Das Theater geht in die Kirche: Die Kunst der Begegnung

Durch sieben Münchner Gebetsräume ist das Projekt „Urban Prayers“ der Münchner Kammerspiele gezogen. Für eine Botschaft von der Vielfalt.

Die Schauspieler der Kammerspiele lesen „Urban Prayers“ in der Mehmet Akif Moschee in München. Bild: Andrea Huber

Gegenüber den Machtlfinger Höfen im Münchner Stadtteil Obersendling bekommt ein hässliches Haus festlichen Besuch. Die togolesische Moschee wird gerade eingeweiht – und gesellt sich damit zu sechs weiteren Religionsgemeinschaften, die in dem vierstöckigen Gebäude zwischen Tanzschulen und Bordellen ihrem Glauben nachgehen. Hier beten unter anderem: afghanische Muslime, irakische Schiiten (mit Fußball-Leinwand im Gebetsraum), herrlich gastfreundliche Sikhs und eine erst zwei Jahre junge christliche Freikirche.

Dort empfängt Pastor Joe in einem lilafarbenen Raum und deutet am Whiteboard auf die Verzweigungen seines Glaubenssystems: vom persönlichen Erweckungserlebnis bis zur unbedingten Notwendigkeit, zu missionieren. Für das innere Kopfschütteln, das sich in diesem Moment einstellt, kann der Anlass für den Besuch nichts: das durch sieben Gebetsräume wandernde Projekt „Urban Prayers“, das zuvor ins Haus auf der anderen Straßenseite eingeladen hatte.

Eine große Ökumene saß dort auf dem Boden, um zwischen Gospel und Sikhgebet einem Text zu lauschen, den der Kammerspiele-Exdramaturg Björn Bicker aus unzähligen Gesprächen mit Münchner Gläubigen kondensierte. Inszeniert hat das Arrangement, in dem Wiebke Puls, Cigdem Teke, Stefan Merki, Steven Scharf und Edmund Telgenkämper nebeneinander sitzend mehr lesen als spielen, der Intendant der Kammerspiele selbst. Und näher ist Johan Simons seinem Ideal des für alle Bevölkerungsgruppen offenen Stadttheaters noch nie gekommen.

Gemeinschaft werden

Bickers Text beschwört eine heterogene Gemeinschaft, die die Frage nach ihrer Eigenart an die Zuschauer zurückgibt: „Was glaubt ihr denn, wer wir sind“, „wo wir stören“, „wo wir euch begegnen wollen?“ Chorisch, jede Silbe in emotionsbereinigtem Stakkato von der folgenden abgesetzt, beginnt der Text. Mal pocht einer, die Tonhöhe leicht variierend, auf Individualität. Dann zersplittert der Chor in (namenlose) Einzelstimmen, Meinungspingpongs und Widersprüche.

Vorwitz stiehlt sich hinein und Humor („wir führen euch herum“ – „wir nicht“ – „wir auch nicht“). Es ist von Moscheen mit bayerischen Zwiebeltürmen und von freundlichen Verfassungsschützern die Rede, die Moslems vor Bomben warnen. Von dem „Homoding“, das „gar nicht geht“, und von Toleranz gegenüber „eurer Toleranz“. Der hoch konzentrierte Text ist mit so feiner Musikalität umgesetzt, dass er ein äquivalentes, aber dezidiert nichtpathetisches Gegengewicht zu den christlichen Unterbrechergesängen des Theaterchors bildet, den Christoph Homberger mit fast komischer Inbrunst anführt.

Beten im Schichtbetrieb

Bicker, der den Text vorab allen am Projekt Beteiligten zu lesen gab, hat sich klug vom Theologischen ferngehalten, das sofort die Unterschiede betonen und Abgrenzung provozieren würde. Stattdessen hat er gebündelt, wie die Gläubigen Gemeinschaft definieren und sich selbst in ihrer Position zur Stadt. München als city of god, als urbanes Mosaik von Glaubensfacetten und -ritualen, die es, obwohl gern in vielerlei Weise an die Peripherie gedrängt, anzuschauen lohnt – das ist die Botschaft des Stadtprojekts.

Dessen Wanderung durch jüdische, muslimische, adventistische, griechisch-orthodoxe und katholische Gotteshäuser sowie ein sehr pragmatisches evangelisches, in dem auch kongolesische, koreanische und äthiopische Gemeinden „im Schichtbetrieb“ beten, hat so manchen tief bewegten Menschen entlassen, der von alleine nie die Schwelle zum Unbekannten überwunden hätte.

Theater als Türöffner

Das Theater als Türöffner, hier hat es funktioniert. Und zwar nach allen Seiten. Viele Religionsgemeinschaften haben erstmals ihre Räume für die Kunst aufgemacht (und sich mit eigenen Beiträgen eingemischt) – manche diskutierend, erst eine höhere Stelle konsultierend oder angesteckt vom vorangegangenen Besuch in einem anderen Gotteshaus.

Und was es da alles gibt, darüber war selbst der studierte Theologe Björn Bicker erstaunt: zum Beispiel die jüngste monotheistische und zutiefst demokratische Religion der Bahai, zu der – schöne bunte Welt! – eine junge Chinesin in Österreich fand. Sie ist eine von 40, die am Wochenende in einem neunstündigen Redenmarathon auftreten, und spricht zum Thema Gerechtigkeit. Die zweitägige „Urban Prayers Convention“ lässt die „Stadtprediger“ zum Abschluss ihrer Wanderung ins Theater ein, wo am Sonntag nach Performances, Debatten und Musik gemeinsam mit dem Münchner Muslimrat zum Fastenbrechen eingeladen wird.

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