Zum 100. Geburtstag von Tove Jansson: Eine Künstlerin mit Freiheitsdrang
Als Schöpferin der Mumintrolle ist Tove Jansson bekannt, als Buchautorin noch zu entdecken. Sie schreibt unsentimental und dennoch berührend.
„Ich glaube, dass jede Leinwand, nature morte, Landschaft, was auch immer, im Innersten ein Selbstporträt ist!“ Was Tove Jansson 1998 über die Malerei sagte, trifft auch auf ihre literarischen Arbeiten zu. Sie zeigen das Selbstporträt einer faszinierenden Frau und Künstlerin, die uns bis heute viel zu sagen hat.
Tove Marika Jansson wurde am 9. August 1914 als Tochter der Grafikerin Signe Hammarsten-Jansson und des Bildhauers Viktor Jansson in Helsinki geboren, wo sie 2001 nach einem überaus produktiven Leben verstarb. Die Malerin, Zeichnerin und Autorin wird in den nordischen Ländern – aber auch in Japan – aufrichtig verehrt. Auch in Deutschland könnte sie jetzt als Autorin noch deutlich bekannter werden, da in ihrem Jubiläumsjahr einige ihrer lesenswerten Bücher neu erscheinen. Auch die große Biografie, die Tuula Karjalainen über Tove Jansson schrieb, erscheint dieser Tage auf Deutsch.
Wie den meisten hierzulande begegnete mir Tove Jansson zu allererst als Autorin und Zeichnerin der Mumins-Comics. Ein Kollege brachte 2006 von einem Festival in Helsinki die Mumins sowie die absolut richtige Überzeugung mit, wir sollten in unserem Verlag Reprodukt unbedingt diese Comicstrips veröffentlichen. Im Arena-Verlag erschienen seit Längerem Mumins-Geschichten. Die Comics hingegen waren seit Jahren vergriffen und ohnehin zuvor in deutscher Sprache nur in ziemlich fragwürdigen Ausgaben erhältlich. Dabei sind es die Mumins, auf die sich Janssons Ruhm begründet.
Tove Jansson und ihre beiden jüngeren Brüder Per-Olov und Lars wuchsen in einem Künstlerhaushalt auf. Tove lernte auf dem Schoß ihrer Mutter zeichnen, die mit ihren Illustrationen maßgeblich zum Familieneinkommen beitrug. Es stand immer fest, dass auch die Tochter Künstlerin werden würde, wobei Tove sich vor allem für Malerei begeisterte. Illustration galt bestenfalls als Kunsthandwerk; dennoch begann auch Tove schon sehr früh wie ihre Mutter politische Karikaturen für die linksliberale Zeitschrift Garm zu zeichnen.
Durchaus keine heile Welt
Dort und auf ihren Bildern tauchten erste einzelne Mumintrolle auf. Tove Jansson selbst hat sie als „zornige Signetfigur meiner Karikaturen“ bezeichnet. Die erste Mumins-Geschichte schrieb und illustrierte Tove Jansson während des Kriegs in den 1940er Jahren. Sie hasste den Krieg und fürchtete um ihren Bruder, ihren Geliebten und Freunde, die eingezogen worden waren.
Mit „Mumins lange Reise“ erfand sie eine tröstliche Parallelwelt zum Kriegsalltag. Nach dem Krieg wurden Mumins-Geschichten als Kinderbücher erfolgreich, obwohl das Mumintal durchaus keine heile Welt ist. Die Muminfamilie besteht aus Muminpapa und Muminmama, Mumin selbst und seiner Liebsten, Snorkfräulein. Die leicht nilpferdartigen Mumins sind gastfreundliche und abenteuerlustige Hedonisten.
Das Mumintal ist bevölkert von einer Vielzahl unterschiedlichster Wesen; viele davon sind schrullig, einige sogar unheimlich. Alle haben ihren Platz und sind den Mumins (fast) jederzeit willkommen. Neugierig, wie sie sind, geraten die Mumins immer wieder in die Klemme oder sind bedrohlichen Naturphänomenen ausgesetzt. Sie kommen aber immer davon, weil sie zusammenhalten, oder einfach weil die Autorin es so will und der Komet deshalb das Mumintal verschont.
Ab Mitte der 1950er Jahre begann Jansson damit, für die erwachsenen Leser des englischen Evening Standard die Mumins-Strips zu entwickeln. In der Folge wurden auch die Muminsgeschichten erwachsener, die Entwicklung und die Beziehungen der Figuren psychologisch ausgeklügelter.
Tove Jansson nahm den Auftrag für einen täglichen Zeitungsstrip vor allem an, weil sie sich von einem regelmäßigen Einkommen den nötigen Freiraum zum Malen erhoffte. Doch sechs Strips in der Woche und der wachsende Erfolg der Mumins führten genau zum Gegenteil. So übergab Jansson die Arbeit an den Comics nach und nach ihrem Bruder Lars, bis der die Serie ab 1960 ganz übernahm.
Wie sehr die Muminswelt von Tove Janssons eigener Familie geprägt ist, zeigt sich in ihrem autobiografischen Buch „Die Tochter des Bildhauers“ (1968). Toves Vater Viktor Jansson hatte im finnischen Bürgerkrieg 1918 auf Seiten der „Weißen“ gegen die Sozialisten gekämpft und blieb sein Leben lang ein Patriot. Die Janssons bewohnten aber auch jahrelang eine Atelierwohnung in einem Künstlerhaus und Tove Jansson wuchs zwischen Bürgerlichkeit und Boheme auf.
Das Leben an der Küste und auf den Schäreninseln war ein weiterer entscheidender Einfluss. Kein Buch Janssons kommt ohne das Meer aus. Gleich die erste Episode in „Die Tochter des Bildhauers“ beschreibt das Anwesen der schwedischen Großeltern – ein großer Garten am Meer, der stark ans Mumintal erinnert. Dort fordert Tove, die Enkelin des Pastors und Tochter des Bildhauers, den lieben Gott und die Kunst zugleich heraus. Beides misslingt – dennoch schafft sie es, aus diesem Scheitern etwas zu machen.
Ein starkes und eigenwilliges Mädchen
Jansson erzählt von sich als selbstbewusstem, starkem und eigenwilligem Mädchen, das viele Freiheiten hat und gleichzeitig besonders bei der Mutter vollkommen geborgen ist. Vielen Orten und Personen aus Janssons Kindheitserinnerungen begegnet man im Mumintal wieder, ebenso zentralen Motiven wie das Leben zwischen Geborgenheit und Abenteuerlust, Freundschaft und Freiheit.
Tove Jansson ist eine äußerst ökonomische Erzählerin. Ihr Ton ist so leicht wie präzise. Auch „Das Sommerbuch“ (1972) besticht durch unsentimentale Klarheit. Tove Jansson hat es nach dem Tod ihrer Mutter geschrieben, der sie damit ein literarisches Denkmal setzt.
Auch hier ergeben kurze Episoden das ganze Bild. Sie erzählen von der liebevollen Verbundenheit zwischen einer Großmutter, in der man Signe Hammarsten erkennen kann, und ihrer Enkelin Sophia, deren reales Vorbild die Nichte Tove Janssons ist. Eine unvollständige Familie, bestehend aus dem Mädchen, ihrem Vater und der Großmutter, verbringt den Sommer auf einer Schäreninsel. „Eines Nachts im April, es war Vollmond, und Eis bedeckte das Meer, wachte Sophia auf. Ihr fiel ein, dass sie auf die Insel zurückgekehrt waren und dass sie ein eigenes Bett hatte, weil ihre Mutter tot war“ (aus „Das Sommerbuch“).
Liebe und Arbeit
Die Großmutter ist für Sophia da, lässt sie ihre Erfahrungen machen, beantwortet ungerührt Fragen nach dem eigenen Tod. Diese alte Frau hat nicht verlernt, sich in ein Kind hineinzuversetzen, und den kindlichen Blick auf die Welt hat sie sich ebenfalls bewahrt. Im Sand liegend, betrachtet sie den winzigen Ausschnitt der Welt in ihrer Armbeuge.
Allein Tove Janssons Beschreibung dieser konzentrierten und zugleich spielerischen Versenkung in die Form einer Feder und eines Halmes würde schon die Lektüre des ganzen Buches lohnen. Auch „Das Sommerbuch“ kommt ohne jede Sentimentalität aus und gehört zu den bewegendsten Büchern über die Liebe in einer Familie und die Liebe zur Natur.
Über Liebe und Arbeit, ihr zweites großes Lebensthema, schreibt Jansson in „Fair Play“ (1989), das jetzt ebenfalls auf Deutsch vorliegt. Ihre Lebensgemeinschaft mit Tuulikki Pietilä seit Mitte der 1950er Jahre inspirierte diese Geschichten. Zwei Künstlerinnen leben sehr vertraut miteinander. Sie schauen zusammen B-Movies oder Fassbinder-Filme, verreisen gemeinsam, sie unterstützen einander, und vor allem lassen sie sich gegenseitig den nötigen Freiraum, den jede für ihr Leben und ihre Arbeit braucht.
Tuula Karjalainen: „Tove Jansson – Die Biografie“. Aus dem Finnischen von Pirschel/Michler-Janhunen. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2014, 320 Seiten, 36 Euro
Tove Jansson: „Das Sommerbuch“. Aus dem Schwedischen von Brigitta Kicherer. Bastei Lübbe, Köln 2014, 208 Seiten, 12 Euro
Mumins 1 bis 6: Die gesammelten Comic-Strips von Tove Jansson gibt es in schönen Bänden beim Verlag Reprodukt, Berlin. Ebenso bei Reprodukt sind in Neuübersetzung die Kindercomics erschienen: „Mumins: Ein Urwald im Mumintal“ sowie „Mumin und der Komet“ (10 Euro, ab 6 Jahren)
Freiheit ist ein wiederkehrendes Motiv und zugleich ein Grundbedürfnis Tove Janssons. Vor allem als junge Frau, aber auch später immer wieder musste Jansson ihre Freiheit durchsetzen. Gegen den bürgerlichen Vater, aber auch gegen paternalistische Freunde, Geliebte und Künstlerkollegen. Gegen eigene Depressionen und gegen den jeweiligen Zeitgeist, dem die Mumins zuerst zu unsittlich, später dann nicht feministisch genug oder sonst wie politisch enttäuschend waren.
Dass ihr das keineswegs leicht gefallen ist, erfahren wir aus der umfangreichen Biografie von Tuula Karjalainen. Sie stützt sich auf zahlreiche Dokumente und auf Gespräche mit Verwandten und ergänzt das Bild Tove Janssons, das sich aus der Lektüre ihrer eigenen, wunderbaren Bücher ergibt. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass mehr Literatur von Tove Jansson auf Deutsch erscheint, wie etwa „The True Deceiver“, „Sun City“ oder „Travelling Light“. Da liegen noch Abenteuer vor uns.
Die Autorin ist die deutsche Verlegerin von Tove Jansson.
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