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Fußball und Repression im IranDie Quadratur des Runden

Eine Islamwissenschaftlerin, die lange im Iran gelebt hat, dichtet aus der Innenperspektive über die Zustände im Land und die Fußball-Nationalmannschaft.

Zwei iranische Frauen feiern ihre Mannschaft ausgelassen und ohne Kopftuch. Das ist in ihrem Herkunftsland sittenwidrig. Bild: dpa

Stell dir eine Nationalmannschaft vor.

Stell dir vor, sie hätte das Unglaubliche geschafft und sich für die WM qualifiziert.

Stell dir vor, Testspiele würden aus politischen und finanziellen Gründen abgesagt.

Stell dir vor, der Trainer der Mannschaft würde in ihrem Land von der Mehrheit geliebt, und von der entscheidenden Minderheit als unfähiger Ausländer verunglimpft.

Stell dir vor, der Trainer bekäme über Monate hinweg kein Gehalt ausgezahlt.

Stell dir vor, ein paar wichtige Spieler kämen auf Anraten eines Klubtrainers nicht zum Training, um den Nationaltrainer scheitern zu sehen und ihn, wie seine ausländischen Vorgänger, schnellstmöglich wieder loszuwerden.

Stell dir vor, die in Deutschland produzierten WM-Trikots würden von einem Zwischenhändler abgefangen und durch billig produzierte Plagiate ersetzt.

Stell dir vor, mangels ausreichender Anzahl an gefälschten Trikots und ob der geringen Qualität derselben könnten die Spieler bei der WM keine Trikots tauschen.

Stell dir vor, die Spieler liefen nicht für Geld, sondern allein aus Liebe zum Spiel auf.

Stell dir vor, in ihrem Land würden öffentliche Ausstrahlungen verboten.

Stell dir vor, die weiblichen Fans dürften auch sonst nie ins Stadion.

Stell dir vor, in ihrem Land wären auf der Straße feiernde Fans von Repressionen bedroht.

Stell dir vor, die Spiele würden mit Verzögerung übertragen, um auf weibliche Zuschauer mit entblößten Armen oder Beinen reagieren zu können, sie wegzuschneiden oder das Bild auf den Kopf zu drehen.

Stell dir vor, während des Spiels würden vielleicht politische Gefangene hingerichtet.

Stell dir vor, kaum ein Fan hätte das Geld, um nach Brasilien zu fliegen und die Mannschaft vor Ort zu unterstützen.

Stell dir vor, die Spieler wären in einem Flughafenhotel untergebracht und bräuchten täglich mehr als zwei Stunden, um den Trainingsplatz zu erreichen.

Stell dir vor, die Spieler trügen noch immer den brennenden Abdruck eines grünen Bandes um den Arm.

Stell dir vor, sie müsste sich nicht nur des Spielgegners erwehren, sondern auch des ständigen Versuchs, sie als Vertreter eines politischen Systems zu verstehen.

Stell dir vor, die Mannschaft käme aus einem Land, das zu den unbeliebtesten der Welt gehört.

Stell dir vor, die Mannschaft würde trotzdem mit Leib und Seele spielen.

Stell dir vor, sie besiegte Argentinien um ein Haar.

Stell dir vor, ihre Fans feierten zu Hause trotz Niederlage und möglicher Konsequenzen euphorisch auf der Straße.

Stell sie dir vor, die iranische Nationalmannschaft.

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7 Kommentare

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  • Stellen Sie sich doch einmal die hunderten Hingerichteten Menschen vor, auch wenn 80% davon Heroinschmuggler sind, sie sind doch Menschen! Stellen Sie sich aber nicht die Folgen des erfolgreichen Heroinschmuggels für das Volk dort vor, und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, darüber nachzudenken, wie Iran mehr als drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat, stellen sich nicht vor, dass das die größte Flüchtlingsaufnahme der Welt ist (Wehe, Sie überprüfen das!), stellen Sie sich unter keinen Umständen vor, wie viele Menschenleben dadurch gerettet wurden.

     

    Stellen Sie vor, ach, stellen Sie irgendetwas davor, damit es niemand sieht und mit eigenen Augen erkennt, das nach hinten Gestellte.

  • Stellen Sie sich nicht vor, dass die Iraner in erheblichem Maße andere Wertvorstellungen haben als wir. Stellen Sie sich nicht vor, wie die Mehrheit der Iraner keine Trennung zwischen Staat und Religion wollen Google: PEW Forum - Mixed Political Views), stellen Sie sich vor, sie wollen ganz genau so sein wie wir, weil wir in jeder Hinsicht super toll sind und alles in unserem System perfekt ist.

     

    Stellen Sie sich weiter vor, wie Iran einer der unbeliebtesten Länder ist, aber stellen Sie sich nicht vor, dass die USA und Israel auch zu den unbeliebtesten Ländern zählen, und stellen Sie sich unter keinen Umständen vor, dass weniger als 30 Länder an dieser Studie teilgenommen haben, obwohl wir fast 200 Länder haben. Stellen Sie sich vor, dass 30 Länder repräsentativ sind. Stellen Sie sich nicht die 118 Staaten vor, die Irans Atomprogramm unterstützen

    oder die 120 Länder, die in Teheran am NAM-Gipfel präsent waren, denn all diese Länder sind nicht gefragt. Überprüfen Sie das ja nicht!

     

    Stellen sie sich weiter Freiheit und andere schöne Worte vor und hören Sie auf sich zu fragen, wohin diese Freiheit in Irak, Syrien und Pakistan geführt hat und denken Sie nicht darüber nach, dass es sich bei allen eben genannten Ländern um Nachbarn des bösen Irans handelt, der eine Bedrohung für die Region und die Welt ist. Stellen Sie sich nicht jegliche Völkerrechtsbrüche andere Staaten vor und stellen Sie sich nicht vor, dass Iran sich an alle völkerrechtlich bindenden Verträge gehalten hat.

  • Die Rundung des Quadratischen

     

    Stellen Sie sich nicht vor, wie viele Menschen in Brasilien sterben, während wir feiern und stellen Sie sich bloß nicht vor, wie viele Menschen wegen den Sanktionen in Iran ums Leben gekommen sind und keine Medizin erhalten. Stellen Sie sich doch einfach mal vor, dass Fußball für die Iraner ein viel wichtigeres Anliegen ist.

     

    Stellen Sie sich nicht vor, die Sanktionen hätte es nie gegeben, und dass Iran sich nicht nur besser auf Fußball hätte vorbereiten können, sondern dass jetzt viel mehr Menschen leben würden. Stellen Sie sich aber ruhig weiter und ausschließlich die Hingerichteten in Iran vor, stellen Sie sich aber nicht vor, dass die meisten davon Heroinschmuggler sind, die ein ganzes Volk gefährden, und fragen sie sich nicht, wie viele Menschen in Iran als Folge der Sanktionen sterben.

     

    Stellen Sie sich vor, wie ein Autor über einige wirklich existierende Probleme in Iran schreibt und stellen Sie sich das so lange vor, bis Sie vergessen, dass die Mehrheit der Iraner viel größere Probleme hat, und zwar die Sanktionen, für die das Volk nicht seine eigene Regierung verantwortlich macht (Google: Iranians feel bite of sanctions), Überprüfen Sie nicht die Quellen.

  • Hoffentlich kommt eines Tages die Stunde der Freiheit für die Iraner und Iranerinnen und sie schütteln das Joch dieser klerikalfaschistischen Diktatur ab!

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Oma Kruse:

      Vermutlich kommt dann eine westkompatible Militärdiktatur wie in Ägypten nach, die eben mal in Schauprozessen à la Volksgerichtshof ein paar hundert politische Gegner zum Toder verurteilt usw.

  • D
    D.J.

    Ich schätze dieses Land und seine Menschen, auch wenn mich das Regime nur einmal hat einreisen lassen. Und weil ich die Iraner kenne und weiß, dass nur eine Minderheit hinter dem Regime steht, habe ich der Mannschaft auch alles Gute gewünscht.

     

    Nur noch zur Ergänzung:

    Stelle dir vor, ein Land, in dem die Pfaffen den Anblick von zuviel Haar verdammen, aber die (Kurz-)Zeitehe (arabisch Mut'a, persisch Sighe) gutheißen - oft nichts anderes als kaum verhüllte Form der Prostitution, an der manche Mullahs auch noch kräftig mitverdienen.

    Nein, die Iraner haben ein solches Regime von bigotten Heuchlern nicht verdient.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @D.J.:

      Stelle Dir vor, ein Land, in dem die Pfaffen sexuelle Freiheit verdammen, aber sich an Ministranten aufgeilen und vergreifen und die Mehrheit der Bevölkerung verdrängt das Problem und hetzt stattdessen lieber gegen den Islam, um ihre rassistischen Ressentiments zu bedienen. Dieses Land heißt Deutschland.