Historikerin über Pazifismus: „Die UNO ist leider schwach“
Die Historikerin Corinna Hauswedell über modernen Pazifismus in Zeiten von IS und Assad, Gegengewalt und Doppelmoral.
taz: Frau Hauswedell, bezeichnen Sie sich als Pazifistin?
Corinna Hauswedell: Ja.
Was heißt das für Sie?
Das heißt, dass sowohl mein Wissen als Historikerin als auch meine praktischen Erfahrungen dahin gehen, dass nur zivile Mittel das Auftreten von Gewalt nachhaltig bekämpfen können. Wobei ich zugeben muss, dass ich vielleicht vor zehn Jahren nicht so schnell Ja gesagt hätte. Das ist schon auch ein Reflex auf die Entwicklungen der jüngeren Zeit.
Wie weit kommt man mit Pazifismus, wenn eine der Konfliktparteien bereit ist, Gewalt einzusetzen?
Ich habe lange in Nordirland gearbeitet, in einem Konflikt, bei dem beide Seiten, staatliche und nichtstaatliche Akteure, bereit waren, Gewalt einzusetzen. Auch da ist meine Erfahrung: Gegengewalt führt in der Regel zur Eskalation. Man muss und kann Wege finden, aus der Gewaltspirale herauszutreten. Mit Gegengewalt gelingt das nicht.
Reden wir über den Konflikt mit dem sogenannten Islamischen Staat, einer Gruppierung also, die bereit ist, extreme Gewalt bis zum Völkermord einzusetzen. Sie werden mir jetzt sagen, dass man vorher hätte aktiv werden müssen, aber das gilt jetzt nicht. Kann da heute irgendetwas anderes helfen, als dessen Ausbreitung mit Gewalt entgegenzutreten?
Militärisches Gegenwirken allein nutzt jedenfalls gar nichts. Sicher muss moderner Pazifismus sich auch um den Schutz vor rechtloser Gewalt kümmern. Wie schützen wir Menschen, die bedroht sind, obwohl sie vorher gar keine Konfliktparteien waren? „Wir“ meint heute eine Weltgesellschaft mit einem relativ hohen Erfahrungspotenzial an Konfliktbewältigung. Und ja: Wir müssen einen Weg finden über politische Allianzen, IS möglichst völkerrechtlich abgesichert zu isolieren und auch militärisch zu stoppen. Aber mindestens ebenso wichtig – Sie haben es ja gesagt: Das Auftreten von IS hat Geschichte und Ursachen, und wenn wir denen nicht auf den Grund gehen, werden wir IS auch nicht wirklich bekämpfen können.
Die Historikerin leitet das Conflict Analysis and Dialogue (CoAD) Institut in Bonn. Sie war mehrere Jahre Mitherausgeberin des Friedensgutachtens und arbeitet jetzt an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg.
Dann mal konkret: Manche sagen, der US-Einmarsch in den Irak 2003 sei der Hauptgrund. Andere sagen, der Einfluss des Iran auf die Regierung Maliki und die von ihm geförderten schiitischen Milizen habe diese Art sunnitischer Reaktion erst provoziert. Wie sehen Sie das? Wo hätte denn eine Weltgemeinschaft sich anders verhalten müssen oder können?
Die beiden von Ihnen genannten Erklärungsansätze sind ja komplementär. Dazu kommt die Verschärfung der weltpolitischen Auseinandersetzungen nach 9/11 und dieses sogenannte erweiterte Sicherheitskonzept des Westens, das vor allem auf militärischer Stärke und Geheimdiensten beruhte oder zivile Interventionsmodelle unter militärische Kuratel stellte – siehe Afghanistan. Dazu kamen Kontroversen und Exklusion innerhalb islamischer Gesellschaften, wie wir sie nach dem Arabischen Frühling beobachten konnten. All das hat zur Radikalisierung von Gruppen wie IS beigetragen. Diejenigen, die aus dem Ausland zum IS stoßen, aus Europa oder Deutschland, häufig frustriert oder marginalisiert in ihrem heimatlichen Umfeld, schließen sich einer Organisation an, deren Kampf Zugehörigkeit, religiöses Heil und Weltbedeutung verspricht. An alldem hat westliche Politik des vergangenen Jahrzehnts einen Anteil.
O. k. Aber was nutzt es, mitten im aktuellen Konflikt Ursachenforschung zu betreiben? Wer könnte da wie agieren? Die „Weltgemeinschaft“?
Die Weltgemeinschaft ist eine Schimäre. Die Gründung der UNO war der bisher wichtigste Versuch, eine Völker- und Staatengemeinschaft mit einem Normenkonsens zu werden, der auf ethischen und rechtlichen Konzepten basiert. Gegenwärtig ist die UNO leider schwach, durch Machtspiele marginalisiert. Dennoch: Es gibt eine Verrechtlichung internationaler Beziehungen, etwa den Internationalen Strafgerichtshof oder die Debatte um Schutzverantwortung.
Warum bricht sich dann in großen Teilen der Welt die Auffassung Bahn, diese Normen seien letztlich in ihrer Anwendung selektiv und daher nicht mehr als ein Instrument der Durchsetzung westlicher Interessen?
Die ökonomische Macht auf der Welt ist so ungleich verteilt, dass das auch zu einer Zerrüttung von Normen führt, zu Doppelmoral und Doppelstandards. Das bringt mich auch wieder zu IS: Letztlich geht es dabei um eine Provokation westlicher Führungsmacht, so wie jede Form von Terrorismus auch immer eine Provokation der Macht ist und insofern ein – wenn auch brutaler – Akt der Kommunikation. Wir müssen darauf eine Antwort finden, die anders ist, die die Menschen schützt und sich im Rahmen der Normen bewegt. Und letztlich: die Normen wiederherstellen.
Wer ist hier wieder „wir“? Wer könnte Friedensmacht sein?
Ich finde die EU gar nicht so schlecht aufgestellt. Es müssen auch gar nicht unbedingt immer alle in der EU mit einer Stimme sprechen. Macht und Einfluss bedeuten heute in der Regel ökonomische Macht. Aber diese sollte politisch anders zum Tragen kommen. Ich wünsche mir, dass Deutschland innerhalb der EU eine neue Bresche für zivile Krisenpräventionskonzepte schlägt und nicht nur darüber redet. Das könnte mit neuen Konzepten und Investitionsprogrammen auf Gebieten der Migrations- und Flüchtlingspolitik geschehen, aber auch durch Dialog- und Vermittlungsvorhaben, die direkt in Krisenherden zum Tragen kommen könnten.
Das ist mir zu theoretisch. Was stellen Sie sich darunter konkret vor?
Deutschland könnte helfen, im Mittleren Osten mit anderen konflikterfahrenen EU-Staaten regionale Foren zu schaffen, in die auch Länder wie Iran und Saudi-Arabien einbezogen werden und wo unsere Erfahrungen mit Krieg, Frieden und Vergangenheitsdiskurs eingebracht werden. Warum nicht zum Beispiel ein Forum entwickeln, wo man die früheren Feinde aus Nordirland mit Konfliktparteien im Nahen Osten zusammenbringt, um den Umgang mit Gewalt, Fragen von Sicherheit und religiöser und ethnischer Identität zu diskutieren? Solche Interventionen sind allerdings nur glaubwürdig, wenn sie nicht von Militäreinsätzen begleitet sind.
Angenommen – Sie sagen ja immer, dass man nicht erst reagieren soll, wenn es zu spät ist –, vor fünf Jahren hätte man so etwas gestartet. Assad, Gaddafi, Mubarak und Ben Ali waren fest im Amt. Und die hätten sich nun alle zusammengesetzt. Was hätte denn dabei bitte herauskommen sollen?
Ob Ihr Beispiel funktioniert hätte, weiß ich nicht. Das waren ja doch sehr selbstverliebte Autokraten. Aber seit dem Arabischen Frühling sind die Voraussetzungen besser. Warum nicht da, wo es etwas besser läuft, also etwa Tunesien, Beispiele für die Region schaffen, positives zivilgesellschaftliches Engagement ausbauen?
Nach dem Ende des Kalten Krieges haben alle davon gesprochen, jetzt gelte es, die Friedensdividende einzusammeln. Gibt es Kriegstreiber, die das verhindert haben?
Das ist mir zu simpel, ich halte nichts von Verschwörungstheorien. O. k., da war die Rüstungsindustrie, die um ihr Geschäft fürchtete. Aber es haben sich auch in den 1990er Jahren zwei politische Diskurse in höchst ambivalenter Weise verbunden: das Konzept menschlicher Sicherheit und Schutz von Menschenrechten mit der Frage, was man denn nun eigentlich mit dem Militär anstellen solle. Die Nato hat zehn Jahre nach einer neuen Mission gesucht.
Hätte sich die Nato nicht direkt nach dem Ende des Kalten Krieges auflösen sollen?
Das hätte nicht nur ich gut gefunden. Und Deutschland hätte mit seiner wiedergewonnenen Souveränität dafür werben sollen. Aber wir haben nicht visionär gedacht, sondern Bündnistreue zur Staatsräson gemacht, und am Ende der 1990er Jahre stand dann die Rechtfertigung neuer militärischer Interventionen – der Kosovokrieg ohne UN-Mandat, ein Tabubruch. Nach 9/11 wurden die meisten auf aktive Friedensförderung setzenden Ansätze hinweggefegt. Das Ergebnis sehen wir heute.
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