Geschäfte an den WM-Stadien: Suche nach dem Schlupfloch
Rund um Brasiliens Fußballstadien bieten normalerweise mobile Kleinhändler Essen und Getränke an. Doch die Fifa lässt das nicht zu.
RIO DE JANEIRO taz | Eins klappt immer noch und das ist Gott. Tony Jackson steht ganz still in der Menge. Direkt vor ihm kommen sie alle die breite Treppe hinab, Tausende Menschen, viele von ihnen sind aus Chile angereist und jetzt wollen sie in Brasiliens wohl legendärstem Stadion Fußball schauen, im Maracanã. Tony Jackson ist aus San Diego gekommen, aus Kalifornien, USA, und bevor im Stadion hinter ihm gleich die Mannschaft aus Chile den amtierenden Weltmeister Spanien aus dem Wettbewerb kegeln wird, erfüllt Jackson wieder seine Mission.
Mit seiner großen orangefarbenen Sonnenbrille, dem weißen Anzug mit den großen roten Streifen an den Ärmeln und dem Einstecktuch in der Sakkotasche sieht er aus wie ein Karibik-Kapitän. Aber er sammelt hier Spenden ein, für Drogenabhängige, in Not geratene, für seine Gospel-Kirche halt, die auch in Rio de Janeiro eine Zweigstelle hat. Auf seinem laminierten Papierschild steht „Caring is loving“. Kümmern ist Liebe. Nur dass sich um ihn hier heute kaum jemand kümmert.
Er steht hier schon eine Weile und hat umgerechnet noch nicht mal 3 Euro in seiner riesigen weißen Sammelbüchse. Aber dafür hat er einen großen Vorteil: Er darf hier wenigstens stehen. Ein paar Meter weiter, dort wo die Fußballfans zu Tausenden direkt aus der U-Bahn drängen, drücken sich links und rechts von der Menge, wo auch die Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden, aufmerksam die Straßenhändler hin und her, die hier ihre Getränke verkaufen wollen.
Anders als sonst, wenn sie ihre großen Wägen vor sich herschieben – mit Popcorn, Churros, mit gekochten Maiskolben oder Getränken –, weist heute nur wenig auf sie hin. Sie schauen unbeteiligt, aber immer wieder zischt es ihnen aus den Mundwinkeln: „Cerveja, Cerveja“ – „Bier, Bier.“
In den dunklen Plastikmülltüten zwischen ihren Füßen haben sie ein paar kalte Bierdosen gelagert, und wer ihr Treiben eine Weile beobachtet, könnte denken, dass hier gerade kiloweise harte Drogen umgeschlagen werden. Alexis da Souza, 31, wird gerade zwei Bierdosen los, dann schaut er sich wieder um, ob auch ja keine Polizisten von der Guarda Civil in ihren braunen Uniformen in der Nähe sind.
Da kommt die Guarda Civil
Cinthia Ferreira, 22, und ihre Schwester Simone, 28, stehen nur ein paar Meter hinter ihm. Sie lehnen entspannt an einem Geländer und versuchen, sich nichts anmerken zu lassen. Nur manchmal hauchen auch sie leise die vorbeikommenden Fans an. „Cerveja, Cerveja.“
Ein Freund von ihnen sei schon festgenommen worden, erzählen die beiden Frauen, die gleich nebenan in der Comunidade – das ist ein schöneres Wort für Favela – Mangueira wohnen. Ihnen sei die Polizei bislang erspart geblieben. Aber jetzt müssen sie auch schon weiter, es gibt Ärger um ein Ticket, das neben ihnen gerade den Besitzer wechseln sollte – und da vorne kommt bereits die Guarda Civil. Cinthia und Simone Ferreira schleichen sich davon, Alexis de Souza ist schon weg.
Weil die Fifa rund um die WM-Stadien in Brasilien Bannmeilen errichtet hat und dort für alles, was verkauft wird, die Exklusivrechte besitzt, haben es die Straßenhändler heute schwer. Wer erwischt wird, kann bestraft und festgehalten werden; dann ist auch die Ware weg. Und so hat sich vor dem Maracanã-Stadion ein interessantes Szenario entwickelt, bei dem die Händler von Getränken und Naschereien so gut wie unsichtbar geworden sind – und stattdessen der Handel mit Dingen boomt, die außer Konkurrenz laufen. Schminke zum Beispiel.
Emanuel Caon hat jetzt auf Schminke umgesattelt. Normalerweiser verkauft der 27-jährige Argentinier, Typ Hippie, an den Stränden Rio de Janeiros Cocktails oder Schmuck, um sein Reiseleben zu finanzieren. Aber auch dort geht die Guarda Civil während der WM hart gegen die Händler vor. Zweimal haben sie seine Waren in den Tagen seit Beginn der WM schon beschlagnahmt. Er kann sich das so nicht weiter leisten.
Und so steht er nun stattdessen mit vielen Farbtöpfchen und einem kleinen Pinsel vor dem Stadion und malt Chilenen ihre Nationalflagge ins Gesicht. Erst ein Querstreifen weiß, dann eine Ecke rot, dann einen weißen Stern übers Auge, umrahmt von Blau. „Damit habe ich weniger Ärger. Das hat einen einfachen Grund: Weder die Fifa noch ihre Sponsoren betreiben Schminkstände.“ Wenn gleich das Spiel beginnt, hat Caon schon Dutzende Chilenen angemalt, von jedem gibt es knapp 2 Euro. Sein Kollege neben ihm macht die Spanier.
Und während am Biertresen im Stadion also 473 Milliliter eines recht laff geratenen Budweiser-Bieres über 4 Euro kostet, ist draußen vor dem Stadion nur ein kleines Nischengeschäft übrig geblieben, das denjenigen ein paar brasilianische Reais einbringt, die früh genug umsatteln konnten. Früher war das anders: Da wimmelte es hier nur so von Straßenverkäufern. Und die Fans freuten sich, dass sie für wenig Geld hier bekommen konnten, was sie gerade brauchten. Aber das war nicht Fifa-Standard.
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