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Kommentar Nato-Abzug aus AfghanistanMüdigkeit auf allen Seiten

Kommentar von Thomas Ruttig

Der Westen hat das Problem nicht verstanden: Nicht Militäreinsätze, sondern Wirtschaftshilfe und zivilgesellschaftliche Stützen sind nötig.

Auch ein lautes Tröten kann die Dissonanz des Misserfolgs nicht übertönen. Bild: ap

M it dem Jahr 2014 endet auch das Mandat der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, besser bekannt unter dem englischen Kürzel Isaf. Da Isaf oft mit dem Engagement am Hindukusch überhaupt gleichgesetzt wird, entsteht der Eindruck eines generellen Abzugs.

Das ist ein Trugschluss: Mit Isaf geht weder die militärische Präsenz der Nato, inklusive der Bundeswehr, noch der internationale Afghanistan-Einsatz überhaupt zu Ende.

Der Rückzug ist eher ein abgestuftes Disengagement, generiert von einer von Politikern und Medien oft zitierten „Afghanistan-Müdigkeit“. Dieser Ausdruck impliziert aber eben gerade nicht den Erfolg, der im regierungsoffiziellen Diskurs den Übergang zu einer kleineren Nato-Mission – genannt Resolute Support Mission (RSM) – begründet, sondern erklärt Afghanistan im Grunde zum hoffnungslosen Fall.

Dahinter steckt, dass wir im Westen eines Problems müde geworden sind, dessen Komplexität wir von Anfang an nicht verstanden und das wir aus diesem Grund auch nicht lösen konnten.

Krieg frisst Entwicklung

Das Ende des Isaf-Einsatzes, so erwünscht er unter den meisten Afghanen anfangs auch war, hinterlässt ihnen eine ganze Liste existenzieller Probleme, einige davon neu, andere die Fortsetzung alter Missstände. Ihr Land ist in welthöchstem Maße von ausländischer Finanzhilfe abhängig. Die Wirtschaft, deren Wachstum vor allem auf Dienstleistungen für die Isaf-Truppen beruhte, bricht ein. Die Kosten für den anhaltenden Krieg fressen die schon erreichte Entwicklungsfortschritte wieder auf.

Konzepte, das Land unabhängiger von externen Ressourcen zu machen, durch regionale Einbindung und die Erschließung von Bodenschätzen, sind entweder auf Illusionen gebaut oder werden bestenfalls Jahrzehnte zur Verwirklichung brauchen. Niemand in der Region – weder China noch Indien, Russland oder Iran – braucht Afghanistan wirklich für seine eigenen Entwicklungsvorhaben.

Makroökonomische Erfolge wie die Verfünffachung des Bruttosozialprodukts seit 2001 haben sich nicht in der Lebenswirklichkeit der meisten Afghanen niedergeschlagen. Die vielbesungenen Wachstumsraten bemänteln vielmehr eine vertiefte soziale Kluft. Während ein Drittel der Afghanen immer noch in Armut lebt, haben die oberen Zehntausend allein 2010 mindestens 4 Milliarden Dollar legal ins Ausland transferiert.

Der Isaf-Einsatz in Afghanistan verkörpert zudem ein grundsätzliches Problem: die Rückkehr zu primär militärischen Ansätzen zur Konfliktlösung in der Nato. Das ist Ausdruck ihres Post-1989er Triumphalismus, der auch den Russland-Ukraine-Konflikt anheizt.

Die Korruption frisst Milliarden

Mit der Ernennung eines zivilen Nato-Beauftragten nahmen Washington, London, Berlin und Brüssel der UNO die politische Federführung aus der Hand, reduzierten deren Einfluss und okkupierten das meiste an Mitteln und Personal, mit denen nach dem Sturz des Taliban-Regimes der institutionelle und wirtschaftliche Wiederaufbau bewerkstelligt werden sollte. Entwicklungsziele wie die Armutsbekämpfung wurden dem Antiterrorkampf untergeordnet.

Bei den USA, mit 700 Milliarden Gesamtausgaben größter Geber, betrug das Verhältnis der zivilen zu den militärischen Ausgaben 1 zu 16, bei der Bundesrepublik offiziell 1 zu 2,5. Da laut Weltbank nur 15 bis 25 Prozent der Entwicklungsgelder die afghanische Wirtschaft erreichten, wo zudem Milliarden durch Korruption verloren gingen, blieb am Ende tatsächlich nicht viel für die einfachen Afghanen.

Dorfbewohner schaufelten in sogenannten Food-for-Work-Programmen Sand auf nicht asphaltierte Straßen, wohlwissend, dass der nächste Regen ihn wieder fortspülen würde. Beschwerten sie sich bei besuchenden Politikern (die selbst die Milliardenziffern im Kopf hatten), wurde das als übertrieben oder sogar undankbar abgetan. In den Köpfen der Afghanen entstand Zweifel über die Ernsthaftigkeit des Westens, eine Art eigener Ausländer-Müdigkeit.

Diese konzeptionellen Probleme werden mit einer militärisch-technokratisch RSM-Mission nicht verschwinden. Sie verkörpert eher ein Weiter-so auf niedrigerem Level. Um die militärische Okkupation unseres Denkens rückgängig zu machen, müssen wir zunächst unsere Afghanistan-Müdigkeit überwinden.

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6 Kommentare

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  • 3500 Soldaten starben seit 2001, 55 deutsche Soldaten, 3188 ( gezählte) Zivilisten starben 2014, keine Zahlen über Verletzte, zerstörte Familien, über Kriegsverletzte Soldaten, traumatisiert, in der Heimat allein gelassen, keine Berichte wie es den Hinterbliebenen mit ihren Sorgen geht ! uswusw

  • selbst der begeisterste Anhänger der These: Deutschland Freiheit wird am Hindukusch verteidigt, dürfte einsehen, dass das, grob gesprochen ein Schuss in den Ofen war und ist, das einzig "Positive" ist wohl die Steigerung der Mohnernet um c 500%, eigenlcih müssten dei ganzen VIPs, obs nun Obama oder Merkel und ihre Minister sind, erst mal bei einem Teppichhändler in Kabul in dei Lehre gehen, um nur anstzweise das Denken der dortigen Memschen zu verstehen, wies weiter geht ? ganz einfach, es werden weiterhin Milliarden in das Land gepumpt, einfach um das Gewissen einiger Leute zu beruhigen und die Bankkonten einiger anderer Leut zu füllen, immer nach dem Motto: man nehme das Geld der armen Leute aus den reichen Ländern und gebe es den Reichen in den armen Ländern!

  • Wohl eher ist der Autor dieses Artikels ein "hoffnungsloser Fall", übersieht er doch, dass vorgeschobene Gründe nicht unbedingt die wahren Gründe für irgendwas sein müssen.

  • Zur objektiven Quintessenz des deutschen und internationalen militärischen Einsatzes:

     

    Als Ergebnis bleibt der bedeutendste Wirtschaftszweig Afghanistans -- für die Versorgung des internationalen Weltmarktes. Der Mohnanbau und die (industrielle) Produktion von Drogen.

     

    Die Rauschgift bzw. Drogenproduktion, unter Kontrolle der afghanischen Drogenbarone und deren Provinzregierungen, vor allem für den internationalen Rauschgift- und Wirtschaftshandel, der amerikanischen Cosa Nostra, der europäischen Mafia und der asiatischen Triaden und/bzw. Yakuza.

     

    Noch eine Analogie:

     

    Die vorgebliche (pseudo-)soziale Tätigkeit der Militärallianz in (bzw. gegen) Afghanistan, einschließlich deren "Bundeswehr", erinnert an die bundesdeutschen Beschäftigungsprogramme -- auch hier ohne Nachhaltigkeit -- für Arbeitslose im staatlichen Hartz-IV-Strafvollzug.

     

    Bei offiziell mehr als 10 Milliarden Euro (?), da lacht das Herz der Rüstungsindustrien und deren Dividenden-Vorstände und Aktionär/innen.

  • Das Beste und Intelligenteste was ich seit langem das zu gelesen habe.

    Vielen Dank !

  • Der kraftvollste Wirtschaftszweig in den Vereinigten Staaten ist wohl immer noch die Rüstungsindustrie (p. a. 650 Mrd. für unmittelbare Militärausgaben und rund 450 Mrd. für den 'Heimatschutz' etc. [z. Z. mehr als 750 Milliarden Euro pro Jahr.).

     

    Führende Positionen sind von den Banken- Finanz-Konzernen und von vormaligen hohen Militärs -- auf allen Ebenen der (privaten) Rüstungsindustrie und deren Wirtschaftsverbänden -- besetzt. Damit kontrollieren sie durchaus auch die staatlichen Steuereinnahmen und Steuerausgaben: ob nun für Sozialausgaben, Bildungs- und Gesundheitswesen oder für Militärausgaben und den internationalen geo-politischen und geo-militärischen Einsatz bzw. deren Verwendung etc.