Von den Behörden beschlagnahmte Tiere: „Ein Verdacht, dann marschieren die los“
Die Kieler Staatsanwaltschaft gehe unverhältnismäßig hart gegen Tierhalter vor, klagt eine Organisation für „gerechten Tierschutz“. Lob kommt dagegen vom Tierschutzbund.
HAMBURG taz | Wie ein „Überfallkommando“ hätten Polizei, Staatsanwaltschaft und Veterinärärzte auf ihrem Hof gestanden, erzählt Inga Raths. Rund 20 Beamte hätten das rote Backsteinhaus im Schleswig-Holsteinischen Padenstedt durchsucht, die Koppeln und die Hundezwinger.
„Mir wurden meine Rechte nicht erklärt und ich durfte erst einmal nicht telefonieren“, sagt die Hundezüchterin. Einen richterlichen Beschluss habe sie nie zu Gesicht bekommen, Gründe für die Durchsuchung habe ihr niemand genannt.
Erst der Polizeibericht offenbarte den Verdacht, Raths betreibe neben der offiziellen Zucht illegalen Hundehandel. „Da äußert irgendeiner einen Verdacht und dann marschieren die los“, kritisiert Raths Lebensgefährte Gerhard Kosch. „Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts mehr zu tun.“ Und sieben beschlagnahmte Tiere habe man schon am nächsten Tag zurückbekommen.
Einfach hinnehmen wollen die beiden das Vorgehen von Behörden und Justiz nicht. Sie sind dem Arbeitskreis gerechter Tierschutz (AGT) beigetreten, einem Zusammenschluss von Landwirten, Hundezüchtern, Pferdehaltern oder auch Zirkussen.
In den Kieler Landtag eingebracht hat das Thema im September die Piraten-Abgeordnete Angelika Beer. "Bei einer solchen Vielzahl von Beschlagnahmungen", sagt sie, "muss die Justiz die Vorgänge transparent machen."
Beers Kleine Anfrage ergab, dass der leitende Oberstaatsanwalt in Kiel die Vorwürfe prüft. Wann Ergebnisse vorliegen werden, ist ungewiss.
Einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der rund 120 Fälle fordert indes der AGT.
Fälle wie den Raths gibt es demnach häufiger: Von rund 120 im Zuständigkeitsbereich der Kieler Staatsanwaltschaft geht der Verein seit 2011 aus – unverhältnismäßige Razzien, oft ohne Vorlage eines Durchsuchungsbeschlusses, unnötige Beschlagnahmungen von Tieren.
Die Staatsanwaltschaft möchte sich zu laufenden Verfahren nicht äußern. Oberstaatsanwältin Birgit Heß schließt aber nicht aus, dass im Einzelfall auch ohne richterliche Bestätigung beschlagnahmt worden sein könnten.
Im Gegensatz zu den Tierhaltern begrüßt der Tierschutzbund Schleswig-Holstein das entschlossene Handeln der Kieler Behörde: „In anderen Regionen schauen Staatsanwälte viel zu lange weg, wenn es um Tierschutz geht“, sagt der Landesvorsitzende Holger Sauerzweig-Strey.
Dagegen leisteten die in Kiel „gute Arbeit im Sinne der Tiere“. Der AGT habe mit dem karikativen Tierschutz in Deutschland nichts zu tun, sondern handele im Eigeninteresse. „Die Halter hätten die Missstände auch im Vorhinein abstellen können“, sagt Sauerzweig-Strey.
Dem widerspricht Verena Rottmann, Sprecherin des AGT. Vor vielen der Beschlagnahmen habe es weder Gespräche mit den Veterinärämtern gegeben noch irgendwelche Auflagen.
Die Staatsanwaltschaft habe Zuständigkeiten umgangen, sagt Rottmann. Sie ist Rechtsanwältin, auf Tierschutzrecht spezialisiert, hat ein Buch über die Deutsche Dogge geschrieben – und steht selbst gerade wegen des Verdachts auf Tierquälerei vor Gericht. Im April vergangenen Jahres beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Kiel Rottmanns drei Doggen.
Die Hunde seien „erheblich abgemagert“ gewesen, hätten „über fast keine Muskulatur“ mehr verfügt und dadurch „länger anhaltende Schmerzen“ erlitten, schreibt die Staatsanwaltschaft in einer Presseerklärung.
„Haltlos“ nennt Rottmann die Vorwürfe. Sie legte Beschwerde ein, ohne Erfolg. Vergangene Woche bestätigte das Landgericht Kiel die Beschlagnahme. „Es ist verhältnismäßig, um eine erneute Gefahr für das Wohl der Tiere abzuwenden“, so Gerichtssprecherin Rebekka Kleine. Die Anlage, auf der die Hunde gehalten wurden, sei „sehr verdreckt und zugekotet“ gewesen, die Hunde „hatten panische Angst, an der Leine ins Freie zu gehen“.
Die Halterin stellt es anders dar. Auch ein Polizeivideo, das bei Gericht gezeigt wurde, habe gezeigt, wie munter die Hunde gewesen seien, sagt Rottmann. „Kot lag auch keiner herum.“
Eine ihrer Doggen starb während der Unterbringung in einer Pflegestelle. Die Anwältin hofft, dass sie die beiden anderen bald zurückbekommt. In vielen Fällen habe die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Tiere hingegen schnell weiterverkauft – sogar einen Zirkuselefanten.
Dann helfe den Haltern nicht mal ein Gerichtsbeschluss, sagt Rottmann. Der AGT fordert nun, die genaue Zahl von Tierbeschlagnahmungen der Staatsanwaltschaft Kiel offenzulegen. „Das Justizministerium muss sich äußern.“
Auch wenn sie ihre Hunde zurück hat, will Züchterin Inga Raths Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Bis heute versteht die Mutter zweier Kinder das rigorose Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht: „Sie hätten einfach klopfen können, wir haben nichts zu verbergen.“
Nun aber fühle sie sich im eigenen Haus nicht mehr sicher. Die ganze Familie benötige psychologische Betreuung, ergänzt ihr Lebensgefährte. Besonders schlimm sei es für ihre Kinder. „Wir sind jetzt die Geächteten im Ort.“
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