Kairos neue Museenlandschaft: Eine neue Heimat für Tutanchamun
Das Ägyptische Museum am Tahrirplatz in Kairo bekommt Konkurrenz. Die wichtigsten Schätze der weltberühmten Sammlung muss es abgeben.
KAIRO taz | Wie ein Riegel schiebt sich das angekohlte Hochhaus zwischen das Ägyptische Museum und den Nil. Ehe das Gebäude während der Revolution am 28. Januar 2011 in Brand gesteckt wurde, diente es als Sitz der Regierungspartei NDP des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak. Für manche symbolisiert es den Zusammenbruch der alten Ordnung und sollte daher als Monument erhalten bleiben.
Das Hochaus wurde 1952 auf dem Gelände des Museums errichtet, schnitt seine Verbindung zu der Lebensader Ägyptens ab und blockiert heute den notwenigen Platz für seine Erweiterung. Daher gibt es schon seit Längerem Stimmen, die den Abriss fordern. Heute reichen sie bis in Regierungskreise hinein.
Das Ägyptische Museum mit dem Grabschatz Tutanchamuns, seiner weltberühmten Goldmaske und den Mumien ist neben den Pyramiden der wichtigste touristische Magnet in Kairo. Als es im Jahr 1902 seine Pforten öffnete, verfügte es über 35.000 Artefakte. Das war noch, ehe Howard Carter 1922 die letzte Ruhestätte des Kindkönigs mit ihren 5.398 Objekten entdeckte. Heute wird die Zahl der Kunstwerke auf über 160.000 geschätzt. Das im neoklassischen Stil errichtete Museum mit den alten Holzvitrinen ist heute selbst eine Antiquität. Doch jetzt bekommt es Konkurrenz.
Im Westen, auf dem Gizeh-Plateau bei den Pyramiden, entsteht gerade das Megaprojekt des Großen Ägyptischen Museums (Grand Egyptian Museum, GEM). In Fustat auf der anderen Nilseite nahe Alt-Kairo hat das Nationalmuseum für Ägyptische Zivilisationen (National Museum for Egyptian Civilizations) bereits eine Teileröffnung hinter sich, bestückt ist es noch nicht.
Ausstellung: Ab dem 3. April ist im Münchner Olympiapark die Replika-Ausstellung „Tutanchamun - sein Grab und die Schätze“ zu sehen, die von der Veranstaltungsagentur Semmel Concerts organisiert wird.
Literatur: Gerade erschienen ist das Buch „Auf den Spuren Tutanchamuns“ von Zahi Hawass, dem ehemaligen Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, Konrad Theiss Verlag, 264 Seiten, 29,95 Euro.
Das GEM wurde ursprünglich geplant, um das Problem der Überfüllung und des Platzmangels im Ägyptischen Museums zu beheben und die Artefakte besser zu präsentieren. Doch jetzt geht es an die Substanz: Der Grabschatz Tutanchamuns soll künftig im GEM vollständig und im Kontext seiner Entdeckungsgeschichte auf einer Ausstellungsfläche von 7.000 Quadratmetern gezeigt werden – bislang kann man etwa 4.500 Objekte bewundern. Und die Mumien sollen künftig im Zivilisationsmuseum präsentiert werden. Damit verliert das Ägyptische Museum seine wichtigsten Attraktionen.
Ein Museum für das dritte Jahrtausend
Der Direktor des GEM, Tarek Tawfik, spricht in seinem Büro im bereits fertiggestellten Konservatorium in Superlativen über das Megaprojekt, das auf seiner Website mit dem Spruch „Das Museum für das dritte Jahrtausend“ wirbt. „Im Augenblick bauen die Ägypter neben den drei Pyramiden in Gizeh die Pyramide der Moderne, ein Riesenprojekt, ein Riesenaufwand“, sagt Tawfik und referiert die Zahlen: eine Ausstellungsfläche von 93.000 Quadratmetern, die Hälfte davon in den Gärten im Freien, etwa 100.000 Objekte, von denen 50.000 Wissenschaftlern in den Magazinen zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden sollen.
Für die mehrfach verschobene Eröffnung des GEM wurde zuletzt August 2015 genannt, jetzt ist die Rede von einem „soft opening“ 2018. „Sollten wir weiterhin die Finanzierung, wenn auch in Etappen, sichern können, dann ist das durchaus machbar“, beteuert Tawfik. „Ein soft opening eines GEM ist dann aber auch grand, nicht nur etwas Kleines.“ Etwa zwei Drittel der Gesamtsumme von fast einer Milliarde Dollar fehlten noch.
Anziehungspunkt für Touristen
Aber Tawfik hat einen Trumpf im Ärmel: „Unser großer Magnet ist Tutanchamun“, betont er. Zahi Hawass, Generalsekretär der Altertümerverwaltung unter Mubarak, setzt ebenfalls auf „Tut“ als Zugkraft, wenn es um Geldakquise für das Museum und die Rückkehr von Touristen nach Ägypten geht. „König Tutanchamun ist der Einzige, der das kann“, sagt er und plädiert für Ausstellungen im Ausland.
Tawfik rechnet mit 15.000 bis 16.000 Besuchern pro Tag, wenn das Museum eröffnet ist und der Tourismus sich erholt hat. „Allerdings kann ich die Besucher beruhigen. Das Museum ist derartig gigantisch, dass man nicht sehr lange wird anstehen müssen“, fügt er hinzu.
Obwohl das GEM wegen Tutanchamun unter dem Label „Königtum“ läuft, werden die Mumien künftig im Zivilisationsmuseum zu sehen sein. Hier soll der Schwerpunkt auf Aspekten des täglichen und kulturellen Lebens liegen, wie dem Totenkult, der Bedeutung des Nil, der Landwirtschaft und der Schrift. Dem Ägyptischen Museum bleibt die altägyptische Kunst, vor allem bleiben die Skulpturen.
Auswahl der Objekte
Eine Kommission, der die Direktoren der drei Museen sowie Ägyptologen angehören, soll jetzt darüber befinden, welche Objekte aus dem Ägyptischen Museum und den Lagern an den Ausgrabungsstätten künftig wo zu sehen sein werden.
„Jedes dieser drei Museen wird seine eigene Identität und seine eigenen Anziehungspunkte für die Besucher haben,“ ist sich Tawfik sicher. Mamdouh Eldamati, Minister für Altertümer, verweist darauf, dass auf der Berliner Museumsinsel fünf Museen stehen, von denen jedes ebenfalls sein eigenes Profil hat. „Was wir haben, reicht für alle Museen,“ beteuert er.
Der Direktor des Ägyptischen Museums, Mahmoud El Halwagy, der Fünfte in diesem Amt seit 2010, blickt ebenfalls unbesorgt in die Zukunft. „Die Bedeutung des Ägyptischen Museums als großes Museum wird bleiben, nicht nur wegen seiner Sammlung, sondern auch als Gebäude. Auch wenn Tutanchamun in das GEM und die Mumien in das Zivilisationsmuseum umgezogen sind, werden Meisterwerke altägyptischer Kunst hier bleiben. Wir haben Statuen berühmter Pharaonen wie zum Beispiel die des Cheops“, erläutert er. „Daher habe ich keine Angst vor einem Niedergang der Bedeutung dieses Museums.“
Drei Museen sind zuviel
Das sieht Wafaa El Saddik anders. Sie war von 2004 bis zu ihrer Pensionierung Ende 2010 selbst Direktorin des Ägyptischen Museums. Für El Saddik bleibt das Ägyptische Museum das „große“ Museum; das GEM nennt sie Gizeh-Museum. „Wir haben nicht genug, um drei große Museen zu bestücken. Alle drei in Großkairo sind archäologische Museen, die große Sammlungen aus der altägyptischen Zeit zeigen“, sagt sie auf telefonische Anfrage.
In der Tat sollen Statuen auch in den neuen Museen ausgestellt werden. Das GEM plant zudem eine chronologische Abteilung von der Vor- und Frühgeschichte bis in die griechisch-römische Zeit. Das ist bislang im Ägyptischen Museum zu sehen. Und das Zivilisationsmuseum wird ebenfalls eine große Sektion aus den pharaonischen Perioden zeigen.
Im Gegensatz zu El Halwagy befürchtet El Saddik einen Bedeutungsverlust für das alte Museum. „Die beiden neuen Museen haben die Hauptattraktionen genommen. Die meistern Besucher kommen, um Tutanchamun zu sehen, obwohl wir schönere Dinge im Ägyptischen Museum haben. Wenn man Tut wegnimmt und die Mumien nach Fustat schickt, dann kommt kein Mensch mehr, nur die wirklich an Archäologie Interessierten und Wissenschaftler“, befürchtet sie.
Das Museum wird erneuert
Doch das Ende des Ägyptischen Museums wird noch nicht eingeläutet. Ein Wiederbelebungsplan sieht eine umfassende Erneuerung vor – von der Belüftung und Beleuchtung bis zur Renovierung der Schauräume, Vitrinen sowie, wenn nötig, die Restaurierung der Artefakte. Dieses Projekt unter der Ägide des Altertümerministeriums und des Obersten Rats für Antiquitäten wird beispielsweise in Deutschland vom Auswärtigen Amt, dem Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) und dem Veranstalter Semmel Concerts finanziell und mit Expertise unterstützt.
Im Rahmen eines Pilotprojekts wurde mit den Arbeiten bereits begonnen; Besucher können das Ergebnis jetzt in den Hallen 32 und 37 besichtigen.
Basierend auf alten Plänen des Architekten Marcel Dourgnon wurden acht Farbschichten abgetragen, ein mäanderndes Muster freigelegt, die Böden gereinigt und die Holzvitrinen strahlen in neuem Glanz. Da die Renovierung schrittweise erfolgt, bleibt das Museum während der Arbeiten, die auf bis zu sieben Jahre geschätzt weden, geöffnet.
Der Wiederbelebungsplan bezieht auch die Umgebung des Museums mit ein. Er sieht einen einstöckigen Anbau in Richtung Nil für Sonderausstellungen, Lager und Büros vor sowie einen pharaonischen Garten mit Wasserbecken, einen ägyptischen botanischen Garten und einen frei zugänglichen kleinen Park auf dem Gelände zwischen dem Museum und dem zentralen Kreisel des Tahrirplatzes.
Sonderausstellung über die Revolution
Die Verfasser der Studie schlagen zudem eine Sonderausstellung über die Revolution des 25. Januar 2011 und frühere Revolutionen sowie ein Graffiti-Museum vor. Soweit der Plan – aus Sicht der heutigen Machthaber fand die eigentliche Revolution am 3. Juli 2013 mit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi statt.
Doch unabhängig davon, ob dieser Teil des Vorschlags realisiert wird, ist der Abriss des NDP-Gebäudes Voraussetzung für die Erweiterung des Museums und die Anlage der Gärten. In dieser Hinsicht ist El Saddik eine Vorreiterin. Bereits während ihrer Amtszeit unter Mubarak hatte sie den Abriss des Parteigebäudes vorgeschlagen. „Das war von vornherein meine Idee. Aber das ist egal, Hauptsache, es wird gemacht“, sagt sie heute.
*Die Reise erfolgte auf Einladung von Semmel Concerts
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