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Karikaturisten in ÄgyptenWenn Bärtige zeichnen schwierig ist

Islamisten, Muslimbrüder, Generalsanhänger – sie alle bedrohen die Karikaturisten Anwar und Makhlouf in Kairo. Über das Zeichnen zwischen Tabus.

Die Gesellschaft abholen, wo sie steht: Straßenkarikatur in Kairo (nicht von Anwar und Makhlouf). Bild: dpa

KAIRO taz | In dem Büro im Zentrum Kairo sieht es nach echter Arbeit aus. Stapel von Zeitungen und Papieren haben sich auf den Schreibtischen fast bis zum bevorstehenden Kollaps aufgetürmt. Irgendwo dahinter sind zwei der prominentesten Karikaturisten Ägyptens kaum mehr auszumachen. Ahmad Makhlouf und Muhammad Anwar sind gerade dabei, sich neue Entwürfe rund um die Anschläge auf Charlie Hebdo auszudenken. Ein paar haben sie schon veröffentlicht.

Unter dem Schild Charlie Hebdo hat Anwar einen Karikaturisten gezeichnet, der einem militanten Islamisten, der mit einer Waffe auf ihn zielt ein Lächeln auf die Maske malt. Überschrieben ist das Ganze mit dem Titel: für eine freie und unabhängige Satire. In Makhloufs Karikatur hält ein Zeichner einen Stift einem Terroristen entgegen, dessen Gewehr daraufhin eine Ladehemmung hat.

Für die beiden Karikaturisten war der Mord an ihren französischen Kollegen in Paris ein Schock. Aber sie wollen sich nicht abschrecken lassen, weder von militant extremistischen Gruppen noch von repressiven arabischen Regimen, sagen sie. Auf einem ihrer Bildschirme im Büro haben sie die Fotos ihrer vier ermordeten Zeichnerkollegen als Bildschirmschoner eingerichtet.

„Die waren für mich immer ein großes Vorbild. Jede Woche habe ich im Internet nachgesehen, was sie Neues gezeichnet haben“, erzählt Anwar. „Sie haben sich einfach nicht um die Konsequenzen ihrer Zeichnungen geschert“, fügt er hinzu. Er konnte es nicht fassen, als er von den Nachrichten aus Paris hörte. Sein zweiter Gedanke war: Das könnte auch ihnen hier in Kairo passieren. „Wir sind auch oft beschimpft und bedroht worden, wenngleich bisher nicht mit dem Tod“, erzählt Anwar. Je nach politischer Couleur – ob sich nun Islamisten oder Nationalisten und Anhänger der Militärregierung über ihre Arbeit beschweren – werden die Karikaturisten zu Ungläubigen oder Vaterlandsverrätern abgestempelt.

„Die Decke langsam höher ziehen“

Beide legen Wert darauf, dass ihnen auch so manche der Charlie-Hebdo-Karikaturen, die den Islam als Religion verunglimpft haben, nicht gefallen haben. Aber das sei eben die Freiheit des Ausdrucks, sagen sie. Sie unterscheiden in ihrer Arbeit zwischen der Religion, die als Angriffsfläche tabu ist, und den Islamisten. „Ich bin Zeichner, Ägypter und Muslim. Ich zeichne gegen den Extremismus und gegen Terror. Aber ich greife nicht die Religion als solches ohne Grund an, sondern nur extremistische Gruppen, die unsere Religion in gefährlicher Weise interpretieren und die unsere Gesellschaft in eine gefährliche Ecke drängen wollen“, meint Makhlouf dazu.

Die Zeichner argumentieren beide, dass sie die Gesellschaft dort abholen müssen, wo sie steht. Ein Karikaturist arbeite nicht in einem Vakuum. „Unsere Kunst hängt nicht in elitären Galerien, sondern wird in einer Millionenauflage gedruckt. Sie ist eng mit der Straße verbunden“, beschreibt Anwar. „Ein guter Karikaturist muss der Straße aber auch immer einen kleinen Schritt voraus sein“, fasst er sein Konzept zusammen. „Was nützt es, eine Karikatur zu zeichnen, die ich toll finde und die provoziert, wenn sie nicht akzeptiert wird. Ich muss die Decke langsam höher ziehen und die Menschen an Satire gewöhnen“, erklärt Makhlouf seinen Ansatz.

Die roten Linien hätten sich über die Jahre verschoben, aber drehen sich immer um Politik, Religion und Sex, wie Anwar schildert. Früher sei es unmöglich gewesen, Mubarak und seine Söhne zu zeichnen. Aber auch das sei am Ende der Amtszeit Mubaraks aufgeweicht worden. Mit der Revolution gab es kurze Zeit völlige Freiheit. Dann, mit der Amtszeit des Muslimbruders Mursi, war es schwierig, Bärtige zu zeichnen. Heute werden sie angegriffen, wenn sie sich kritisch über den ehemaligen Militärchef und heutigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi äußern. Dann hagele es Protest von dessen Anhängern, die den beiden sogar vorwerfen, Anhänger der Muslimbruderschaft zu sein. Ein übliches Mittel in Ägypten, den politischen Gegner einzuschüchtern.

Stift statt Gewehr

Direkte politische Zensur gebe es dagegen kaum. „Jeder Chefredakteur weiß: Wenn die Karikatur nicht in der Zeitung erscheint, dann taucht sie irgendwo im Internet auf“, grinst Anwar. Es sei also vor allem der gesellschaftliche Druck, der sie einschränkt. „Wenn du in deiner Gesellschaft akzeptiert bist, dann kann dich keine Regierung und kein Terrorist als Zeichner aufhalten“, fasst Makhlouf zusammen.

Anders als ihre Kollegen in Europa müssen arabische Karikaturisten eingezwängt zwischen einer konservativen religiösen Gesellschaft und einem meist autokratischen Regime ihren Raum zum Arbeiten finden. „Wir müssen stets zwischen den gesellschaftlichen und politischen Fesseln in der arabischen Welt lavieren, aber genau das macht uns kreativer“, ist Makhlouf überzeugt und beschreibt das mit einer Metapher. „Das ist, als wenn ein Soldat nicht in einer Kaserne, sondern gleich in einem Krieg sein Handwerk lernt. Da wird er schneller zu einem guten Kämpfer.“

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Mahklouf sich in einer seiner letzten Karikaturen im Zusammenhang mit den Mord an seinen Kollegen in Paris selbst gezeichnet hat. Statt einem Gewehr hat er einen Stift geschultert.

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1 Kommentar

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  • "Die Straße" hat meistens ein ganz gutes Gespür dafür, ob es jemand gut meint mit ihr. Zumindest mehrheitlich. Ob sie eine Karikatur, die Ahmad Makhlouf toll findet, akzeptiert, ob also die "Desensibilisierung", die er damit erreichen will, tatsächlich funktioniert, hängt davon ab, ob "die Straße" erkennt, dass hinter der Provokation des Karikaturisten eine Sympathie für sie steckt. Nur dann wird sie ihm folgen und nicht protestieren, wenn er "die Decke langsam höher zieh[t]". Es ist wie mit Saint-Exupérys Kleinem Prinzen und seinem Fuchs. Der sieht auch nicht mit dem Hirn sondern mit dem Herzen. Und er folgt nur dem, der sich mit ihm vertraut macht. Eine Karikatur, die das nicht schafft, ist keine große Kunst. Zumindest keine, die was nützt. Sie ist wohl eher Selbstbefriedigung.