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Die WahrheitAbsolut intensiv

Die deutsche Sprache ist für ihren großen Wortschatz berühmt, doch vermehrt werden Allzweckworte benutzt, wo eigentlich sprachliche Präzision herrschen sollte.

Bild: www.peterklint.de

Das Deutsche hat einen Vorzug: seinen großen Wortschatz, angeblich ist nur der englische größer. Es hat auch einen Nachteil: Sein Wortschatz ist viel zu groß. Dafür gibt es einen zweiten Vorteil: Es ist eine präzise Sprache. Das aber ist gleich die zweite Schattenseite. Dass das dritte Gütezeichen des Deutschen, seine Anschaulichkeit, ebenfalls ein Übel ist, ist damit klar.

Zum Glück werden diese Fehler jetzt ausgemerzt. Wo man früher unter einem Wust von Wörtern das richtige herausklauben musste, genügt heute eines, das alle ersetzt. Statt Höhepunkt, Meilenstein, Markstein, Meisterwerk, Glanzlicht oder Krönung genügt ein simples „Highlight“, das auch für „schönstes Erlebnis“ oder „das Beste“ stehen kann. „Was war dein Highlight im Jahr 2013?“, fragt der Reporter eines Stadtmagazins. „Für mich war der Sommer das Highlight“, antwortet der Passant, weil beider Sprachgefühl nicht das beste ist.

Die Highlights des ökogemäßen Sprachgebrauchs sind natürlich „zeitnah“ und „nachhaltig“, dank derer „bald, demnächst, pünktlich, ohne Verzögerung“ beziehungsweise „langfristig, dauerhaft, auf lange Sicht, anhaltend“ binnen Kurzem, Quatsch: zeitnah auf die rote Liste der vom Aussterben gefährlich, Unsinn: nachhaltig bedrohten Wörter gelangten.

Die Artenvielfalt ist selbstredend auch anderswo bedroht. Die sprachliche Monokultur breitet sich aus, wie hiermit nicht gesagt oder geäußert, sondern „kommuniziert“ sei. Eine Liste wird „nur intern kommuniziert“ (taz), nämlich diskutiert oder besprochen, damit unliebsame Dinge, statt öffentlich verbreitet oder nach außen getragen, „nicht nach außen kommuniziert“ werden; man lernt eine Fremdsprache nicht, um sich im Ausland gut zu verständigen, sondern um mit Einheimischen intensiv zu „kommunizieren“.

Intensiv kommuniziert wird auch ebendieses Adjektiv, besonders intensiv im Sport: Eine packende Begegnung, ein spannendes Duell, eine kampfbetonte Partie und eine leidenschaftliche Auseinandersetzung sind egalweg „intensiv“, das einst engagierte Mitglied ist jetzt dem Verein „intensiv verbunden“ (taz).

Bequem ist das, weil man nicht den einen anschaulichen und eindeutigen Ausdruck suchen muss. Das Allzweckwort passt, wackelt und hat Luft, aber für die Verständigung genügt es. Indem sich der Sinn nicht aus dem einzelnen, scharf gefassten Begriff, sondern ungefähr aus dem Zusammenhang ergibt, nähert sich das Deutsche den Sprachen an, die der Rest der Welt benutzt. Weniger Wörter, diese aber mit großer Bedeutungsfülle – das taugt besser fürs tägliche Gerede, nein: fürs Kommunizieren.

Das Schriftdeutsche, aus der die heutige Standardsprache hervorgegangen ist, war eine Kanzlei-, also Amtssprache. Eine Behörde muss sich eindeutig ausdrücken, damit sich kein Untertan auf ein Missverständnis herausreden kann. Diesen ursprünglich autoritären Sprachgebrauch zurückzudrängen, wäre demnach ein Zeichen, dass die Demokratie endlich im Denken und Fühlen der Leute angekommen ist – nur dass Demokratisierung hier Nivellierung heißt.

Die Verarmung wird jedoch drapiert: Der Wortschatz ist dürftig, das einzelne Wort aber sollte am besten „extrem“, „total“ und vor allem „absolut“ aufgemotzt sein. Andere Vokabeln werden dafür wegrasiert: Dann heißt es „der absolute Abstiegskandidat“ (statt: sichere), es gibt „absolute Topmannschaften“ (statt: echte), man beklagt eine „absolut unfähige Verwaltung“ (völlig, in jeder Hinsicht) und vermerkt, dass „ein Leben absolut anders verläuft“ (ganz), was ein „absoluter Glücksfall“ (großer) sein kann; und während Putin „absolut populär“ (äußerst) ist, sieht sich Reiner Calmund allen Ernstes als „absoluten Vertreter der Arbeitnehmer“ (entschiedenen).

Dabei könnte man das Wörtchen absolut, Quatsch: ganz, nämlich: weglassen. Der „absolute Renner“ im Verkauf ist bloß ein Renner und „eine absolut zentrale Forderung“ fast so großer Unfug wie die „absolute Minderheit“, was als Gegenbegriff zur eingebürgerten „absoluten Mehrheit“ eine Menge von weniger als 50 Prozent bezeichnen müsste. Doch das weiß die absolute Mehrheit „absolut nicht“ (überhaupt) und ebenso wenig, dass „das Absolute“ ein Hegel’scher Begriff ist, der „Gott“ ins Weltliche übersetzt. Alles andere ist relativ. Wenn also für ein Bankhaus ein neuer Standort „der absolute Favorit“ unter mehreren Alternativen ist, dann ist er nur der relative Favorit – eine Wendung, bei der hoffentlich nicht nur die absolute Minderheit merkt, wie beknackt schon die originale Formulierung ist.

Wenn Friedrich Schleiermacher einst schrieb, Frömmigkeit sei das Gefühl „schlechthinniger Abhängigkeit von Gott“, so müsste man heute schlechthin „absoluter“ schreiben, derart dominiert „absolut“ den Sprachgebrauch. Sagte ich „dominiert“? Dazu können Sie jetzt selbst mal Beispiele sammeln. Vielleicht finden Sie bei einer gründlichen, nö: „intensiven“ Suche sogar ein paar Prachtstücke, nee: „Highlights“. Oder machen andere großartige, ach was: „geniale“ Funde, „okay“?

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12 Kommentare

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  • Die deutsche Sprache ist in der Tat vielseitig. Sie kennt sogar einen Unterschied zwischen Worten und Wörtern. In Ihrem Text, sehr geehrter Herr Köhler, geht es wohl eher um Wörter als um Worte - oder?

  • 6G
    677 (Profil gelöscht)

    Mal wiederein sehr guter Text der Spaß gemacht hat.

    Zum Thema Präzision: versuche mal jemand (wie ich von Zeit zu Zeit muß) technische Texte vom Englischen ins Deutsche oder umgekehrt zu übertragen. Man merkt schnell, daß es im Deutsche erheblich mehr Begriffe gibt, die dann höchst präzise etwas bezeichnen und nicht wie im Englischen erst durch den Kontext zu Bedeutung kommen.

  • Die absolute Präzision der deutschen Sprache erkennt man schon daran, dass sie vorzugsweise überall auf der Welt gesprochen wird,- sobald sich nur zwei Deutsche begegnen. Insgesamt ein längst überfälliger intensiver Kommentar mit reichlich Nachhaltigkeit im Abgang und dankenswerterweise völlig ohne versteckte moralische Mittelfinger auskommend. "So soll es sein. So kann es bleiben!"

    • @Rainer B.:

      Wenn sich zwei Franzosen begegnetn, sprechen sie vorzugsweise Französisch. Was natürlich die "absolute Präsizion" des Französischen beweist. Ebenso bei den Finnen, die dann das absolut präzise Finnische benutzen. Oder wenn sie Brasilianer und Portugiesen begegnen - die dann darüber streiten, ob das brasilianische oder europäische Portugiesisch noch präziser ist als das andere.

       

      Oder kurz gesagt: Nein, das Deutsche ist nicht "absolut präzise", ebenso wenig oder viel wie andere Sprachen. Da ist die Sprachwissenschaft seit einem guten Jahrhundert schon drüber hinweg.

      • @Soungoula:

        Na, da sind Sie aber voll in die Ironiefalle getappt. Ich meinte das mit der Präzision - ebenso wie Peter Köhler - natürlich nur ironisch. Unsere "Muttersprache" ist nunmal allzu vieldeutig, um präzise sein zu können.

        Unter der Rubrik "Wahrheit" der taz finden Sie regelmäßig Satire. Tragen Sie's mit Fassung!

        • @Rainer B.:

          Das Problem ist: Ich kenne die Kolumnen von Köhler. Und im Unterschied zu den sonstigen Texten in der Rubrik sind sie leider meistens zwar polemisch, aber alles andere als ironisch. Weil aus den Zeilen doch immer ein zutiefst normatives und überkommendes Sprachbild tritt.

          Ihr Ironieversuch in allen Ehren - aber wenn man Köhlers Kolumnen kennt, kommt man nicht umhin zu erschließen, dass er das mit der Präzision wirklich ernst meint.

          • @Soungoula:

            In der Regel wird in den Schulen ja Latein und Englisch als Sprachen mit der grössten Präzision gepriesen, wobei Latein ja leider eine tote Sprache ist. Ich persönlich finde Englisch auch wesentlich genauer als Deutsch und greife gern darauf zurück, wenn es um Klarheit geht. Übrigens steht das Wort "Highlight" zwar mittlerweile auch im Duden, ist aber ursprünglich ein englisches Wort. Spätestens da wird's doch auch bei Köhler ironisch.

            • @Rainer B.:

              So wie ich Köhler verstehe, ist die Sache mit dem Highlight gerade _nicht_ ironisch, weil er denkt, dass mit dem ex-englischen, neu-deutschen "Highlight" auf magische Weise semantische Kräfte verloren gehen. Man versteht diesen metaphysischen Vorgang zwar nicht (er selbst wohl am allerwenigsten), aber anscheinend ist das reine Englisch-Gewesensein schon Problem genug, um über diesen "Präzisionsverlust" zu jammern. Vielleicht haben wir unterschiedliche Begriffe von Ironie. So wie ich das verstehe, meint er jedenfalls nicht das Gegenteil von dem was er schreibt, sondern das ist schon eine ernsthafte Ansicht, die nur möglichst locker präsentiert werden soll.

               

              Aus Erfahrung kann ich übrigens sagen: Auch Englisch ist nicht genauer oder ungenauer als Deutsch. Ich schreibe oft in beiden Sprachen, dazu auch oft in Französisch, für wissenschaftliche Publikationen (in der Linguistik). Formulierungsprobleme hat man in jeder Sprache mal, wenn es sich so anfühlt, man könne den Kern der Sache nicht treffen. Aber eine instrinsische Schwäche der jeweiligen Sprache ist das nie.

              • @Soungoula:

                Das kann wohl nur Köhler selbst auflösen.

                Zur Ironie gehört für mich z.B. auch das vehemente Verteidigen einer Überzeugung, die man selbst eigentlich für falsch hält.

                • @Rainer B.:

                  Richtig. Köhler wird aber wahrscheinlich weiterhin solche Kolumnen schreiben, anstatt das Rätsel aufzulösen.

                  Was ja letztendlich auch eine Auflösung ist - denn dass er diese Überzeugung wirklich für falsch hält und trotzdem regelmäßig kleinste Beispiele für "Fehler" und "Sprachsünden" sammelt um sie dann ironisch anprangern zu können, das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor.

  • Wie schön, die übliche Ansammlung von Unkenntnis über Sprache.

     

    1. Wie misst man, dass das Deutsche so „präzise“ und „anschaulich“ ist? Wie misst man, dass diese Eigenschaften angeblich nachgelassen haben? Solche Zuschreibungen sind völlig willkürlich und haben keinerlei Fundierung in der Sprache selbst.

     

    2. Statt „Highlight“ hätte man an den genannten Stellen „Krönung“ oder „Höhepunkt“ sagen können – hätte damit aber nichts gewonnen, weil es ja schließlich auch für „schönstes Erlebnis“ oder „das Beste“ stehen kann. „Highlight“ ist also nicht semantisch schwächer. Es ist eben einfach Englisch.

     

    3. „Das Deutsche nähert sich den Sprachen an, die im Rest der Welt benutzt werden“, weil es angeblich an Eindeutigkeit und Anschaulichkeit verliert. Ja, lebt denn der Autor noch im 19. Jahrhundert? Glaubt er ernsthaft an die Einzigartigkeit und Überlegenheit des Deutschen über alle anderen Sprachen? Überraschung: Über das Französische, Spanische, Englische (!) sagte man lange Zeit genau dasselbe. Gestimmt hat’s in keinem der Fälle.

     

    Meine Empfehlung: Mal ein bisschen was über Sprachgeschichte, Sprachwissenschaftsgeschichte und gerne auch Semantik lesen. Dann vielleicht wieder ne Kolumne schreiben. Aber nur wenn’s sein muss, weil: überflüssig.

  • absolut wunderbar (wirklich)