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Kommentar neue Hartz-IV-RegelsätzeKlassengesellschaft ganz unten

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Der Regelsatz wird auf 399 Euro erhöht und ist dennoch zu niedrig. Wer dazuverdienen kann, kommt durch, anderen bleiben nur 170 Euro zum Leben.

Hartz IV-Empfänger mit 1-Euro-Job, der manchmal auch 2,50 bringt. Bild: dpa

D er Hartz-IV-Regelsatz wird ab Januar auf 399 Euro im Monat erhöht, das ist die Fortschreibung entsprechend den Entwicklungen der Preise und Löhne. Das sei zu wenig, sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband und fordert einen höheren Regelsatz und die Wiedereinführung der einmaligen Leistungen für Anschaffungen und Reparaturen.

Von 399 Euro im Monat kann man in der Tat kaum leben. Von diesem Regelsatz müssen nicht nur die Ausgaben für Lebensmittel und Kleidung bestritten werden, sondern auch für Haushaltsenergie, die Monatsfahrkarte, Telefon, Internet, rezeptfreie Arzneimittel, vielleicht kommt noch Katzenfutter dazu.

Es gibt Hartz-IV-Empfänger, die nach Abzug dieser Kosten nur noch 170 Euro im Monat zum Leben zur Verfügung haben und davon noch einen Kredit beim Jobcenter abstottern, weil sie ein Darlehen aufnehmen mussten für einen neuen Kühlschrank. Unter den Hartz-IV-Empfängern ist dabei eine Art heimliche Klassengesellschaft entstanden. Wer ein Nebeneinkommen hat durch Schwarzarbeit oder die Hilfen von Verwandten oder Partnern, lebt um einiges besser. 150 Euro mehr im Monat können eine andere Kategorie an Lebensqualität bedeuten.

Doch von den Zusatzeinkünften darf die Politik nicht ausgehen, schließlich handelt es sich um eine Grundsicherung auch für Alleinstehende und chronisch Kranke ohne weiteres soziales Netz. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat daher recht, dass es sinnvoll wäre, wenn Jobcenter die Haushaltsenergiekosten voll übernähmen und die sogenannten einmaligen Leistungen für Reparaturen und Anschaffungen wieder einführten.

Ab 1. Januar kommt der Mindestlohn und damit wäre das Lohnabstandsgebot auch bei Verbesserungen für Hartz-IV-Empfänger gewahrt. Doch an eine Debatte über den Regelsatz in der Grundsicherung traut sich derzeit leider niemand in der Großen Koalition heran.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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15 Kommentare

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  • Ich kenne einen psychisch erkrankten Menschen, der musste mal beim Amt zum Urintest und hat sich hinterher geärgert , dass er das klaglos mitgemacht hat. Beim nächstenmal hat er an der Pforte für seinen Sacharbeiter einen Umschlag mit einem Röhrchen Kacke abgegeben. Diese Person wurde angezeigt und musste 300 Euro Strafe zahlen, vom Hartz 4 Regelsatz-sie solle sich doch irgendwo was borgen. Ständig beim Artzt , ständig in Behandlung , offensichtlich krank und trotzdem immer wieder getriezt, zu Lehrgängen geschickt und schickaniert.

  • Es ist und bleibt, wie schon zu Sozies Zeiten. Wer ein Netzwerk hat, kommt irgendwie über die Runden. Wer allein auf sich gestellt ist, kackt ab. Schwarzarbeit ist selbstverständlich und notwendig, alles andere ist wirklichkeitsfemdes, blödes Gelaber.

  • "Es gibt Hartz-IV-Empfänger, die nach Abzug dieser Kosten nur noch 170 Euro im Monat zum Leben zur Verfügung haben..."

     

    Es gibt zudem bestimmt viele Menschen, denen durch Sanktionen (obwohl verfassungswidrig lt. BVG) das Existenzminimum gekürzt wurde.

     

    Was aber dabei noch unwürdig des Sozialstaates ist, wäre für solche Menschen das Flaschensammeln auf der Strasse (zwar nur zum Überleben) jedoch illegal.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Ein höherer Satz (500-600€) hätte in 20-30 Jahren zur Folge, dass jährlich dann über 10 Mrd (in heutigem Realgeldwert) für die Aufstockung der Reicht-kaum-zum-Leben-Renten benötigt würden. Es wäre natürlich kontraproduktiv zur angepeiltem Rentenniveau von ca 40%.

     

    Arbeitslosenarmut, Altersarmut und auch teilweise Erwerbsarmut wurden bisher ganz gut und fast reibungslos in das System integriert. Wenn heute 20 000 Leute auf die Straße gehen, dann gegen Islamisten.

  • Man muß sich nicht wundern, daß es immer wieder zu Übergriffen kommt im Job-Center. Man sollte die Ängste und Sorgen dieser Menschen ernst nehmen.

    • @Dudel Karl:

      Diese Sorgen und Ängste dieser Menschen werden aber nicht erst genommen - im vollen Gegensatz zu den Sorgen und Ängsten von lediglich 18.000 marschierenden, rassistisch und fremdenfeindlich und europafeindlich aufgewiegelten Dresdnern. Aus 18.000 werden wundersamerweise "ein ganzes Volk"! Dem doch unbedingt zugehört werden muß.

       

      Diese Millionen Menschen, zu denen sehr wohl auch viele Menschen mit "fremdländischen", türkischen und arabischen Wurzeln gehören, sind eben nicht der umsorgte Mittelstand, die "Mitte" Deutschlands. Sondern die äußerst lästige, kostenlästige, selbst schuldige Unterschicht! Die wird immer breiter! Aber das merkt doch keiner, bzw. will keiner merken und wahrnehmen.

  • "Doch an eine Debatte über den Regelsatz in der Grundsicherung traut sich derzeit leider niemand in der Großen Koalition heran."

     

    Das ist nicht ganz richtig formuliert. Es geht nicht darum, sich daran zu "trauen", sondern zu wollen.

     

    Über die unsoziale Politik von CDU/CSU brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber auch die SPD und Grünen haben keinerlei ernstes Interesse an sozialer Gerechtigkeit. Das ist gerade bei der SPD, die mit regiert, bitter. Gabriel & Co. ruhen sich auf einem Mindestlohn aus, der einem Leiharbeiter ein Netto von ca 950 Euro "garantiert", also noch rund 100 Euro unterhalb der Pfändungsgrenze, die ein "bescheidenes Leben" ermöglicht.

     

    Es ist leider kaum bekannt, das die Kommission um Peter Hartz, nachdem das ALG2 (Hartz4) benannt wurde, einen Regelsatz von 511 Euro gefordert hatte. Das war vor über zehn Jahren! Mit einem ehrlichen Inflationsausgleich wären das heute rund 600 Euro.

  • Wir Bürger sollen auch in Angst und Schrecken versetzt werden, damit wir auf jeden Fall jede Mist-Arbeit zu Hungerlöhnen annehmen. "Blos nicht Ha®tzen".

    So will es die "Wirtschaft"; also macht es die politik.

    • @Oliver-Michael Schilcher:

      Im Alter von 63., als zweifacher Facharbeiter und Meister, wurde ich von der Agentur aufgefordert: ''Jede 'zumutbare' Arbeit anzunehmen, sonst drohen Sanktionen (Strafmaßnahmen)". (Sinngemäß!)

       

      Dabei hatte der Staats-Beamte weniger an Lebensjahren, als meine mehrere Jahrzehnte an Erwerbslebenszeit und realer Wertschöpfung.

      • @Reinhold Schramm:

        Im Laufe seines Lebens kann man hierzulande, nicht wie in Indien, mal schnell die "Kaste" wechseln; Natürlich bleibt man hinsichtlich der Sanktionen berührbar.

  • Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert das Falsche: Das ganze System ist eine Fehlsteuerung und drastisch teurer als das Vorgängersystem. Wenn die Regierung Armut will, ist es schwer mit ihr darüber zu reden, dieses wieder aufzuheben. Das ist doch aber der Punkt: SPD, Union, FDP und Teile der Grünen sind für diese Armut und Ausgrenzung. Die empfinden das Alles gar nicht als Problem, sondern sehen darin eine Lösung für die Frage der Arbeitslosigkeit. Wer 'faul' ist, der steigt ab, wer fleißig ist, der darf konsumieren und teilhaben am Spaß. Eine Lösung ist nur das: Einfach abschaffen. Alleine die Jobcenter mit ihren Nebenkosten, den Mitarbeitern, die Arbeitslose ausforschen oder unter Druck setzen, sind so widersinnig, in Anbetracht von einer Lücke von 3 Mio. fehlenden Arbeitsplätzen in Deutschland. Das ist nur Kosmetik, um eine gesellschaftliche Stimmung zu erezugen.

    • @Andreas_2020:

      Merke:

       

      Sozialpolitische Lösungsvorschläge der vereinten "Sozialpartner/innen" ans Kapital und deren GroKo-Parlamentslobbyist/innen, sie dienen nur den Wirtschafts-, Banken- und Monopolverbänden -- und deren Quandtschen Profit- bzw. Dividendenmaximierung!

  • Hartz IV, bleibt ein soziales und staatliches Verbrechen an der lohnabhängigen Erwerbsbevölkerung in der BRD!

     

    Ebenso, nach 45 Vollzeit-Arbeitsjahren, auf der Grundlage des Mini-Mindestlohns von "8,50 Euro-Std." brutto, ab 1. Januar 2015, liegt auch die künftige Armutsrente unterhalb der gesetzlichen Grundsicherung bzw. Sozialhilfe (unterhalb der Hartz-IV-Regelleistung). Auch werden aus dem Mini-"Mindestlohn" Sozial-RV-Beiträge gezahlt. / Zukünftig dürfte der staatliche Mini-Mindestlohn vielen Unternehmen auch noch als Zielmarke für die weitere Absenkung der Arbeitslöhne dienen. / Hieraus erklärt sich auch das Interesse der Wirtschafts- und Unternehmerverbände an hochqualifizierten internationalen Billigarbeitskräften, -- und nicht (wie vorgeblich) aus humanistischer Nächstenliebe bzw. Menschenliebe.

     

    Die weitere reale Absenkung der Hartz-IV-Leistungen, mit Unterstützung aller "Sozialpartner/innen", dient der weiteren Real-Lohnabsenkung und Umverteilung der Wertschöpfung, -- von unten nach oben. / Bereits schon heute hat die BRD die Vermögensungleichheit der Vereinigten Staaten (erfolgreich) erreicht. Diese Tatsachen werden auch weiterhin von der Wirtschaft, Groko und Lobby-Parlamentsmehrheit erfolgreich geleugnet.

    • @Reinhold Schramm:

      Viel zu wenig ins öffentliche Bewusstsein gelangt, dass von diesem niedrigen Regelsatz auch die Grundsicherungsrentner leben müssen. Für die alte Oma, die gesundheitlich angeschlagen keinen Minijob mehr annehmen kann und die auch keine Verwandten mehr hat, die sie unterstützen können, gibt es bis zum Lebensende kein Entkommen aus der extremen Armut.

      Auch manche Hartz4-Empfänger sind wegen einer Krebserkrankung oder anderer chronischer gesundheitlicher Probleme oft über Jahre hinweg nicht in der Lage mit einem 1-Euro-Job oder einem Minijob ihr Einkommen zu verbessern. Das ist übrigens keine Schwarzarbeit, wenn mit einem Minijob das Einkommen verbessert wird, solange das Einkommen dem Jobcenter angegeben wird. Auch wenn nach Verrechnung von 400 € Einkommen nur 160 € beim Grundsicherungsbezieher verbleiben.

      Diese 160 € mehr bessern jedoch die Situation entscheidend. Wer dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, der ist jedoch wirklich ganz arm dran.

      • @vulkansturm:

        Meine Zustimmung.

         

        Eine Mutter von drei Kindern, sie hatte 33 Vollzeitarbeitsjahre: u. a. als Hausangestellte, 6-Tage-Wo., mehr als 50-Std.-Woche. Sie bekam im Alter nur eine (eigenständige) Rente auf dem geringen Niveau der Sozialhilfe. Von ihrem geringen Arbeitslohn musste sie auch noch die Sozial- und RV-Beiträge zahlen. Ihre Lebensarbeitsleistung war deutlich höher als bei der Mehrzahl der Parlamentarier!

         

        Für die 12 Millionen Geringverdiener und 4 Millionen Armutsrenter in Deutschland gibt es keine (ernsthafte) Interessenvertretung! / Das Parlament ist nur an seinen eigenen Pensionen und künftigen Posten interessiert!