piwik no script img

Zahlen des UN-Flüchtlingswerks UNHCRSolange die Kriege nicht enden

Die Zahl der Flüchtlinge und Asylanträge in Europa hat stark zugenommen. Jetzt suchen die EU-Staaten nach neuen Möglichkeiten, Migranten abzuwehren.

Mütter mit Kindern verlassen das Rettungsboot im Hafen von Empedocle auf Sizilien. : ap

BERLIN taz | Im vergangenen Jahr wurden in den westlichen Industriestaaten so viele Asylanträge gezählt wie seit dem Jugoslawienkrieg 1992 nicht mehr. Darauf hat das UN-Flüchtlingswerk UNHCR hingewiesen. Insgesamt gab es 2014 rund 866.000 Erstasylanträge. Das ist eine Steigerung von 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2013.

UN-Flüchtlingskommissar António Guterres, der den Vergleich zu den 90er Jahren machte, erklärte: „Heute, mit dem Anstieg bewaffneter Konflikte überall auf der Welt, stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen, vor allem mit Blick auf die dramatische Situation in Syrien. Unsere Antwort muss so generös wie damals ausfallen.“

Die meisten Asylbewerber stammten im letzten Jahr aus Syrien. Sie stellten weltweit 150.000 Asylanträge. Weitere Hauptherkunftsländer waren der Irak und Afghanistan, Serbien, das Kosovo und Eritrea.

In Deutschland wurden im letzten Jahr die meisten Asylbewerber weltweit registriert – insgesamt waren es 173.000 Asylerstanträge, davon ein Viertel von Syrern. In den USA wurden geschätzte 121.000 Asylanträge gestellt. Berücksichtigt man die Bevölkerungszahlen, ist Schweden das Land mit den meisten Asylsuchenden, gefolgt von Malta, Luxemburg, der Schweiz und Montenegro.

„Auslagerung der europäischen Schutzpflicht“

Diese Zahlen bilden das tatsächliche Fluchtgeschehen aber nicht ab. Denn der UNHCR hat nur Anträge auf Asyl berücksichtigt. Allein aus Syrien haben sich jedoch rund 4 Millionen Menschen in die Nachbarländer gerettet, ohne dort einen Asylantrag zu stellen. Insgesamt sind weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht, die weitaus meisten im globalen Süden. Die Industriestaaten sind also keineswegs besonders belastet.

Nach UNHCR-Angaben muss mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen gerechnet werden, da viele der 3,9 Millionen seit Beginn des Bürgerkriegs geflüchteten Syrer nicht mehr daran glaubten, dass sie bald in ihre Heimat zurückkehren können. Angesichts des wachsenden „Gefühls, dass der Krieg niemals enden wird“, hofften sie nun auf einen Neuanfang in Europa, sagte die UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming.

Für viele von ihnen führt die Route über das Mittelmeer. Jüngst hat Italien seine Vorschläge konkretisiert, wie die Seenotrettung im Mittelmeer aussehen soll. Ein der taz vorliegendes Papier der italienischen Regierung zur „Integration von Drittstaaten in die Seenotrettung“ sieht vor, dass die EU „verlässlichen“ Mittelmeeranrainern wie Ägypten und Tunesien Geld bezahlt, damit diese nach einer Alarmierung durch italienische Rettungsleitstellen Boote schicken und in Seenot geratene Flüchtlinge wieder nach Nordafrika zurückholen.

Italien geht in dem Papier davon aus, dass das im Chaos versunkene Libyen nicht in der Lage ist, seine Küsten zu bewachen. Rom möchte deshalb dort das Kommando übernehmen und Drittstaaten wie Ägypten und Tunesien auffordern können, im akuten Seenotfall einzugreifen. Danach sollen diese Länder die Flüchtlinge auch aufnehmen.

„Vom Irak oder von Syrien auf lebensgefährlichem Wege in die Hände krimineller Schlepper in Libyen, dann mit der ägyptischen Küstenwache zurück nach Kairo – das versteht die italienische Regierung offenbar unter Flüchtlingsschutz“, sagte die grüne EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler. Italien plane „nichts anderes als eine Legalisierung sogenannter Pullbacks und fährt einen Angriff auf das gesamte Asylrecht“. Das ganze Verfahren laufe mithin auf eine „Auslagerung der europäischen Schutzpflicht“ in menschenrechtlich fragwürdige Drittstaaten hinaus, so Lochbihler.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen