Du, Homo, musst dich unserem Geschmack anpassen, sonst kannst du nicht zeitgenössisch sein. Die Ikone aller ESC-Freunde heißt übrigens Abba, die Popgalaxie, die der ESC 1974 geboren hat und als ideale Familie mit zwei guten Müttern und zwei guten Vätern gilt, in der alle freundlich und nett miteinander umgehen, Doppeleltern, die ihre Kinder, und seien sie noch so anders als die anderen Jungs und Mädchen, sehr lieben. (So in etwa muss man sich die kollektiven Imaginationen vorstellen.)

Natürlich sind jene 120 Millionen Menschen, die das Grand Final des ESC am Samstagabend gucken werden, nicht alle schwul oder lesbisch oder trans oder sonst wie nichtheterosexuell. Im Gegenteil: 90 Prozent gewiss bleiben im heteronormativen Rahmen. Es ist wie beim Fußball, nur umgekehrt: Für Fußball interessieren sich Homos nicht, hieß es früher, weil man sich Schwule nicht als Männer vorstellen wollte.

Tröstliches für Nonheteros

Irgendwann, so in den Neunzigern, gab es unter den Nonheteros theoretisch Tröstliches: Man konnte im Namen von Queerness das Schräge, das Andere, das Bizarre, das Flamboyante schätzen. Heteros üben seither Toleranz und sagten gönnerhaft: Sind die Schwulen nicht schön schrill? Hieß auch: Die sind nicht ganz bei Trost, aber lass sie mal.

Unter der Hand hat sich seit Ende der achtziger Jahre ein europäisches Netzwerk von Fangruppen und Aficionados des ESC herauskristallisiert: eine Graswurzelbewegung queeren Pops, die von Island bis Israel, von der Türkei bis Finnland reicht. Das Internet machte es möglich: Man kommuniziert ganzjährig. Was sonst könnte ein kultureller Fluss des Europäischen sein, sogar unabhängig von den Grenzen der EU?

Am Samstag könnte beim Grand Final eine Österreicherin gewinnen, Conchita Wurst heißt sie, im wahren Leben ist sie ein Mann und schwul, auf der Bühne eine Drag Queen in vorläufig höchster Vollendung. Es wäre ein Triumph mit einem Lied im queeren James-Bond-Style, eine Klimax an Zumutung für alle, die sich Europa nur als Matrix von Nationalismen vorstellen wollen. Ja, der ESC ist dekadent. Es lebt sich herrlich in diesem Freisinn.

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16 Kommentare

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  • Alsdo ich finds

    toll das Herr Wurst aus Östereich die Europawahlen, nein den Grand Prix della Schongsong, da wünscht man sich mal so eine engagierte Wahlbeteiligung und Wahlkampf, gewonnen hat. Als Schadenfroher ami hätt man sich eine Russin gewünscht mit dem Outfit, also Russen, obwohl in Texas auf dem Land, red man wahrscheinlich auch nicht anders über Transsilvanien, Hollywood ist nicht Wyoming, wahrscheinlich. Hab den Sangeswettbewerb diesmal nicht gesehen. Als die ersten Bilder von Herrn Wurst in den Medien waren, dachte ich erst: Oh nee, der „Rusdslandfeldzug geht weiter, dann aber 2 Tage später kam auch ich an der Berichterstattung nicht vorbei und erfuhr dass das ein Herr Wurst aus Österreich sei und ich jubelte mit allen Österreichern. So ähnlich. Denen gönn ichs, hab ich gedacht, fast Schadenfreudig. Kriegen die mal ein anderes Image, alsHaider, Autobahnen und Arnold Schwarzenegger. Wie man wohl im Weisswurstland über Herrn Wurst redet. Wahrscheinlich ist man Heilfroh nochmal davongekommen zu sein.

    Die Vorhersagemaschine glaubt: Wer Geld hat, der hat Erfolg. Wer Erfolg hat der hat Recht. Wer Geld hat, der hat Recht.Sagen die Börsen…Kann ich nix für, wegen des Berechnungskoeffizienten : Wachstum = (Löhne + Arbeitsplätze + Bevölkerungswachtum )= Minus +Börse=PLUSHalten wir uns 3, oder 4 Mio Arbeitslose? Weil nach Erwerbsregel188 große Nachfrage nach Arbeit= niedrige Löhne, bei Vollbeschäftigung 0 kleine Nachfrage=hohe Löhne. …? Apropo, was fehlt: Hady Khalil, Berliner Sparkasse, KTO:1062759091, BLZ: 10050000. Stichwort: 1 Euro fürs Rechthaben. Vielen Dank

  • Meine (musikalisch interessierten und aktiven) schwulen Freunde jedenfalls würden einen hysterischen Schreikrampf bekommen, wenn irgendjemand sie als Groupies dieses europäischen Hupfdohlenevents bezeichnen würde - sie kennen sich mit der gesellschaftlichen Realität aus: Die "Fans" dieser unsäglichen Show sind immer noch mehrheitlich die Pinneberger Hausfrauen, deren unterirdischer Musikgeschmack sich aufs schönste mit ihrer kreischenden Anwesenheit auf dem alljährlichen "Schlagermove" verträgt. Hossa!

  • Lieber GEGGE

    wie schaffen Sie es denn, den Nazi Begriff im ESC Rahmen unterzubringen?? Aber wenn Sie unbedingt Fragen wollen: Spießiger Piefke wäre ok. Oder missmutiger spaßbefreiter Griesgram. Aber so möchte ich sie nicht titulieren.

  • Endlich hat auch hier ide Zukunft Europas gesiegt. Das ist doch ein Grund zur Freude - und ihr jammert hier ?!

  • Es kann im nächsten Jahr von mir aus auch ein Mann mit angenähten Kuheutern als Titten und einer Gurke im Arsch auftreten. Wen interessierts? Oder eine Frau mit Brusthaaren und Schwänzen als Ohren. Wen interessierts? Leuten wie mir gefällt die Musik halt nicht. Es beleidigt meine Ohren. Mein Grund es nicht anzusehen. Wem es gefällt, jaa supi. Jedem das seine. Bin ich jetzt Nazi?

    • @Gegge:

      jo, aber nur weil "jedem das seine" über einem kz tor hing, ansonsten bist du nur ein ganz normaler, popverachter mit mangelnder NS-zeit bildung und sehr nachvollziehbaren musikgeschmack :)

  • Meine Güte. Scheinbar muss in alles irgendein Zusammenhang mit schwul sein hergestellt werden. Auch du hast dich gefälligst für Schwule einzusetzen, sonst bist du Nazi! Pass bloß auf, sonst kommst du an den Pranger! Lesben werden hier selten bis nie erwähnt und alles mit einer Mänerwelt in Zusammenhang gebracht - schwul. Außer wenn dann doch mal das Wort "homosexuell" fällt. Ich kenne weder Schwule und Lesben die Taz lesen - kann aber Zufall sein. Die lachen sich doch genauso darüber kaput. Der ESC ist also quasi einer der Geburtsorte des homophilen Europas, oder wie soll ich den Text verstehen? Interessant wäre es, zu überprüfen wie viel Homo-Künstler es tatsächlich seit dem ersten ESC gab. Meines Wissens eine verschwindend geringe Menge. "Huch Abendland". Na klar, alle die den ESC überflüssig finden sind Ewig-Gestrige Omi-Opis, vielleicht gar Putinversteher - geht gar nicht. Da muss man ein Zeichen setzen. Jeder soll seine Sexuaität ausleben wie er will. Ob es da eurer Hilfe bedarf, Taz? Ihr könntet Euch auch für alleinerziehende Mütter einsetzen! Tut ihr nicht. Bin ich jetzt ein Nazi, weil ich das vorschlage?

  • Schwul müsste man sein.

    Ein schwuler Freund von mir darf ohne mit Ressentiments zu rechnen den ESC als "Schwule Scheiße" bezeichnen.

    Ich bin leider nur bi und wahrscheinlich würde man mir aufgrund meiner Fähigkeit, auch Frauen erotisch finden zu können, das als "Schwulenfeindlichkeit" auslegen, wenn ich mich dieser Meinung anschließen würde, so sehr ich auch diese Aussage inhaltlich mittrage.

     

    Ob es dann wohl ein Zeichen der Popkultur ist, dass bis auf ABBA und Katharina and The Waves nie ein Lied, dass da gewonnen, auch kommerziell ein Erfolg wurde. Dass man eben bis auf die o.g. Ausnahmen man das Glück hat, niemals ein dort gespieltes Lied im Radio hören zu müssen.

    Popkultur und unsere Radios sind entweder doch sehr rechtspopulistisch ausgerichtet oder es wird dort einfach nur Zeug gespielt, dass sich keiner anhören will.

    • @Age Krüger:

      Das man den Mist anschließend womöglich nicht hört, werte ich (wie sie) als Glücksfall.

  • Werde mir trotz aller zuweilen durchscheinenden Seichtheit und Beklopptheit auch dieses Jahr den ESC ansehen! So ein bisschen Europa-Feeling ist doch ganz nett, und es sind tatsächlich auch gute Sänger und Sängerinnen mit tollen Liedern dabei.

    Und angesichts des Artikels ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich als bekennender Hetero und zweifacher Vater kein schlechterer Mensch bin als ein Schwuler oder sonstig orientierter.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Der ESC interessiert mich deshalb nicht, weil man dort seichte Musik zu hören bekommt, die mit großer Geste inszeniert wird. Letzteres gilt natürlich auch für Conchita Wurst. Aber ihr Song, obwohl ich ihn mir gewiss nicht kaufen würde, ist ebenso gut wie ihre Performance. Ob sie ein Mann ist und eine Frau darstellt, ist mir hingegen wurscht.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Seichte Musik... tja, was das ist, das bleibt der Einschätzung jedes Einzelnen überlassen. Der EuroSong hat früh den Klamauk in die Seriösität eingebunden, einfach nur weils Spass macht, sich nicht immer nur ernst zu nehmen! Russische Rentnerinnen, verkleidete Hühner, ein herumhopsender Guildo Horn oder ein schmachtender Udo Jürgens... der ESC ist DAS europäische Musikereignis des Jahres. Wers nicht mag, der muss es nun wirklich nicht gucken.

  • "Rechte und Rechtspopulisten verachten den Eurovision Song Contest als schwul und dekadent."

     

    Nur weil man den Mist nicht mag ist man Nazi? Das geht aber einfach...

    • @DasNiveau:

      Empfehle Ihnen einen Grundkurs in Aussagenlogik. Die Aussage, dass Rechte und Rechtspopulisten den ESC nicht mögen, schließt nicht aus, dass auch andere Menschen den ESC nicht mögen, warum auch immer. Daher können Sie aus dieser Aussage nicht ableiten, dass, wer den ESC nicht mag, ein Nazi sei. Etwas Logik ist doch manchmal ganz nützlich.

      • @vulkansturm:

        Sie meinen Prädikatenlogik. ;-)

        • @TestundTester Onea:

          Naja, da reicht sogar Aussagenlogik, um zu zeigen, dass die Prämisse von @DASNIVEAU Bullshit ist. A→B impliziert nicht B→A.