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Fotoausstellung in der Wiener AlbertinaDie schönste Hasspose aller Zeiten

Model, Fotografin, Kriegskorrespondentin: Das Wiener Kunstmuseum Albertina zeigt die beeindruckenden Bilder der Fotojournalistin Lee Miller.

Zu sehen in der Wiener Albertina: der schwebende Kopf von 1933. Bild: Lee Miller Archives

Am Tag als Adolf Hitler sich eine Kugel in den Kopf jagte und Eva Braun Gift schluckte, badete die US-Amerikanerin Lee Miller in Hitlers Wanne am Münchner Prinzregentenplatz 16 und rauchte in der Wasserburger Straße 12 unter Eva Brauns Plumeau eine Zigarette. Vorher platzierte sie noch auf dem hellen Teppich vor der Wanne ihre schmutzigen Armeestiefel, stellte ein gerahmtes Porträt Hitlers auf den Wannenrand und rückte eine Statue klassizistischen Stils ins Bild. Ihr Kollege David E. Scherman drückte den Auslöser der Kamera. Dann tauschten sie die Rollen und Scherman stieg in die Wanne.

Am Morgen desselben Tages hatten Miller und Scherman als Kriegskorrespondenten für Vogue und Life die Befreiung des KZ Dachau durch US-Truppen miterlebt und gesehen, was sie für unmöglich gehalten hatten. An die Herausgeberin der britischen Vogue, Audrey Withers, schrieb Miller über ihre Ankunft in München: „Der Anblick der blau-weiß-gestreiften Lumpen, die den bestialischen Tod Hunderter von verhungerten und verstümmelten Männern und Frauen einhüllten, hatte in uns eine Gier nach Luft und nach Gewalt hinterlassen, und wenn München, die Geburtsstätte dieses Horrors, im Begriff war zu fallen, wollten wir gern dabei helfen.“

Nie hat es schönere Siegerposen gegeben als die von Lee Miller und David E. Scherman in den privaten Räumen Hitlers und Brauns. Zu sehen sind sie nun in der Wiener Albertina, die das Werk Lee Millers mit einer Ausstellung würdigt. Gezeigt werden 100 Fotos aus den Jahren zwischen 1929 und 1945, die die Entwicklung Millers von der surrealistischen Fotokünstlerin zur dokumentarisch fotografierenden Kriegsreporterin zeigen.

1929, als die 22-jährige Lee Miller aus den USA nach Paris kam, um im Zentrum der Welt mitzumischen, hatte sie bereits eine Karriere als gefragtes Model für Vogue hinter sich und mit renommierten Fotografen wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huene gearbeitet.

Sie wollte lieber viele Männer

In der Wiener Albertina geht es jedoch ausschließlich um Millers künstlerische Autorenschaft. Die ist nicht immer so klar bestimmbar, sind doch gerade ihre frühen Fotos in enger Zusammenarbeit mit dem surrealistischen Künstler Man Ray entstanden, weshalb es zwischen ihnen öfter zum Streit um die Urheberschaft kam.

Ihn hatte sie gleich nach der Ankunft in Paris aufgesucht und sich nicht abweisen lassen: „Er sagte, er nehme keine Schüler, und er fahre ohnehin in die Ferien. Ich sagte, ich weiß, ich komme mit Ihnen – und das tat ich. Wir lebten drei Jahre zusammen.“

Die Ausstellung

Bis 16. August 2015 in der Albertina Wien. Der Katalog kostet 29,80 Euro.

Man Ray brachte ihr das Fotografieren bei, sie stand ihm Modell und gemeinsam arbeiteten sie Fotos aus. Er war ihr verfallen, wollte sie heiraten. Sie wollte lieber viele Männer und ließ sich von den Pariser Surrealisten feiern, für die Frauen nur als Muse, Angebetete, Modell oder schöne Leichen vorkamen. Von Picasso, Paul Éluard und Max Ernst bis Jean Cocteau kannte sie alle.

In Cocteaus erstem Film spielte sie eine Statue. Die Kunsthistorikerin Whitney Chadwick, die den Einfluss von Frauen als Kunstschaffende untersucht hat, würdigte Millers intellektuelle Distanz zum Programmatischen wie ihren Drang zu Unabhängigkeit, als sie schrieb, Miller sei die erste Frau gewesen, die eher Ästhetik als persönliche Identität im Surrealismus gesucht habe.

Die amputierte Brust

Die von den Surrealisten so geliebten visuell fragmentierten Frauenkörper setzte auch Miller in ihren Aktfotografien ein. Aber andererseits gibt es auch dieses Foto von der amputierten Brust auf einem Teller, Miller hatte sie aus einem Krankenhaus mitgenommen. Blutverschmiertes Fett quillt aus ihr heraus, es sieht aus wie Gehirn, Messer, Gabel, Löffel liegen bereit. Dieses Foto von 1930 liest sich eher wie ein Kommentar auf den surrealistischen Frauenkörper und seinen Fetischcharakter.

TAZ.AM WOCHENENDE

Wie verarbeiten Kinder den Krieg? Dass Freunde gehen, weil sie für die andere Seite sind? Dass Verwandte sterben? Im Osten der Ukraine bringen Schüler ihr Leben auf die Bühne. Eine Reportage in der taz.am wochenende vom 16./17. Mai 2015. Außerdem: Seit über 20 Jahren hört Radiomoderator Jürgen Domian den Menschen der Nacht zu. Er spricht mit Mördern, Nonnen und Frauen aus dem Wald. Bald will er aufhören. Ein Gespräch Und: Wie Millionäre mit dem eigenen Boot Flüchtlinge retten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Miller bringt die typisch surrealistischen Techniken zur Anwendung: Vom Bildrand her streng beschnittene Körper und Landschaften oder die Solarisation – ein Verfremdungseffekt, der durch starke Überbelichtung entsteht. Dem surrealistischen „objet trouvé“ fügt sie das „image trouvé“ hinzu: Etwa im Foto „Mann und Teer“, das vom Bildrand her beschnittene Füße eines Mannes zeigt, die von einem fledermausförmigen Teerklecks auf dem Boden angegriffen zu werden scheinen.

Solche Elemente einer irgendwie verschoben und rätselhaft wirkenden Wirklichkeit kehren auch in ihren späteren Fotoarbeiten wieder, etwa wenn sie 1941 für die britische Vogue im zerbombten London Fashionmodels mit Brandschutzmasken oder eine nackte Schaufensterpuppe („Unsittliche Entblößung, bitte bringen Sie mich weg“) zwischen Trümmern inszeniert.

1941 hat sie schon eine dreijährige Ehe in Ägypten hinter sich und lebt mit dem Maler, ICA-London-Gründer und Picasso-Biografen Roland Penrose auf einer Farm in England. Die Beziehung hatte Max Ernst in Paris eingefädelt und sollte bis zu Millers Tod halten.

Miller fotografierte für Vogue Handtaschen und Kleider, was sie schnell nicht mehr interessierte. 1942 riet ihr der Freund und Geliebte David E. Scherman, der 1941 als Fotojournalist nach Europa gekommen war, zu einer Akkreditierung als amerikanische Kriegskorrespondentin. Vogue stimmte zu. Und Dank Millers Hartnäckigkeit und Dringlichkeit konnte auch Vogue sich nun nicht mehr der Kriegsberichterstattung entziehen.

Unendlicher Hass auf die Deutschen

So begann Lee Millers dokumentarische Arbeit. Sie war in Saint Malo und Paris als diese befreit wurden und zog in Uniform in vorderster Front mit den US-Truppen durch Europa. Was sie antrieb, war ein unendlicher Hass auf die Deutschen, der nie schwächer wurde, und ein unbedingter Wille zur Aufklärung, der in ihren Bildern aus Buchenwald und Dachau offenkundig ist.

Die Leichenberge, der tote SS-Mann oder die tote Tochter des Leipziger Nazi-Bürgermeisters – Miller fotografiert mit ihrer mittelformatigen Rolleiflex aus nächster Nähe, gerade so, als wollte sie den Blick aufs Wesentliche bannen und kein Abschweifen zulassen. Anders als ihre Kollegin Margaret Bourke-White etwa, die fast immer aus größerer Distanz fotografierte.

Miller schickte ihre Reportage „Believe it“ (1945) mit den Worten an Vogue: „Keine Frage, dass die deutsche Zivilbevölkerung wusste, was vor sich ging. Normalerweise mache ich keine Bilder von Gräueln. Aber glaube nicht, dass nicht jede Stadt und jede Region reichlich davon besitzt.“ Für ihre Reportage „Germans Are like This“ (1945) setzte sie Fotos aus der heilen deutschen Welt gegen die Fotos von Öfen und Knochenresten aus Buchenwald. Für das Selbstmitleid der Deutschen hatte sie nur Spott übrig, hörte, was sie sich erzählten, und ahnte, was sie sich weiterhin erzählen würden: „Die Deutschen […] haben vergessen, dass sie Nazis sind. […] Sie hatten den Krieg nicht gewollt. […] Nein, sie waren keine Nazis, aber natürlich waren sie Parteimitglieder.“

Mit Kriegsende kam die Depression. Im September 1945 schrieb sie an ihren Mann: „Ich scheine meinen Biss oder Enthusiasmus verloren zu haben. Nichts scheint mehr wichtig zu sein.“ Miller legte ihre Kamera weg. 1977 starb sie an Krebs.

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2 Kommentare

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  • Eindrucksvoll.

     

    Danke.

    • @Lowandorder:

      Eindrucksvoll, in der Tat. Tania Martini und Lee Miller haben gemeinsam geschafft, was bisher niemandem gelungen ist. Dieser Lowandorder-Kommentar ist ausnahmsweise mal ein völlig schnörkelloser. Muss ein echter Schock gewesen sein zu erkennen, dass Frauen als Kriegsberichterstatter auch nicht sehr viel anders "ticken" als die meisten ihrer un gezählten männlichen Kollegen.