Mit Twitter auf Geldsuche in Berlin: Der Schatz im Glas
Ein US-amerikanischer Millionär lässt Geld in Berliner Parks verstecken. Die Schatzjäger, die am Sonntag losziehen wollen, steuert er selbst - per Twitter.
Wer würde nicht gern fünfzig oder hundert Euro im Park finden? Oder auch nur zwei? Einfach so? Wohl so ziemlich jede und jeder – und deshalb könnten Berlins Grünanlagen an diesem Wochenende harte Zeiten bevorstehen. Denn ein US-amerikanischer Millionär lässt am Sonntag mit Geldscheinen gefüllte Marmeladengläser und Umschlägen in der Stadt verstecken. 1.000 bis 1.500 Euro sollen es insgesamt sein, von einem Ortskundigen über die Stadt verteilt. Wer die Schätze heben will, muss sich von Hinweisen auf Twitter leiten lassen. Hidden Cash, verstecktes Bargeld, heißt die moderne Schnitzeljagd.
Die Idee zur Social-Media-Schatzsuche, die zuvor unter anderem in Los Angeles, London und Málaga stattfand, stammt von dem sehr wohlhabenden Immobilienunternehmer Jason Buzi. Er wolle, sagte der 43-Jährige aus San Francisco, damit der Gemeinschaft etwas zurückgeben, auf spaßige Art.
Aber warum wird die Aktion ausgerechnet und ausschließlich über die Social-Media-Plattform Twitter organisiert? Will der Erfinder von Hidden Cash durch die Wahl des Mediums unauffällig Werbung für Twitter machen? Immerhin folgen dem Profil @HiddenCash mit dem Slogan „Den Geist von Wohltätigkeit und Großzügigkeit unter die Menschen bringen“ bereits mehr als 720.000 Menschen.
Buzi selbst betont, dass ihm jede kommerzielle Absicht fernliege. Das kann man ihm glauben – der Mann ist schließlich Millionär und verdient sein Geld nicht in der Medienbranche. Er will vermutlich nur spielen. Nur eben auf eine sehr amerikanische, postkapitalistische Art.
Buzi ist kein politisch engagierter Reicher, der mit seinem Vermögen gesellschaftliche Anliegen oder Gruppen unterstützt. Auch der Subversion huldigt er nicht, so wie die britischen Raver The KLF, die Mitte der 90er Jahre eine Million Pfund verbrannten – um ein Statement zu setzen.
1.000 bis 1.500 Euro, verteilt an mehreren Stellen im Stadtgebiet: Wer am Sonntag auf Schatzsuche gehen will, sollte bei Twitter @HiddenCash folgen, den Akku aufladen und mit Handy im Anschlag den Hinweisen folgen. Und rennen, buddeln, klettern. Zusammen mit all den anderen, die am Sonntag wohl die Parks und Grünflächen der Innenstadt stürmen werden. (api)
Der Mann aus San Francisco, der bislang 60.000 US-Dollar unter die Leute gebracht hat, scheint eher ein bisschen Hippie zu sein: Er freue sich daran, wie seine Geldgeschenke das Leben anderer verändern, sagt Buzi. Er habe viele herzerwärmende Geschichten von den Beschenkten erzählt bekommen. Die werden via Twitter dazu aufgefordert, ein Foto von sich und ihrem Geldfund zu posten.
Wie es aussieht, tun die meisten das brav: Strahlende Männer, Frauen, Kinder posieren mit Briefumschlägen oder Marmeladengläsern, in denen sich Scheine ringeln. Dazu Nachrichten wie die der Mutter, die für ihre Tochter um Geld bittet – damit das arme Kind, das noch keine „summer activities“ genießen durfte, auch mal nach Disneyland fahren könne. Leider, so die Antwort des Profileigentümers, könne man nicht jeden bedenken, wünsche aber viel Glück.
„A random act of kindness“
Hidden Cash will ein bisschen Schicksal spielen: „A random act of kindness“, also ein zufälliger Akt der Nächstenliebe, soll das Geldgeschenk sein – für das man allerdings, im Gegensatz zu einer herkömmlichen Spende für sozial Bedürftige, auch etwas tun muss. Und etwas haben: Menschen ohne Mobiltelefon bleiben bei Hidden Cash außen vor – darunter wohl viele, die ein wenig Geld vermutlich am nötigsten brauchen könnten. Aber so funktioniert das eben bei den postkapitalistischen jungen Reichen: Charity ist unsexy, NGOs nerven, lieber spielt man ein bisschen mit der eigenen Peer Group und profiliert sich ganz nebenher als Good Guy mit Humor und Herz.
Man kann sich bildlich vorstellen, wie Buzi zu Hause vor seinem Smartphone sitzen wird, in der Hand vielleicht ein eiskaltes Bier, die Füße im Pool. Und Menschen mit verrätselten Hinweisen quer durch Berlin jagt: „Geht zur Goldelse und folgt der bunten Rikscha. Sie bringt euch zu einer alten Eiche …“ Und während das digital ausgerüstete Berliner Prekariat rennt und gräbt und sich gegenseitig die Schippen über den Kopf haut in seiner Geldgier, schreibt Buzi vielleicht gönnerhaft: „Leute, streitet doch nicht. There’s more where this came from.“
In Málaga hatten Schatzjäger Anfang Juli einen Park demoliert, auch in Whittier bei Los Angeles litten Grünanlagen unter dem Massenansturm. Jedes Mal bezahlte Buzi den Schaden. Damit in Berlin keine Natur zu Schaden kommt, sollen es weniger offensichtliche Orte sein. Auch die Hinweise will der Mann aus San Francisco häufiger streuen und damit die Menge in steter Bewegung halten.
Man kann nur hoffen, dass der ortskundige Freund des Hidden-Cash-Erfinders bei der Ortsauswahl auf vielbefahrene Straßen achtet. Und auf die heimischen Wildtiere. Wäre doch bitter, wenn es einem Fuchs oder einem dieser toughen urbanen Eichhörnchen gelänge, eines Teils der Beute habhaft zu werden. Dann verschwände das schöne Geld irgendwo im Gesträuch. Und das auch noch ganz ohne Foto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln