Ebola-Tagebuch - Folge 48: 91,44 Zentimeter Abstand
Liberia wählt die Hälfte seiner 30 Senatoren neu – unter Seuchenbedingungen. Die Vorschriften der Wahlkommission sind drakonisch.
BERLIN taz | Eigentlich waren die Wahlen zum Oberhaus des liberianischen Parlaments, dem Senat, dieses Jahr von historischer Bedeutung. Mehrere Größen aus den Zeiten des Bürgerkrieges erreichten das Ende ihrer ersten neunjährigen Amtszeit als Senatoren: Jewel Howard-Taylor, die geschiedene Gattin des inhaftierten Expräsidenten und Warlords Charles Taylor; Prince Yormie Johnson, der im Jahr 1990 dem damaligen Diktator Samuel Doe vor laufender Kamera die Ohren abschneiden ließ.
Beide kandidierten erneut – eine Politikergeneration, die Liberia Ende des 20. Jahrhunderts grenzenloses Leid gebracht hatte, schickte sich an, noch ein letztes Mal das Mandat des Volkes zu suchen. Aber dann wurde 2014 das Jahr von Ebola, und obwohl das Virus im Vergleich zum Bürgerkrieg der 1990er Jahre geradezu lächerlich wenige Tote gefordert hat – 3.346 nach der letzten Zählung, verglichen mit 200.000 Bürgerkriegsopfern – versetzt er Liberia in einen beispiellosen Ausnahmezustand.
Den offiziellen Ausnahmezustand hatte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf aber aufgehoben, rechtzeitig zum Senatswahlkampf, und trotz mehrfacher Verschiebung wurde der ursprünglich im Oktober fällige Urnengang schließlich für den 20. Dezember festgelegt. Ganz gemäß der von der Präsidentin ausgegebenen Richtung: Bis Weihnachten ist Ebola besiegt, bis Jahresende gibt es bei uns keine neuen Ebola-Fälle mehr.
So wurde am Samstag gewählt, unter Ebola-Bedingungen. Die Vorschriften der Wahlkommission waren drakonisch. Alle Wählerinnen und Wähler mussten sich die Hände mit Desinfektionslösung waschen, ihre eigenen Stifte mitbringen, diese auch nicht ausleihen, und in den Warteschlangen vor den 4.701 Wahllokalen mindestens drei Fuß (91,44 Zentimeter) Abstand voneinander halten. Die Wahlhelfer konnten auf Verdacht Fieber messen. 10.000 Flaschen mit Desinfektionsmitteln und 4.700 Fieberthermometer waren im Einsatz.
Individuelle Wattebäusche
Als Nachweis der Stimmabgabe presste man nicht wie sonst seinen Finger auf ein Stempelkissen mit nichtabwaschbarer Tinte, sondern es gab für jeden besondere individuelle Wattebäusche. Es wurde auch empfohlen, von der üblichen Praxis abzusehen, große Wählergruppen in Lastwagen zum nächsten Wahllokal zu fahren.
Aus wahltechnischer und medizinischer Sicht mag damit allen Anforderungen Genüge getan worden sein – aus politischer Sicht weniger, jedenfalls nach Meinung so mancher Kandidaten. Denn ein normaler Wahlkampf war in Zeiten von Ebola, in denen Menschenansammlungen und Händeschütteln tabu sind, überhaupt nicht möglich.
Fußballstar gegen Präsidentensohn
Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Fußballstar George Weah, der sich schon 2005 und 2011 um den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen gegen Johnson-Sirleaf betrogen sah, fürchtet nun auch um seinen Einzug in den Senat. Er kandidiert für den Sitz des Distrikts Montserrado, in dem Liberias Hauptstadt Monrovia liegt.
Sein wichtigster Konkurrent ist Robert Sirleaf, Sohn der Präsidentin. Der ist allerdings genauso unglücklich: Statt seiner Klage auf Wahlverschiebung wegen Fehlen des Wahlkampfs stattzugeben, ordnete die Wahlkommission eine Prüfung an, ob er überhaupt antreten durfte. Zuvor war berichtet worden, er habe bei den Kongresswahlen in den USA im November seine Stimme abgegeben, was ihn als Senatskandidat in Liberia disqualifizieren würde.
Wahlergebnisse lagen am Montag vormittag noch nicht vor. Liberias Senat funktioniert in etwa nach dem Muster seines US-Vorbilds: seine 30 Mitglieder, zwei pro Distrikt, haben Neunjahresmandate, von denen die Hälfte 2005 begann und jetzt endet, die andere Hälfte begann 2011 begann und währt noch sechs Jahre.
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