Homosexuelle in Deutschland: Kapitalismus pink lackiert
Die CSD-Saison nähert sich ihrem Ende. Und wie steht die homosexuelle Bewegung da? Statt rosa Revolte, politisch ganz schön abgeschlafft.
Die Welt ist unübersichtlicher geworden und vertrackter, alte Gewissheiten sind überholt. Das erleben auch Homosexuelle. Große Zeichen erreichen sie widersprüchlich und verwirrend: Politische Parteien machen ihnen Versprechungen, die sie dann doch nicht halten.
Repräsentative Umfragen ergeben gesteigerte Sympathiewerte, aber Wutbürger in Baden-Württemberg wollen davon nichts wissen. Der neue Papst findet versöhnende Worte, an der Anti-Homo-Doktrin seiner Kirche ändert sich gar nichts. Die Mainstreammedien widmen sich schwul-lesbischen Themen wie nie und ziehen unbeirrt jede Klischeekarte.
Homosexuelle haben davon genug, wollen es lieber einfach und schlicht. Ihre kleine Welt heißt Community, die Verkehrssprache ist Denglisch, die Nationalfarben sind die des Regenbogens und die aktuelle Nationalhymne heißt „Rise like a phoenix“. Die Feinde lauern an den Außengrenzen, Rückschritt lautet die Analyse, „Stop Homophobia!“ der Schlachtruf.
Zur Verständigung trifft man sich bei Facebook, wo Tacheles geredet wird, kämpferisch, kurz und knapp. Das entlastet für den Moment und hat keinerlei Konsequenzen. Die Zeiten konsensualer Diskussionen sind vorbei.
Nach 1968 waren es Soziologiestudenten, die auf die rosa Revolte setzten und ihre Sprache bei Marx, Freud und Foucault entlehnten. Dann kamen die Funktionäre an die Reihe, kungelten mit den Parteien und bezogen ihren Unterhalt aus öffentlichen Kassen.
Früher mal „Rotzschwul“
Die Protagonisten der Bewegung heute stammen aus der PR-Branche und führen ihre Kampagnen in der Sprache der Werber, als gelte es, ein neues Produkt zu etablieren. Hießen die Gruppen dereinst noch „Rotzschwul“ oder „Homosexuelle Aktion“, so macht man sich jetzt fit für den internationalen Markt.
„Enough is enough“ ist die Formation der Stunde. Ihre Aktionen sind fantasievoll und friedlich, ihre Währung ist – Einschaltquoten gleich – die Zahl der Teilnehmer, verbindliche Inhalte sucht man vergebens. Zur Unterstützung werden Musikvideos für Youtube produziert, und geht man in der CSD-Saison auf Reisen durch die Lande, so begibt man sich „on tour“.
Politisch ist hier gar nichts, auch wenn es vorgeblich um die ganz große geht, um die in Berlin so wie die internationale. Jedes „Auflehnen“ gegen die Unterdrückung homosexueller Menschen hat – so formulierte es einmal Alfonso Pantisano, der Frontmann von „Enough is enough“ – „gar nichts mit Politik zu tun. Sondern mit Anstand!“
So wird aus Protest eine Frage des Anstands, und Homosexuellenfeindlichkeit kommt über einen wie ein Hagelsturm. Kein Wort über den Sexismus, der das eine mitbedingt, den Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, den Antisemitismus. Homosexuellenfeindlichkeit in der neuen Lesart ist ein singuläres Phänomen, das alles andere überstrahlt. Und ist böse, böse, böse.
Alle böse außer Mutti
Damit wird die Welt wieder ein bisschen einfacher. Die CDU ist böse wie Matthias Matussek wie Gabriele Kuby. Diese Vereinfachung verhindert den genauen Blick und erschwert, ja verunmöglicht die angemessenen Antworten.
Dabei ist die CDU genau so „böse“ wie jede andere Partei auch, Homosexuelle sind eine Quantité négligeable, die man so lange hofiert, solange es opportun ist, und dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel – aus wahltaktischen Gründen, aus Koalitionsräson, ein Grund findet sich immer. Homosexuelle haben, und das müssen sie wissen, in der Politik keinen verlässlichen Partner, nicht einen einzigen.
Und dann die verwirrten Männer wie Matussek, Broder oder Pirinçci. So verwirrt sind die gar nicht. Sie wissen sehr genau, zu welchem Zeitpunkt die Homos dran sind, und treffen dann zielgenau den Nerv ihrer Klientel, sichern sich Auflage und Aufmerksamkeit, auch Shitstorm genannt. Davon leben die.
Schließlich Schriftstellerin Gabriele Kuby, eine freundliche Frau mit saudummen Ansichten, eine, die nur das wiedergibt, was so viele inzwischen empfinden: dass Lesben und Schwule langsam zu einer Bedrohung werden, je mehr sie öffentlich erscheinen. Solange die noch im Zaum zu halten waren, eingeschüchtert im Versteck, so lange konnte man die eigenen Klischees und Vorurteile unter der Decke halten. Aber jetzt muss alles raus, ehe es zu spät ist, das muss man doch mal sagen dürfen.
Die angepasste Variante
Nehmen wir einmal für einen Moment an, der Widerstand gegen die geplante homosexuellenfreundliche Bildungsreform in Baden-Württemberg sei ein existenziell bedrohlicher für jeden homosexuellen Einzelnen: Warum widmen sich nicht alle CSDs in diesem Jahr dieser Herausforderung? Mal ganz ohne den kommerziellen Scheiß und die billige Parteienpropaganda?
Stattdessen gab es in Berlin eine eitle Rangelei mit drei Umzügen als Ergebnis, in München heißt es dieses Jahr „Prost – Liebe für alle“, und das Motto in Bielefeld lautet „Wir können auch anders“.
Der Karneval geht also weiter.
Und in der CSD-Nachbetrachtung in Berlin wird nicht über verpasste Inhalte räsoniert, dafür taucht wieder eine Frage auf, die bereits 1973 im legendären „Tuntenstreit“ die linksradikale Bewegung Berlins spaltete: Wie zeigen wir uns öffentlich? In Strapsen, Leder und Boa und schaden damit dem Ansehen der ganzen Innung?
Oder ganz casual und modisch auf der Höhe und tun niemandem weh damit? Eine nicht repräsentative Umfrage auf der Facebook-Seite des Homo-Magazins Männer ergab – wie nicht anders zu erwarten – eine deutliche Mehrheit für die angepasste Variante.
Karrieremessen und Denkfabriken
Doch damit der Albernheiten nicht genug. blu, schwule Stadtzeitschrift in fast allen deutschen Großstädten, veröffentlichte kürzlich eine Liste der elf „einflussreichsten“ Schwulen Deutschlands, die derzeit das „Bild von schwulen Männern prägen“.
Platz eins im Ranking – kein Witz – ist Chris Fleischhauer, einer, den man googeln muss: Er moderiert die Lottozahlen und ist Anchorman bei Regio TV. Auf Platz drei dann ein Berliner „IT-Boy“, Platz vier ein RTL-Soapdarsteller und auf Platz elf der bei Schwulen besonders unbeliebte CDU-Politiker Jens Spahn.
Andere Frauen und Männer, die dank engagierter Arbeit entschieden mehr getan haben für das öffentliche Bild der Homosexuellen, trafen sich unlängst in Köln zu einer „Denkfabrik“ und tauschten sich aus über Gegenwart und Zukunft des homosexuellen Kollektivs.
Exakt zur gleichen Zeit waren in Berlin auf der „Sticks & Stones – der Rockstar der Karrieremessen“ junge Homosexuelle unterwegs, um bei großen Unternehmen den Weg in eine ertragreiche Zukunft zu suchen, ohne heterosexuelle Tarnung. In Köln wird nachgedacht und in Berlin der Kapitalismus ein bisschen pink lackiert: Das ist der „Brei der Bewegung“, wie ihn bereits 1983 der Schriftsteller Matthias Frings prognostizierte.
Jammern auf ganz hohem Niveau
Alle sind Community, mit formatierten Körpern und formatierten Lebensentwürfen, mit Kind und Kegel. Der Foucault’schen Freiheit, „eine Lebensart zu erfinden, die noch unwahrscheinlich scheint“, hat man sich nie gestellt, anstelle souveräner Selbstachtung und Autonomie passiert der Rückfall in die vertrauteste aller Rollen, mit langer Geschichte und Tradition: in die Opferrolle.
Homosexualität ist weiterhin Schicksal, dem man sich zu beugen hat, und keine Frage – auf gar keinen Fall – irgendeiner Entscheidung. Das Gender-Ding ist was für das akademische Milieu, aber nichts für das praktische Leben.
Hierzulande warten Homosexuelle derzeit auf ihre völlige rechtliche Gleichstellung, es ist nur noch eine Frage der Zeit. Dann wird der Weg frei sein für jene, die seriös und angepasst leben wollen. Und das Diktum des sexuellen Hasardeurs wird Geschichte – was für eine Zäsur!
Doch das Raunen über ein Rollback steigt weiter an, selbst die homolästerliche Äußerung eines hinterletzten CDU-Provinzpolitikers wird hochgejazzt zum nächsten Menetekel an der Wand. Das ist Jammern auf ganz hohem Niveau. Und steht auf keiner, aber auf gar keiner Tagesordnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen