Björn Bicker über Theater vor Ort: „Das ist doch viel komplizierter“
Das Schauspielhaus geht auf die Hamburger Elbinsel Veddel – ein langer vernachlässigter Stadtteil, in dem eine alte Welt stirbt und eine neue, unübersichtliche entsteht.
taz: Herr Bicker, Mit dem Projekt „New Hamburg“ will das Hamburger Schauspielhaus die Stadt der Zukunft auf der Veddel bauen. Sind Theaterleute die besseren Stadtentwickler?
Björn Bicker: Die Veddel ist in ihrer Vielfalt schon die Stadt der Zukunft, die muss man gar nicht mehr bauen. Theater kann eine Ressource zur Verfügung stellen, die die Einrichtungen de facto hier leider nicht haben, sie haben nicht die Leute und das Geld für solche Projekte. Aber damit ist es natürlich nicht getan. Was Theater kann, ist, sich andere Wege der Begegnung auszudenken, jenseits der erprobten Pfade. Mit einem anderen Zugang, aber gemeinsam mit den Leuten, die sowieso schon hier arbeiten.
Wie haben Sie und die Veddel zueinander gefunden?
Die evangelische Gemeinde auf der Veddel ist eine sehr kleine, weil es mittlerweile wenig evangelische Christen gibt und es ist der Wunsch der Gemeinde, den Raum dem Stadtteil zur Verfügung zu stellen und ihn für Leute aller Religionen zu öffnen. Dabei helfen wir mit.
Was tun Sie konkret?
Wir sind mit Recherche- und Vernetzungsarbeit seit eineinhalb Jahren hier, die ersten Projekte arbeiten seit einem Jahr, zum Beispiel das Welcome’s Höft. Es gibt hier eine Flüchtlingsunterkunft an der Hafenbahn, 500 Meter vom Zentrum der Veddel entfernt. Es gab Versuche der islamischen und der evangelischen Gemeinde und von „Pro Quartier“, das miteinander zu vernetzen, was nicht so einfach war. Dann haben wir gesagt: Da können wir mithelfen.
Der Sozialarbeiter wird an dieser Stelle möglicherweise sagen, dass man als Theatermensch eine weitere Barriere mitbringt, die eines bildungsbürgerlichen Hintergrunds und wenig Erfahrung mit Sozialarbeit.
Von wem reden Sie gerade?
42, ist Dramatur, Autor und Regisseur. Für das Schauspielhaus hat er das Stadtteilprojekt "New Hamburg" entwickelt.
Von Ihnen als Theatermensch.
Wer ist denn der Theatermensch?
Sie als Regisseur, der Dramaturg und seine Mitarbeiter.
Das ist doch viel komplizierter. Wir, also Malte Jelden, Michael Graessner und ich arbeiten seit vielen Jahren an solchen Projekten, wir sind geübt in solchen Prozessen und haben viel Kontakt mit Menschen, die eine andere Sozialisation haben als wir selbst. Da sehe ich kein Problem. Außerdem geht es um Begegnung. Wir versuchen, Situationen herzustellen, in denen eine möglichst gleichberechtigte Begegnung stattfinden kann.
Wie sehen die aus?
Es gibt ganz klassische theatrale Projekte, für die wir Ensembles bilden, die sich aus verschiedenen Communitys zusammensetzen oder so etwas wie das Café-Projekt. Es gibt ein großes Bedürfnis der Leute nach einem Ort, wo man sich begegnen kann, wo sich nicht nur einzelne Communitys treffen. Jetzt haben wir versucht, mit BewohnerInnen ein Café zu gründen, in einem Prozess, bei dem die Leute selber gestalten. Oder es gibt im Stadtteil ein Eltern-Kind-Zentrum, zu dem auch Mütter aus der Flüchtlingsunterkunft eingeladen sind – da geht es darum, dass sich die Leute kennenlernen.
Der klassische Theatergänger ist dann nicht mit von der Partie.
Wenn die Ressourcen einer Hochkultur-Einrichtung solch eine Arbeit möglich machen, kommen immer diese Fragen – müssen sie ja auch. Normalerweise stehen die Mittel, die eine Einrichtung wie das Schauspielhaus hat, einem ganz kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung, zwei, drei Prozent. Jetzt kann man die Frage stellen: Könnte man diese Produktionsmittel einmal anderen Leuten zur Verfügung stellen – darum geht es bei einem solchen Projekt auch. Aber es sind ja alle eingeladen.
Sie haben jetzt ein paar Mal von den Bedürfnissen der Leute auf der Veddel gesprochen – lassen die sich auf einen Nenner bringen?
Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, welcher Community die Leute angehören. Ich glaube, dass es genau das ist, was man lernen muss: Diese Bedürfnisse lassen sich nicht allgemein formulieren. Es gibt das Bedürfnis der muslimischen Gemeinde, die eine größere Moschee braucht, in der sie alle Leute unterbringen kann. Das Bedürfnis von jungen Müttern, die keinen Kinderarzt auf der Veddel haben. Es gibt den Fußballtrainer, der zweimal pro Woche für seine Jungs kocht und einen größeren Raum dazu braucht. Und es gibt tatsächlich ein großes Bedürfnis der Menschen, sich zu begegnen.
Was wird hinterher Maßstab für Sie sein, ob das Projekt gelungen ist?
Da gibt es viele Perspektiven. Als wir im Mai das große Fest auf der Veddel gemacht haben, da gab es einen Moment von Gelingen. Da haben der Imam, der Pastor der evangelischen Gemeinde und der der Pfingstlergemeinde das Projekt gemeinsam gesegnet und sehr viele Leuten der verschiedensten Communitys sind zusammengekommen. Oder: Gerade proben wir das Stück „Die Insel“, das ich geschrieben habe, mit einem Ensemble von zwölf Darstellern, die hier auf der Veddel leben und Schauspielern aus dem Schauspielhaus. Das sind muslimische Männer, afrikanischstämmige Frauen, deutschstämmige Leute, ganz unterschiedlich. Die begegnen sich im Kirchenraum, in dem geprobt wird, freunden sich an, und werden eine neue Gruppe. Das verändert natürlich einen Stadtteil, denn sie begegnen sich anschließend auf der Straße auf eine komplett andere Weise.
Ich stelle mir die Ausgangssituation nicht ganz einfach vor: Die muslimische Gemeinde platzt aus allen Nähten, die evangelische schrumpft immer weiter.
Es ist schade, dass Sie jetzt nicht hier vor Ort sind. Sonst würde ich Sie in die Kirche führen und die Frage wäre durch den Raum beantwortet. Es gibt keine Kirchenbänke mehr, es liegt ein Teppich darin, es gibt Schuhregale und einen großen Leuchter. Der erste Anschein ist: Das ist eine Moschee. Aber hinten ist noch der große Jesus und der Altar – eigentlich vermischen sich die religiösen Bilder. Für die Kirche ist die Frage: Welche Vorstellung von Vielheit kann ich aus meinem Glauben entwickeln? Welche Verhältnisse entwickle ich zu anderen Religionen – und wie offen oder geschlossen sind meine Räume? Wie verhalte ich mich als Minderheit?
Und wie offen sind die Räume?
Da gibt es Ängste, Leute, die sagen: „Macht keine Moschee daraus“, andere, gerade auch von muslimischer Seite, die sagen: „Kann doch nicht sein, dass es keinen Pastor mehr hier gibt“, die einen starken Partner wollen. Und wieder andere, die sich freuen würden, wenn eine Moschee daraus würde. Die Gesellschaft ist insgesamt in einem Aushandlungsprozess und ich finde es wichtig, dass wir ihn mit Freude betreiben. Es ist auch schön, sich zu begegnen und sich auseinanderzusetzen.
Was ist das Schöne daran?
Weil man Menschen kennenlernt. Man verbindet sich und kann gemeinsam darüber nachdenken, wie dieses New Hamburg aussehen soll, in dem wir gemeinsam leben: Wie sollen sich Vermieter verhalten? Wie soll eine Schule ohne Rassismus funktionieren? Die Dinge anzugehen und sie zu lösen, statt nur in Angstbildern zu verharren.
bis 25. Oktober an diversen Orten. Programm: www.new-hamburg.de
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