Tanzperformance „Made in Bangladesh“: Das Auf und Ab der Nadeln
Mit Tänzerinnen aus Bangladesch hat Regisseurin Waldmann ein Stück über die Textilindustrie entwickelt. Ein Besuch.
Sie kichern oder verkneifen sich das Grinsen, die Tänzerinnen aus Bangladesch, die in Berlin mit Helena Waldmann proben. Waldmann, Tanzregisseurin, korrigiert gerade einzelne Szenen.
Die meisten der Tänzerinnen sitzen auf Kissen am Rand und amüsieren sich über die Ratlosigkeit eines zierlichen Kollegen, der eine Sequenz wiederholen soll, aber diesmal mit dem Rücken zum Publikum. Im Kathak, der genutzten Tanztechnik, ist das unüblich; gegen die Wand zu blicken, irritiert ihn. Doch das Unverständnis, mit dem er dies seiner Regisseurin signalisiert, ist übertrieben und gespielt.
Nach fast drei Monaten Proben, zwei davon in Bangladesch, die letzten Wochen in einem Berliner Probenraum, kennt das Ensemble aus neun Tänzerinnen und drei Tänzern das schon. Helen Waldmann dreht Figuren aus dem Tanz, versucht verschiedene Richtungen. Und wenn sie die Tänzer zu Improvisationen herausfordert, dann auch, um herauszufinden, was sich für die Tänzer gut und was befremdlich anfühlt: „Anfangs waren wir verwirrt“, sagt die Tänzerin Mehmaz Sharimin, „warum ändert sie so viel und andauernd. Die Verständigung geht manchmal Umwege, aber sie kann damit umgehen. Inzwischen haben wir begriffen, worauf das hinausläuft.“
Neben Helena Waldmann sitzt Vikram Iyengar, ihr Ko-Choreograf aus Kalkutta. „Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen“, sagt Waldmann, er ist ihr Vermittler und Übersetzer, wo das Englisch nicht ausreicht. Vor allem aber ist er Experte im Bewegungsstil Kathak, einer Tanztechnik, die alle in der Gruppe schon in früher Jugend gelernt haben.
Uraufführung: 26. 11., Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen; 29. + 30. 11, tanzhaus nrw, Düsseldorf; 3. 12., Tollhaus, Karlsruhe; 11. 12., Kurtheater, Baden (Schweiz); 14. 12., Staatstheater, Darmstadt; 16. 12., Tafelhalle, Nürnberg; 20. + 21. 12., Theaterhaus Jena, Jena
Es ist ein stampfender Tanz, mit unglaublich schnellen Füßen, die feste gegen den Boden stoßen. Seine Bewegungsrichtung ist die Vertikale, von oben nach unten saust die Kraft. „Das hat mich interessiert, dieser gehörig starke Druck, der dabei ausgeübt wird, weil er mich an das Auf und Ab der Nadeln in den Nähmaschinen erinnert hat. Deshalb habe ich mich für den Kathak entschieden“, sagt die Regisseurin.
Riskante Arbeitsbedingungen, tödliche Unfälle und minimale Bezahlung
Ihr Stück „Made in Bangladesh“ setzt bei der Textilindustrie in Bangladesch an. Die ist berühmt-berüchtigt für riskante Arbeitsbedingungen, tödliche Unfälle und minimale Bezahlung. Das Thema vor Ort zu recherchieren, war nicht einfach. Doch eine der Tänzerinnen, Munmum Ahmed, ist in ihrem Land ein Star und hat eine eigene Tanzschule. Sie unterrichtet auch die Tochter eines Fabrikbesitzer der Textilindustrie. Und der war bereit, sich mit Waldmann und ihren Tänzern zu treffen, ihnen Interviews zu geben und sie in die Produktionsräume zu lassen.
„Aber wir kamen nur in der Mittagspause in die Fabrik“, erzählt Waldmann, „denn, so sagte der Fabrikbesitzer, in der Arbeitszeit würde unsere Anwesenheit den Output schmälern. Als wir in der Pause zwischen den Maschinen einige Bewegungen des Kathak ausprobiert haben, kamen Arbeiterinnen dazu und haben die Tänzerinnen nachgemacht. Dann haben wir gesagt, zeigt uns mal die Bewegungen, die ihr tausendmal am Tag macht.“ Auf diesem Besuch in der Fabrik beruht ein kurzer Trailer zu „Made in Bangladesh“.
Weiteren Kontakt zu einzelnen Näherinnen stellte Nasma Akter her, eine bekannte Aktivistin für die Rechte der Arbeiter. „Sie vermittelte uns zwölf Näher, die Paten für meine Tänzer wurden, sich mit uns trafen und von ihrem Leben erzählten.“ Wie hält der Körper das aus, wenn er sich acht, zehn und mehr Stunden lang immer denselben reduzierten Abläufen unterwerfen muss, das vor allem beschäftigte die Tänzer.
„In den Fabriken steht jede Bewegung unter den Prämissen von Output, die Effektivität steigern, das Tagesziel erreichen“, sagt Waldmann. „Wir waren mal in einer Fabrik, da hat einer von unten im 7. Stock angerufen: ’Alert, alert, buyers are coming‘, und dann saßen da alle lächelnd an ihren geputzten Maschinen.“
Man spürt den Druck von Anfang an: Output, Effektivität, Konkurrenz
Für das Stück „Made in Bangladesch“ werden die Tänzer und Tänzerinnen im ersten Bild selbst zu Teilen einer Maschine, die exakte, reduzierte Bewegungen wiederholen und wiederholen, in einem kaum aushaltbaren Tempo. Sie drehen sich wie die Spindeln der Garne auf den Nähmaschinen und ordnen sich zu Reihen. Im Hintergrund sieht man eine schachbrettähnliche Anzeigentafel, die für jeden Arbeitsplatz in jeder Stunde die Stückzahlen angibt.
Jeder ist so dem ständigen Wettbewerb ausgesetzt, mehr zu schaffen als sein Nachbar. Output, Effektivität, Konkurrenz. Ein „Line-Manager“ gibt Anweisungen, der Ko-Choreograf übernimmt die Rolle. Man spürt den Druck, der von Anfang an da ist, und seine stetige Steigerung.
Bevor der Durchlauf geprobt wird, gibt es Tee, Rosinen, Zimtsterne. Kostüme werden gebracht und zusammen beurteilt, farblich wunderbar abgestimmt, aber spannt es nicht in der Bewegung? Mehrfach suchen die Tänzerinnen nach der Schmerzsalbe, drei große Tuben hat die Assistentin gekauft. Einige machen Yoga, fast alle schauen auf ihre Smartphones nach den Nachrichten von zu Hause.
Zu den Tänzerinnen gehört auch Tumtumi Nuzaba, die in ihrer Stadt an einem College Tanz unterrichtet. Nebenher entwirft sie Mode aus traditionellen Materialien aus Bangladesch. Die Vorstellung aber, zu versuchen, mit den Mitteln des Tanzes über die Textilindustrie erzählen, war für sie neu.
Für Tänzerin Shareen Ferdous ist das Thema im Alltag immer gegenwärtig: „Wir bekommen den Protest der Textilarbeiter gegen ihre Arbeitsbedingungen mit, die Streiks, den Kampf um höhere Löhne“, erzählt sie. „Es gibt auch viele Songs über den Protest, Musiker schreiben Lieder für die Näher, Maler greifen das Thema auf. Aber dass sich eine Theaterproduktion damit beschäftigt, das ist neu.“ Wenn alles gut geht, wird ihre Produktion, die am 26. November in Ludwigshafen Premiere haben wird, auch in Bangladesch und anderen asiatischen Ländern laufen.
Auch in der Kunst geht es immer nur um Output
Helena Waldmann, die in Berlin lebt, wenn sie nicht auf Reisen ist, ist international gut vernetzt und arbeitet oft mit Unterstützung des Goethe-Instituts, das auch hier als einer von neun Koproduzenten mitmacht. Bekannt wurde sie vor neun Jahren mit dem Stück „Letters form Tentland“, das sie mit Darstellerinnen aus dem Iran entwickelt hatte. Mit einem sehr bildhaften Ansatz erkundeten sie den Bewegungsraum der Frauen in der Öffentlichkeit im Iran.
Sie lernt jedes Mal viel von ihren Darstellerinnen, von deren Alltag, von ihren ästhetischen Sprachen, eine sehr wörtlich zunehmende Horizonterweiterung. Dennoch bleiben ihre Stücke nicht beim Blick auf die Erfahrungswelt ihrer Performerinnen stehen. So nutzt sie auch in „Made in Bangladesch“ das Thema der Textilindustrie, um einen Bogen zu uns zurück zu schlagen.
„Es ist einfach zu sagen, die Ausbeutung findet in Bangladesch statt, das ist schön weit weg. Aber im zweiten Teil des Stücks befinde ich mich in Europa“, sagt Waldmann, während eines letzten Warm-ups der Tänzer vor dem Durchlauf. „Die Tänzer machen fast dasselbe, aber die Kontexte sind verschoben. Wieder geht es um totale Optimierung, besser werden, schneller. Das gilt auch im Kontext von Kunstproduktionen, es geht immer um Output.“
Die Regisseurin redet sich in Rage. „Es fehlt an Wertschätzung gegenüber der geleisteten Arbeit.“
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