piwik no script img

Kolumne Anderes TemperamentDer Gruß am Morgen

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Seit zwei Jahren wird unsere Autorin beim Weg durch den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg von Dealern empfangen: Mal freundlich, mal offensiv, mal dezent.

Eine nette Anrede ist ein guter Anfang: Bei Polizisten hilft das allerdings wenig. Dealer bei einer Razzia im Görli Bild: dpa

A uf dem Weg zur Arbeit werde ich so wie alle, die morgens durch den Görlitzer Park laufen oder radeln, immer äußerst charmant begrüßt. Nicht von denen, die dort für einen Euro die Stunde Müll aufsammeln, und nicht von denen, die alle zwei Tage den offenbar verpfuscht gebauten Wasserlauf von Schlick und Schlamm befreien. Grüßen tun jene, die dort seit etwa zwei Jahren rund um die Uhr rumhängen, Musik hören, plaudern und Kiffwaren verkaufen wollen. Sogar die Polizisten, die manchmal vor und in dem Park rumstehen, um diesen Leuten das Geschäft zu verhageln, werden mit einem freundlichen „Guten Morgen“ gegrüßt.

Die Polizisten sowieso nicht, aber auch ich gehöre gar nicht zur Zielgruppe der Verkäufer. Ich kaufe nie und werde es wahrscheinlich nie tun. Mittlerweile müssten die Jungs das auch wissen; einige von ihnen grüße ich seit fast zwei Jahren jeden Morgen. Aber der Durchlauf zwischen Falckensteinstraße und Glogauer Straße ist sehr groß, ich nehme es ihnen nicht übel. Im Gegenteil. Es ist sehr amüsant zu beobachten, wie sich die Grußformeln in den vergangenen zwei Jahren geändert haben.

Eine fast intime Anrede

Es begann mit einem „Hallo, wie geht’s?“. Auf diese Frage kann man am frühen Morgen kaum und sowieso eigentlich gar nicht richtig antworten, denn der Frager erwartet in der Regel gar keine Antwort. Keine gute Idee also für den Beginn eines Verkaufsgesprächs. Das haben auch die Arbeiter dort schnell begriffen. Und wurden persönlicher.

„Hallo, schöne Frau“ und „Hello, sexy mama“. Nicht gerade innovativ, machte es am frühen Morgen trotzdem eine Weile Spaß, das zu hören. Auch weil die Arbeiter die Anrede immer so intonierten, dass die feine Ironie rauszuhören war. Nach einer Weile schienen sie begriffen zu haben, dass Sowiesonichtkäufer wie ich zwar darüber schmunzeln, aber auch nicht wirklich stehen bleiben, um tatsächlich ins Gespräch zu kommen.

„Na du?“, sagte plötzlich eines Morgens jemand, der mit einem Rad an mir vorbeifuhr. Ich hielt an, drehte mich um, weil ich dachte, es sei jemand, der mich kennt. Denn dieses „Na du!“ ist ja eine fast intime Anrede unter Vertrauten. Eine schöne auch. Der Mann auf dem Fahrrad war aber einfach weitergefahren. Er drehte sich nochmal kurz um und grinste. Ich musste lachen, weil ich erkannte, dass ich diesmal auf den Trick reingefallen war. „Na du?“ war wirklich gut. Einmal verstanden, konnte man darauf aber auch wunderbar entwaffnend „Na!“ antworten. Und schmunzelnd weitergehen.

Irgendwann während der WM begann ein neues Kapitel der Ansprache: „Hey, Australian Girl. How are you today?“ Australian Girl? Erstmals blieb ich tatsächlich stehen und fragte, wie sie darauf kämen? „Oh sorry“, war die Antwort. „Are you from Jamaica?“

Das Gespräch verlief dann sehr kenntnisreich über costaricanische Fußballspieler, die aus Jamaika stammten, und darüber, was die Australier bei dieser WM falsch gemacht hatten. Gekauft habe ich trotzdem nichts.

Perfide, würden die einen sagen. Charmant würde ich es nennen. Mir bereitet diese ständige Weiterentwicklung des Marketingtricks, so zu tun, als sei man längst per Du, großen Spaß. Einige von ihnen würden sicher eine Karriere als Werber machen können, hätten sie eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in diesem Land. Und das in Berlin, wo man in der Regel einen Laden betritt, in dem man als Kunde identifzierbar und willig ist, auch was zu kaufen. Für ein freundliches „Hallo, was darf’s sein?“ braucht der Berliner in der Regel aber weiterhin sehr lang und zieht ein Kopfzunicken und ein genervtes „Sie?“ vor.

Und die Kinder?

„Skandal“, rufen jetzt natürlich alle mit Kindern beziehungsweise jene, die das Kinderargument vorschieben, um Ordnungshüter zu spielen. Skandal rufen sie, weil die Kinder dieses nette Grüßen nicht als Trick erkennen könnten und zu Käufern und schließlich zu Drogenabhängigen werden würden. Was also mal der kinderschändende Schokoladenonkel war, ist jetzt der schwarze Drogenverkäufer.

Gegen die Kinderkeule lässt sich wie immer nicht wirklich argumentieren. Ich wollte sie nur auch mal erwähnt haben. Einfach so. Und damit die Kommentatoren dieser Kolumne sich darüber schon mal nicht aufregen können, dass ich die Kinder missachte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Einfach mal eine erfrischende Perspektive. So kann man es eben auch sehen.

  • Na ja, ich finde den Kommentar extrem naiv...mal schauen obs noch derbe wird...

  • Jeder Mensch tickt anders und wenn sich

    Doris Akrap darüber freut das sie nett begrüßt wird und die Männer in ihr ne „Hello, sexy mama“ sehen ist doch ok.

  • Ich hatte weder an Kinder noch an Marketing gedacht sondern an meine sehr volljährige Arbeitskollegin, die da relativ regelmäßig zu Fuß durchgeht und sich von demselben Verhalten einfach nur unglaublich belästigt fühlt. Und sie ist nicht jemand, der sowas nicht deutlich zum Ausdruck bringt.

     

    Eine Gruppe von zwar immer gleichen aber doch völlig unbekannten Männern quatscht eine Frau mit unbelehrbarer Regelmäßigkeit völlig unaufgefordert an und offenbar völlig unerwünscht an.

    Wenn vom Zusammenhang ansonsten nichts bekannt wäre, würde das aber sowas von den nächsten #Aufschrei geben.

     

    Und wenn vom Zusammenhang sonst nichts bekannt wäre und jemand käme mit "Ach Schätzchen, das ist doch charmant, jetzt fühl Dich doch einfach mal geschmeichelt"

    (So kann man diesen Text nämlich verstehen. )

     

    ####AAauufschreiiii

     

    Mich würde sehr interessieren, wie die Autorin das bewerten würde, wenn eine Gruppe deutscher Männer dasselbe Verhalten an den Tag legt.

    Ich glaube aber nicht, dass sie in der Lage ist, dieses Szenario konsequent zuende zu denken. Vor dem Ergebnis, dass auch diskrimnierte Schwarze einfach nur Arschlöcher sein können, springen bestimmt n paar Kilometer vorher genügend Warnlampen an.

    • @maxe111:

      Da täglich zu Fuß durchzugehen ist für jeden Menschen eine Mühsal. Die kleben an den Hacken, denn sie sind mit einer dankenden Absage an das Produkt nicht sofort einverstanden. Als Frau bekommt man respektlose Anzüglichkeiten gratis dazu- Die Autorin fährt mit dem Rad...das ist ihrer Kollegin auch zu empfehlen und eine ganz andere Situation.

    • @maxe111:

      in was für einer Welt leben wir, wenn Grüssen schon als Belästigung empfunden wird?

  • Kann ich nachvollziehen.

    Meine persönlichen Erfahrungen sagen auch, dass man sich in Berlin tatsächlich freuen sollte, falls jemand mal bereit ist, überhaupt zu sprechen. Berlin ist wirklich die unfreundlichste Stadt, in der ich je war. Dass sowas eine Hauptstadt ist, ist schon eine Schande.

     

    Mir sind dennoch die Käufe in den Niederlande in den offiziellen Coffeeshops lieber. Da gibt es ein klares Angebot, geprüfte Ware und auch insofern einen Markt, als ich einfach bei zu hohen Preisen oder festgestellter mangelnder Qualität ein paar Meter weiter gehe und dann woanders einkaufe. (Höflich sind die Verkäufer in Coffeeshops aber auch nur, wenn man niederländisch kann, muss ich sagen.)

     

    Was ist eigentlich aus demjenigen geworden, der einen Coffeeshop in Kreuzberg offiziell eröffnen wollte. Ich habe das mal in der Druck-Taz afair vor einigen Wochen gelesen, seitdem aber nix mehr dazu.

  • Wenn eines der eigenen Kinder Dogen gekauft und abhängig wurde, dann sieht die Autorin die Sache nicht mehr so lustig.

    • @Tupaq:

      IMHO ist dann vorher schon was schief gelaufen. Kinder bringen sich nicht einfach um oder kaufen einfach so Drogen. Schon mal was von Komasaufen gehört? Dafür braucht es gar keinen Park mit gefährlichen Ausländern...

    • @Tupaq:

      Haha, das ist so 80ies...

  • Tun Sie das nicht so pauschal als Marketingstrategie ab. Vielfach, wenn Sie mit den Leuten ins Gespräch kommen, merken Sie, dass Sie nicht mit Dealern, sondern mit Menschen reden. Langeweile, schlechte Unterbringung, Isolation etc. tragen dazu bei, dass soziale Kontakte gesucht werden. Reden Sie 10 oder 20 Minuten, und Sie werden möglicherweise mit scheuen Fragen konfrontiert, über die hiesige Kultur, über Politik, Musik, Religion.....

    • @Fanta:

      Da brauchen Sie sich keine Sorgen machen! Unsere Bezirksbürgermeisterin redet schon ständig mit "Vertretern" der Drogendealern. Versuchen Sie aber mal einem Kind zu erklären, warum sich ein dunkelhäutige Mensch bei Schnee hinter einem Busch ohne Blätter versteckt und Eltern mit Kinderwagen oder Jägern hinter ruft...

      • @Joe Montana:

        Schon mal versucht, das mit dem Erklären?

    • @Fanta:

      klasse ansatz! es macht mich froh sowas zu lesen :)

      • @ente wolli:

        Werde folgendes Gespräch mit einem (mutmasslichen) Dealer nie vergessen:

        Er sprach nur englisch, daher sinngemäss,

         

        Er: Sorry, darf ich dich mal was fragen?

        Ich: Öhm, klar?

        Er: Es ist etwas komisch, aber, sind hier alle Frauen lesbisch?

        Ich (etwas verstört und schon ungutes ahnend): Was? Wieso denn?

        Er: ich sehe immer, wie sich alle Frauen küssen und weiss nicht, was das soll.

        Ich: Ach nein, das ist einfach eine Begrüssung unter Frauen, die sich kennen. Aber wäre es denn schlimm, wenn sie lesbisch wären?

        Er: Achso! Ich war einfach irritiert. Nein, schlimm wäre es nicht, aber etwas traurig für die Männer.

         

        Seither bleibe ich immer wieder mal stehen und labere einfach ein wenig.

        • 3G
          3053 (Profil gelöscht)
          @Fanta:

          Jap zu 99% sind die alle super nett!

          Und ich seh das auch nicht das es Ihnen nur ums verkaufen geht – klar zuerst schon aber ich hatte auch schon das mir jemand was schenken wollte nur um mal ne Tüte zusammen zu rauchen :-)

           

          Und Kinder versteh ich nicht – Ein Kind kauft doch keine Drogen (oder wie alt ist ein Kind?) Auch ein Jugendlicher fängt nicht an zu Kiffen weil ihm im Park Gras angeboten wird… eher geht er in den Park weil er weis, dass es das dort gibt