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Führungsduo der LinksparteiAllen wohl und niemand wehe

Katja Kipping und Bernd Riexinger haben ihre zerstrittene Partei in den vergangenen zwei Jahren halbwegs versöhnt. Doch der Konsens hat einen Preis.

Gleich knutschen sie! Katja Kipping und Bernd Riexinger beim Parteitagauftakt in Berlin. Bild: dpa

BERLIN taz | Wenn man in der Linkspartei vor dem Bundesparteitag am zweiten Maiwochenende skeptische Stimmen zu dem Duo Bernd Riexinger und Katja Kipping sucht, muss man ziemlich vielen Leuten ziemlich viele Fragen stellen. Harmonie überall. Bodo Ramelow, der im Herbst Chancen hat, in Thüringen der erste Linkspartei-Ministerpräsident der Geschichte zu werden, sagt: „Ich bin mit der Parteispitze sehr einverstanden.“ Die Kombination aus jünger/älter, Ost/West, Mann/Frau funktioniere bestens.

Bernd Riexinger, der schwäbische Ver.di-Funktionär, wurde Anfang Juni 2012 fast ohne parteipolitische Erfahrung und halb zufällig Parteichef. Mittlerweile gilt der im Fernsehen etwas schwerfällig wirkende undogmatische Linke nicht nur in der Partei als Glücksgriff. Die FAS, den Linkssozialisten sonst eher fern, beschrieb den uneitlen Gewerkschafter als attraktives Gegenmodell zu den Alphatier-Politikern.

Riexinger, so Ramelow, hatte „keine Ahnung vom Osten“. Doch bei seinen Basistouren zwischen Zwickau und Stralsund seien dem Westimport mit seiner offenen Art „die Herzen der Genossen zugeflogen“.

Den Chef der thüringischen Linksfraktion freut auch, dass die Parteiführung „offensiv die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Erfurt unterstützt“. Die Zeiten, als Parteichef Oskar Lafontaine Rot-Rot im Osten unter Generalverdacht stellte und die Westlinke Ostreformer mit engen Haltelinien für Regierungsbeteiligungen einschnürte, sind eher vorbei. Es scheint eine Arbeitsteilung zu geben: Sahra Wagenknecht stimmt im Bundestag das übliche Tremolo gegen Hartz IV, soziale Ungerechtigkeit und Kriegseinsätze an – in den Ländern macht man unbehelligt Realpolitik.

Janine Wissler (32) ist Fraktionschefin in Hessen. Dort sind die Linkssozialisten, anders als in NRW und Niedersachsen, noch im Landtag. Wissler kommt aus der neotrotzkistischen Gruppe Marx 21, hat sich aber in den Rot-Rot-Grün-Verhandlungen in Wiesbaden realoartig verhalten. Am Ende waren es die Grünen, die lieber mit der CDU koalieren wollten. Wissler ist eine der wenigen politischen Nachwuchshoffnungen aus dem Westen.

Linken-Parteitag

Vom 9. bis 11. Mai halten rund 500 Deligierte der Linken im Berliner Velodrom ihren Parteitag ab. Zum Auftakt sprach die Spitzenkandidatin für die Eruopa-Wahl am 25. Mai, Gabi Zimmer. Sie bekräftigte die Kritik an der Ukraine-Politik der EU und fügte hinzu: „Es ist doch gut, wenn wir Russland-Versteher sind.“ Zimmer distanzierte sich zugleich von dem für das Wochenende geplanten Referendum prorussischer Separatisten in der Ost-Ukraine. Dieses „Abspaltungsreferendum“ halte sie nicht für gangbar, sagte Zimmer.

Trotz der Differenzen mit SPD und Grünen bekundete Parteichef Bernd Riexinger die Bereitschaft zu einem Dreierbündnis. Seine Wiederwahl gilt als sicher, genau wie die von seiner Ko-Vorsitzenden Katja Kipping, es gibt keine Gegenkandidaten. Zudem bewirbt sich Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn um eine weitere Amtszeit. Um den Vizevorsitz-Posten könnte es zu einer Kampfabstimmung (s. drittletzter Absatz). (dpa)

Sie ist jung, rhetorisch geschickt, kann radikal und pragmatisch. In Berlin wird sie, neben Caren Lay, zur Vizechefin gewählt. „Katja Kipping und Bernd Riexinger haben die Partei befriedet“, sagt sie. Und: „Die Basis ist zufrieden mit der Spitze.“ Also alles in bester Ordnung?

Vier. Diese Zahl beschreibt ziemlich genau, wo die Partei steht. Silvester 2013 gab es 63.756 Genossen, genau 4 mehr als ein Jahr zuvor. Der drastische Mitgliederschwund seit 2009 ist gestoppt. Aber so recht voran geht es auch nicht.

Der Parteitag wird Kipping und Riexinger mit gutem Ergebnis bestätigen. Das ist sicher – und Lohn für die moderate Art des Führungsduos. Nach dem Göttinger Parteitag 2012, als Gregor Gysi von „Hass in der Fraktion“ sprach, sehnten sich viele nach Ruhe. Zweifel an ihnen gibt es nur hinter vorgehaltener Hand. „Kipping ist nicht immer Teamspielerin“, grummelt ein Ostrealo.

Ratsfraktionen zerfallen

Wie erfolgreich die Linkspartei in den letzten zwei Jahren war, ist Ansichtssache. Von Göttingen aus gesehen sieht die Bilanz rosig aus. Doch die Partei hat seit zwei Jahren bei jeder Wahl Stimmen und Prozente verloren. In den großen Flächenländer im Westen ist man mit deprimierenden Resultaten aus den Landtagen geflogen.

taz am Wochenende

Freunde übernehmen heute Aufgaben, um die sich lange die Familie gekümmert hat. Aber bleiben sie auch, wenn es unangenehm wird? Einen Essay dazu lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Mai 2014. Außerdem ein Gespräch mit Manfred Stolpe. Er war Verkehrsminister, als er an Krebs erkrankt ist. Heute geht es ihm besser, als in manchen Zeitungen steht, sagt er. Und: Warum es exzentrisch ist, normal zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der Zustrom enttäuschter SPD-Leute zur Linkspartei ist längst versiegt – heute wechseln frustrierte GenossInnen eher zur Sozialdemokratie. Die Exfraktionschefin in Düsseldorf, Bärbel Beuermann, ist kürzlich in die SPD eingetreten. In etlichen Kommunen im Westen sind Ratsfraktionen zerfallen.

Ein Rezept der Parteiführung dagegen, klagt ein Genosse, sei „nicht zu erkennen“. Politisch steht die Partei 2014 im Niemandsland. Der Mindestlohn, auf den Gysi & Co. das politische Copyright haben, setzt inzwischen die Große Koalition um. Ein Erfolg. Doch eine ähnlich populäre Idee mit Langzeitwirkung fehlt den GenossInnen derzeit. Und eine Machtperspektive auch. Um Rot-Rot-Grün für 2017 aktiv zu forcieren, ist die Partei innerlich zu zerrissen. Anti-SPD steht noch immer auf ihrer Geburtsurkunde im Westen.

Riexinger und Kipping haben zwar die in heiserem Erregungston vorgetragenen Verratsvorwürfe Richtung SPD erfreulich gedrosselt. Doch in kleinteiliger Arbeit ein rot-rot-grünes Politprojekt anzuschieben, dazu reicht es nicht. Die Parteilinke hat auch keine Idee und tut, was sie immer macht: auf soziale Protestbewegungen warten.

Gregor und die sieben Zwerge

So halten Kipping und Riexinger zwar die noch immer von Strömungen und West-Ost-Logik regierte Partei zusammen. Doch der Konsens hat auch Schattenseiten. Als es galt, SpitzengenossInnen für den Bundestagwahlkampf 2013 zu finden, wählte man die einfachste Lösung: Die Partei trat mit acht Spitzenkandidaten an (Parteispott: Gregor und die sieben Zwerge), an deren Namen sich heute niemand mehr so recht erinnern kann. Kipping zitiert gerne als Vorbild den italienischen Linksintellektuellen Antonio Gramsci, dem zufolge es nicht um Herrschaft, sondern um Führung geht. Doch manches erinnert bei dem Linksparteiduo eher an Angela Merkels „Sowohl als auch“.

Für den Parteitag in Berlin wollen drei Männer für den Job des Vizevorsitzenden kandidieren. Dominic Heilig, 35, Ostpragmatiker und Pendant zu Janine Wissler. Bis 2017, fordert Heilig, müsse „unsere Politik genauer und anschlussfähiger werden“. Es reiche nicht, den Stopp von Rüstungsexporten zu fordern. „Wir müssen, möglichst zusammen mit den Gewerkschaften, Konversionsprogramme für die Rüstungsindustrie entwickeln.“

Neben ihm wollen der zentristische Wirtschaftsexperte Axel Troost, der den Posten bereits bekleidet, und der Friedensaktivist und linke Flügelmann Tobias Pflüger auf dem Stuhl des zweiten Vizes Platz nehmen. werden. Pflüger gehört zur Antikapitalistischen Linken (AKL).

Damit steht, aller Konsensrhetorik zum Trotz, mal wieder eine Kampfabstimmung zwischen den Flügeln auf der Tagesordnung.

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17 Kommentare

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  • Ich habe jetzt mal bei der Europawahl nicht mehr DIE LINKE gewählt seit Jahren. Zum einen sind die mir wirklich zu farblos geworden und man kann nur noch bestimmte Personen wie Wagenknecht oder Lafontaine gezielt wählen. Da hätte DIE LINKE ihre Stärke 2009 nutzen müssen und sich in einen linken Westteil und einen konservativen Ostteil spalten müssen.Bei Landtagswahlen im Westen hätte man sich ja einigen können, dass nur eine Liste antritt. (Hier in Niedersachsen wäre eine Kooperation mit den PIRATEN dringend angesagt, würde auch den Mitgliedern der PIRATEN helfen, die vernünftige Ansätze haben.)

    Neben der Farblosigkeit hat mir allerdings das Abstimmungsverhalten der jetzigen Europaparlamentarier zur Tabakverordnung den Rest gegeben. Die haben einfach dafür gestimmt, egal, was im Parteiprogramm zur Drogenlegalisierung steht. Wenn ich schon Mentholzigaretten verbiete, dann brauche ich keine Hoffnung zu haben, dass das mit der Legalisierung von thc ernst gemeint ist.

     

    Und da das Parlament eh nur eine Laberbude lt. BVerfG ist, muss man sowieso drauf achten, dass unterhaltsame Leute reinkommen. Ich hoffe auf Martin Sonneborn.

  • "Realpolitik" Und das soll gut sein?

    Das hat die Grünen schon zerstört.

    Sarah Wagenknechts "Tremolo" ist mir lieber als sogenannte Realpolitik.

    • @vic:

      Soll die Linke denn den politischen Acker den anderen überlassen bis nach der Revolution? Die Grünen hat zerstört, dass sie ihre Möglichkeiten zur Umgestaltung liegengelassen haben zugunsten einer unseligen Regierungsbeteiligung.

      • @Rainer B.:

        Genau das ist "Realpolitik", die Möglichkeiten zur Umgestaltung liegen lassen zugunsten einer unseligen Regierungsbeteiligung. "Realpolitik" ist nur ein anderes Wort für "Machtpolitik", hat überhaupt nichts zu tun mit "realer Politik". Deshalb wurden die "Realos" von Anfang an auch "Egalos" genannt. Joschka Fischer hatte den AUFTRAG von der SPD-Führung, möglichst ALLE "Möglichkeiten zur Umgestaltung" liegen zu lassen und sich selbst durch "unselige Regierungsbeteiligung" massivst zu bereichern durch Minister-Pension auf Kosten des Volkes. Tarek-al-Wasir macht jetzt genau dasselbe zusammen mit Volker Bouffier. Minister spielen, weil die Pension so lukrativ ist, noch lukrativer als die Abgeordneten-Pension.

        • @Kai Feloibas:

          Na ja. Das ist Ihre - durchaus nachvollziehbare - Wertung des Begriffs. Realpolitik hat aber sehr wohl etwas mit Realitäten zu tun. Bei Wikipedia wird das unter Hinweis auf Machiavelli so definiert:

          "Realpolitik orientiert sich eng an den als real anerkannten Bedingungen und Möglichkeiten. Sie ist auf das rasche Treffen von Entscheidungen gerichtet und zielt auf eine breite Akzeptanz in der öffentlichen Meinung."

          Realpolitik bedeutet also schlicht, das Bestmögliche (im Sinne des Gemeinwesens) in einer vorgegebenen politischen Situation zu tun. Ungeachtet der medialen Darstellung kann ich gar keine Indizien dafür erkennen, dass die Grünen, oder die SPD jemals Realpolitik gemacht hätten.

          • @Rainer B.:

            Sie haben recht insofern, dass "Realpolitik" durchaus etwas mit "realer Politik" zu tun hat, aber eben nur soweit es um Macht geht. Macht ist ja eine Realität. Nur in diesem Rahmen hat "Realpolitik" etwas zu tun mit "Realitäten". Machiavelli war bekanntlich ein Theoretiker der Machtpolitik. Und "Akzeptanz in der öffentlichen Meinung" ist zwar (wie auch Macht) auch m.E. unerlässlich, ist aber als solche wiederum nur eine Macht-Kategorie. Max Weber forderte ein Gleichgewicht zwischen "Verantwortungsethik" und "Gesinnungsethik" in der Politik. Wenn die Grünen dies befolgt hätten, dann hätten sie eben nicht möglichst alle wesentlichen "Möglichkeiten zur Umgestaltung" liegen gelassen zugunsten einer "unseligen Regierungsbeteiligung".

            Da Sie "Realpolitik" anders definieren, eben als Politik zugunsten von wesentlichen "Möglichkeiten zur Umgestaltung", haben Sie freilich auch recht damit, dass es keinerlei Indizien dafür gibt, dass die Grünen oder die SPD jemals Realpolitik gemacht hätten. Allerdings wurde der Konflikt zwischen sogenannten "Realos" und sogenannten "Fundis" in die Grünen von niemand anderem hineingetragen als eben von der SPD-Führung. Die wollte aus eigensüchtigen Machtgründen Joschka Fischer unbedingt als "Realpolitiker" etablieren (um die Grünen zum Ersatz für die abhanden gekommene Genscher-FDP zu machen, also als pseudogrüne FDP, was ja auch prima geklappt hat; genau deswegen eben wurden die "Realos" schon frühzeitig als "Egalos" bezeichnet), und zwar nicht zuletzt mittels ihrer Medienmacht. Machtpolitik haben aber sowohl diese "Grünen" als auch die SPD freilich zur Genüge betrieben. Max Webers Forderung nach Gleichgewicht spielte keine Rolle.

            • @Kai Feloibas:

              Soweit, so gut. Stellt sich nur weiterhin die Ausgangsfrage, warum jetzt die Linke ihre Möglichkeiten zur Umgestaltung nicht nutzen sollte. Aus Angst vor Realpolitik, oder aus Angst vor Macht? Wieviel und welche Macht braucht man eigentlich, um gute Politik (auch im Sinne Max Webers) zu machen?

              • @Rainer B.:

                Die Linke hat zwar längst ein Gesetz zu Volksentscheiden konzipiert, aber leider zu VolksgesetzGEBUNG. Das ist falsch.

                 

                Zweitens sollte die Linke die fehlende WahlFREIHEIT thematisieren. Die gilt zwar laut Art. 38 Abs.1 S.1 GG, aber wiederum nur auf dem Papier. WahlFREIHEIT bedeutet, dass wir zu JEDER Bewerbung eine einzige Stimme abgeben dürfen, und zwar entweder als JAstimme oder als NEINstimme. Wir lassen uns dagegen als JAsager züchten, obwohl jeder weiß, dass schon Einjährige mit dem Sprechenlernen sofort das NEIN entdecken, das eben zur Menschwerdung dazugehört.

                 

                Die Linke sollte sowohl das Volksveto als auch die Wahlfreiheit zu ihrem "Markenzeichen" machen. Da sie das nicht tut, gibt es inzwischen die VFS (siehe www.volksvetokraft.de).

                 

                Herr Reinecke schreibt hier u.a., der Linken fehle derzeit eine populäre Idee mit Langzeitwirkung sowie eine Machtperspektive. Auch die Parteilinke habe keine Idee.

                 

                Ansonsten bejubelt er Janine Wissler, obwohl die außer leeren Posen und Phrasen gar nichts zu bieten hat. Diese Schaumschlägerin rettet sich derzeit vom hessischen Landtag, in den sie nur äußerst knapp mit 5,2 % kam, auf die Bundes- bzw. Europaebene. Sie ist eben nur interessiert an ihrer eigenen Versorgung auf Volkskosten. Mit ihrem rhetorischen oder besser gesagt demagogischen Geschick täuscht sie nur darüber hinweg. Solche Leute sind der Sargnagel der Linken.

                 

                Sie fragten, wieviel und welche Macht man braucht, um gute Politik zu machen. Wieviel Macht weiß ich nicht, aber welche Macht man braucht, habe ich hier zu äußern versucht.

              • @Rainer B.:

                Lieber Rainer B., falls Sie MICH fragen, ich bin der Meinung, dass insb. die Linke ihre Möglichkeiten zur Umgestaltung nutzen sollte. Ich bin Pragmatiker. Es gibt m.E. in jeder menschlichen Gemeinschaft (Gesellschaft, Familie etc.) immer schnell eine herrschwillige Minderheit, eine sog. Oligarchie. Deshalb kommen wir m.E. um so etwas wie Parlamentarismus nicht herum. Es fehlt aber ein Konzept zum klugen, demokratischen Umgang damit.

                 

                Erstens müsste man drängen auf Volkssouveränität. Die gilt zwar laut Art. 20 Abs.2 S.1 GG, aber nur auf dem Papier. Ohne Volkssouveränität gibt es keine Demokratie, sondern Feudalismus. Volkssouveränität erfordert Volksentscheide. Allerdings keine positiven, sondern nur negative, keine Volksgesetzgebung, sondern nur Volksgesetztilgung, sog. Volksvetos. In der Schweiz gab es das von 1831 bis 1875 (dann leider auch Volksgesetzgebung). In Italien gilt Art. 75 der dortigen Verfassung, der (abgesehen von zwei üblen Mängeln) grundsätzlich Volksveto zulässt. So konnten die Italiener an Pfingsten 2011 drei Gesetze tilgen (eins zur Errichtung von Atomanlagen, eins zur Privatisierung der Wasserversorgung, eins zur Begünstigung von Berlusconi). Wir hier haben keinerlei Volksveto-Befugnis, mithin keine Volkssouveränität oder Demokratie. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 % war zwangsläufige Folge. Die Schweizer zahlen Mehrwertsteuer von durchschnittlich 7 %. Aber hier ist wohl alles egal. Volksveto-Befugnis wäre auch eine gute Lösung zur demokratischen Regelung der "Diäten"-Erhöhung der Parlamentarier. In Italien ist das verboten. Das ist einer der zwei üblen Mängel dort. Die Italiener "dürfen" zwar Steuergelder zahlen, aber was damit gemacht wird, das entscheiden allein die Parlamentarier, ohne demokratische Volksveto-Notbremse. Volksveto ermöglicht nicht die Wiedereinführung der Todesstrafe durch Volksentscheid.

                • @Kai Feloibas:

                  Ich find Ihre Vorschläge recht gut. Man sollte einfach mal Erfahrungen damit sammeln.

                  • @Rainer B.:

                    § 7 Abs.2 Sätze 2-4 der SPD-Wahlordnung im Organisationsstatut lauten:

                    "Bei Einzelwahlen mit nur einem Bewerber oder einer Bewerberin sind Nein-Stimmen statthaft. Endgültig nicht gewählt ist, wer mehr Nein- als Ja-Stimmen auf sich vereinigt. Bei Einzelwahlen mit mehreren Bewerbern bzw. Bewerberinnen sind Nein-Stimmen unstatthaft."

                    Wie toll ! Dann muss also nur dafür gesorgt werden, dass mehr als ein/e Bewerber/in kandidiert, und schon ist mangels Neinstimmbefugnis GARANTIERT, dass für die jeweilige Funktion irgendwer gewählt ist, auch wenn die Mehrheit der Versammlung ALLE Bewerbungen ablehnt und danach "im Quadrat springt".

                    Dasselbe wurde Anfang der 1970er Jahre in der Schweiz als sog, "Alternative Abstimmung" ABGESCHAFFT (allerdings nur bei Sachentscheiden, nicht auch bei Wahlen, wo es leider WELTWEIT gilt).

                    DAS ist der spalterische Trick des Mehrparteien-Systems (das ich freilich befürworte). In Einpartei-Systemen (wie noch insbesondere in Kuba, Nordkorea, China) ist die Neinstimmabgabe erlaubt, freilich nur eine einzige Nein-Stimme statt der einzigen Ja-Stimme bzgl. der Einheitsliste.

                    Die Linkspartei wird aus Traditionsgründen in Ostdeutschland weiterbestehen, aber hier in Westdeutschland wohl bald scheitern. Von daher wäre ein neues, ein echt-demokratisches politisches Konzept m.E. dringend nötig. Aber die werden eher das Ding an die Wand fahren, als endlich Vernunft anzunehmen.

                    2011 forderten spanische Anarchisten "democracia real ya !" ("Echte Demokratie jetzt !"). Geblieben ist außer dem leeren Spruch nichts. Leer ist der Spruch, weil Anarchisten nichts von Demokratie verstehen, dogmatisch viel zu viel fordern und dabei das Naheliegende übersehen. Die Linke engagierte sich mittels "Rosa-Luxemburg-Stiftung", hatte aber selber in Wahrheit kein demokratisches politisches Konzept (außer dem Marxismus, der aber nicht demokratisch ist, sondern affirmativ-rationalistisch und neofeudalistisch). Daran wird sie zerbrechen. Schon bald.

                  • @Rainer B.:

                    Vielen Dank, lieber Rainer B. Meine Vorschläge sind bis in alle Einzelheiten sowohl politisch durchdacht als auch sogar juristisch ausformuliert. Und da ich wirklich völlig uneitel bin, würde ich sie der Linkspartei kostenlos zur Verfügung stellen, obwohl ich daran jahrzehntelang gearbeitet habe. Schließlich habe ich mich ja auch am Gesetzestext zu Volksentscheiden orientiert (den dann aber eben verändert), der noch von der "PDS" erarbeitet wurde. Zum Thema WahlFREIHEIT hier noch folgende zwei Hinweise:

                     

                    In den USA existiert schon seit 1976 ein Wahlrecht, das sowohl zu JEDER Bewerbung eine einzige Stimme zulässt (Panaschieren ist gut, aber Kumulieren wäre falsch, weil dann etwa die BILD-Zeitung aufruft, alle z.B. 10 Stimmen Frau Merkel oder Herrn von und zu Guttenberg etc. zu geben; es wird genügend "Idioten" geben, die das dann befolgen) als auch JA-Stimmen oder NEIN-Stimmen. Dieses Wahlrecht nennt sich "approval voting". Es findet sich bei der AMERIKANISCHEN Wikipedia, und zeigt am Ende der Web-Site (Abschnitt "Ballot types") anhand von 4 ballots (Wahlzetteln), wie das geht. Der zweite und der vierte "ballot" sind besonders deutlich. Indem ich zwar insbesondere Wahlrechts-Spezialist bin, habe ich "approval voting" aber erst nachträglich entdeckt, nachdem ich das freiheitliche Wahlrecht selber erfunden hatte. Meines ist in zweierlei Hinsicht viel besser durchdacht als "approval voting". So berücksichtige ich auch, dass nicht zum Schluss etwa GAR NIEMAND gewählt ist (aufgrund der Nein-Stimmbefugnis). Max Horkheimer warnte davor, dass bei einem staatlichen Vakuum rasend schnell die "rackets" einspringen, d.h. das organisierte Verbrechen. Genau so ist die Mafia entstanden. Mein Wahlrecht berücksichtigt diese seine Warnung.

                    Bei der letzten BT-Wahl stimmten viele mit JA für die SPD (nach dem irren Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund"), um Merkels CDU loszuwerden. Das führte aber dazu, dass die SPD die GroKo mit der CDU vereinbarte. Sic !

                    • @Kai Feloibas:

                      Hoffe doch, dass man bei der Linkspartei (wo sonst?) Ihre Vorschläge aufgreift. Das Angebot liegt ja auf dem Tisch. Ich selbst war und bin parteipolitisch nicht gebunden. Das würde auch nicht zu meinem Naturell passen. Linke Politik erscheint mir aber heute wichtiger als je zuvor und ich glaube auch, dass die Schnittmengen heute zwischen ostdeutschen und westdeutschen Linken bei allen Schwierigkeiten sehr viel mehr Potential bieten als es in der Vergangenheit je der Fall war.

                      • @Rainer B.:

                        Ja, mein Angebot liegt völlig frei auf dem Tisch. Allerdings fürchte ich, dass als "wertlos" verkannt wird, was "kostenlos" ist. Mein Lebensprinzip ist leider "Perlen vor die Säue", so dass auch noch so geniale Ideen leider schlicht verschmäht werden.

                        Ich weiß nicht, an welche Schnittmengen Sie zwischen ostdeutschen und westdeutschen Linken denken. Aber ich bin mir sicher, dass auch Ostdeutsche sehr schnell erkennen würden, wie extrem wichtig sowohl Volksvetos als auch WahlFREIHEIT im Rahmen des Parlamentarismus wären, zumal gerade Ostdeutsche doch eigentlich längst gemerkt haben müssten, dass irgendetwas faul ist am westlichen Parlamentarismus.

                         

                        Was das Volksveto betrifft, hier noch folgender Hinweis:

                         

                        Das Volksveto wirkt nicht nur echt-demokratisch durch Verwirklichung der Volkssouveränität, sondern verhindert zugleich Nationalismus ! Zumindest das sollte eigentlich irgendwen in der Linkspartei interessieren. In ganz Europa (gerade auch in Ostdeutschland) grassiert der Nationalismus. Der würde aber schnell weitestgehend verschwinden, wenn nicht mehr im Sinne personalistischer Politik Protestparteien wie die NPD etc. für Stellvertreter-Politik gewählt würden, sondern die Bevölkerung stattdessen SACHLICH über alle Sachfragen selber entscheiden dürfte.

                         

                        Der geltende spalterische Parlamentarismus SCHÜRT also sogar Nationalismus, was die herrschenden Berufspolitiker genau wissen und einplanen. Denn dann lassen sich die "besten" nationalistischen Gewalttäter (etwa vom NSU) letztlich vor die Wahl stellen, entweder jahrelang ins Gefängnis zu gehen oder lieber kurzeitig in einer europäischen Armee bewaffnet Ausländerhatz zu treiben.

                        Diese widerliche Spekulation steckt hinter dem wachsenden Nationalismus. Die Linkspartei könnte dies durchbrechen durch das meinerseits ihr angebotene "Markenzeichen". Könnte. Ich glaube eher, dass die weiterpennen (streng "marxistisch" natürlich, was immer das sei).

                        • @Kai Feloibas:

                          Bei Schnittmengen zwischen ost- und westdeutschen Linken denke ich hier insbesondere an die gemeinsame Kapitalismuskritik und die doch sehr ähnlichen Erfahrungen mit den jeweiligen Eliten, die sich als unfähig zur Auseinandersetzung mit der Realität erwiesen haben und Argumentation durch Repression ersetzen wollten.

  • "Sahra Wagenknecht stimmt im Bundestag das übliche Tremolo gegen Hartz IV, soziale Ungerechtigkeit und Kriegseinsätze an – in den Ländern macht man unbehelligt Realpolitik."

     

    Das klingt wie ein Widerspruch, ist aber überhaupt keiner. Hartz IV ist Bundesgesetz, nicht Landesgesetz. Die versprochene Entlastung der Länder durch Hartz IV ist nie eingetreten - im Gegenteil. Entlastet wurden einzig und allein die 'Arbeitgeber'. Die Kommunen verzeichnen dagegen stetig steigende Ausgaben im Bereich SGB II. Das trifft insbesondere die strukturschwachen Regionen hart, die dadurch längst jeglichen finanziellen Spielraum verloren haben. Da gibt's eben nur noch die Möglichkeit 'Realpolitik' zu machen, oder dicht zu machen.

    Lieber Herr Reinecke, Sie müssen ja die Linkspartei nicht mögen, aber wenn Sie sie für DInge kritisieren, die andere verbockt haben, dann schenken Sie sich doch nur selbst einen ein.

  • Ist es gut Rußlandversteher zu sein? Es ist immer gut, zu versuchen, die Perspektiven der Anderen zu verstehen. Allerdings: Die Anderen, das sind hier nicht nur die Russen. Es geht vor allem um die Zukunft der Ukraine, und man sollte daher versuchen, die Dinge nicht nur aus der russischen oder der westlichen perspektive zu verstehen, sondern auch aus der ukrainischen. Ukraineversteher gibt es hierzulander leider viel zu wenig.