Politik und Social Media: Zeit für das Wesentliche
Die Bundesregierung ist seit gut einer Woche bei Facebook. Viele Abgeordnete nutzen sowieso soziale Netzwerke. Das verändert den politischen Journalismus.
Bald vier Jahre ist es her, dass Steffen Seibert etablierten Hauptstadtjournalisten die Tür ins Neuland gezeigt hat. Damals twitterte der Regierungssprecher, die Kanzlerin werde mal wieder in die USA reisen. Journalisten fühlten sich übergangen und fragten, ob sie nun „Kunde“ bei Twitter werden müssten, um Neues zu erfahren.
In der Bundespressekonferenz erklärte damals Seiberts Stellvertreter den Medienmachern: Im Netz könne die Bundesregierung die Bürger auch direkt erreichen – aber keine Bange, das sei nur ein zusätzlicher Kanal, der den bisherigen, also den Weg über Journalisten nicht ersetze. Seibert muss dieses Versprechen gerade erneuern.
„Manchmal wird die Angst geäußert, wir wollten nun Journalisten umkurven. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall“, sagt der Regierungssprecher, der eine erste Bilanz zieht: Seit einer Woche ist seine Mannschaft auch mit einer eigenen Seite auf Facebook präsent. „Wir sind dafür da, Journalisten zu informieren. Das tue ich mit meinen Kollegen so ziemlich rund um die Uhr. Und daran wird sich überhaupt nichts ändern.“
So ziemlich rund um die Uhr ist die Regierung nun aber eben auch selbst dabei, das Volk direkt mit ihrer Sicht der Dinge zu versorgen und Fragen zu beantworten – und zwar dort, wo sich mit zirka 28 Millionen Nutzern allein aus Deutschland ein erstaunlich großer Teil der Bevölkerung tummelt. „Ich finde, wir bräuchten schon eine ganz schön gute Begründung, wenn wir sagen würden: Nö, da wollen wir aber nicht dabei sein“, sagt Seibert. „Da gehört die Bundesregierung auch hin.“
Das alte Unbehagen
Gleichzeitig kommt bei Journalisten wieder das alte Unbehagen hoch. Béla Anda, unter Schröder selbst Regierungssprecher und nun Vize bei Bild, arbeitete sich etwa an den Videos ab, die Seibert ins Netz stellen lässt. „So ist der Nutzer im Cockpit dabei, wenn die Regierungsmaschine auf der Landebahn aufsetzt (wer darf das heute sonst noch?) und begleitet Angela Merkel beim interessierten Rundgang durch das Vatikan-Museum in Rom“, schrieb er und mahnte: „Reporter werden auf diese Weise im Grunde überflüssig.“
Tatsächlich hat sich die Rolle von Journalisten in den vergangenen Jahren stark verändert. Sie sind häufig selbst nur Zuschauer der Fanprofile, auf denen ihre Protagonisten kommunizieren. Konkret hießt das: Setzt etwa die Musikerin Lady Gaga eine Botschaft auf Facebook ab, dann erreicht sie damit auf einen Schlag 67 Millionen Leute – so viele haben auf ihrer Seite den „Gefällt mir“-Knopf gedrückt und so Gaga-News abonniert. Wer braucht da noch Journalisten?
Auch Politiker nutzen diese Kanäle, um rund um die Uhr selbst Nachrichten in die Welt zu setzen – SPD-Boss Sigmar Gabriel etwa kurz nach der Geburt seines Nachwuchses, der damalige Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier wiederum, um der Welt aus der nichtöffentlichen Sitzung zu berichten: Auch seine Leute unterstützten den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck.
Social-Media-Newsroom mit Schichtsystem
Wenn Protagonisten im Netz förmlich mit Nachrichten um sich werfen, bleibt Journalisten, die Hintergründe aufzuarbeiten, die Vorgänge einzuordnen und all das auszugraben, was niemand selbst preisgeben würde. Man könnte auch sagen: Sie können sich endlich aufs Wesentliche konzentrieren.
Für die Regierungs-Seite auf Facebook war die erste Woche eine gute, wenn auch keine sensationelle: gut 40.000 Abonnenten, knapp 20.000 Kommentare. Seibert sagt angesichts dieser Dimension ganz offen, dass es „sicher immer welche geben wird, die mit Recht sagen: Moment mal, ich habe keine Antwort bekommen.“ Sein Haus bemühe sich aber, auf so viele Anfragen wie möglich einzugehen.
Seibert hat dafür einen „Social-Media-Newsroom“ samt Schichtsystem installiert, allein: „Es wird aber auch jeder verstehen, dass er um 2.12 Uhr am frühen Morgen von seiner Bundesregierung nicht innerhalb von einer halben Stunde eine Antwort bekommt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal