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Kreml verordnet Neusprech

Sprachregelungen für die Presse sollen der Umdefinierung der Wirklichkeit dienen

BERLIN taz ■ Das Treffen hat Tradition. Einmal wöchentlich bestellt die Administration des russischen Präsidenten Chefredakteure überregionaler Fernsehkanäle, Rundfunksender und Printmedien in den Kreml ein. Russlands „gelenkte Demokratie“ baut auf die propagandistische Macht der vierten Gewalt. Kritische Berichte über den Tschetschenienkrieg und dessen Übergreifen auf den gesamten Nordkaukasus gelangen zwar seit Jahren kaum mehr ins öffentliche Programm. Doch gelegentlich unterläuft auch Berichterstattern der staatlichen Medien ein Lapsus, der hinter dem Entwurf der virtuellen Welt des Kreml auf eine andere Wirklichkeit in der Region schließen lässt. Auch damit soll nun endgültig Schluss sein.

Ende Oktober sei den Medien eine umfangreiche Liste mit „richtigen“ Formulierungen und Bezeichnungen zugestellt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Hinter dem Bemühen um semantische Präzision stünde nicht zuletzt auch die Sorge um die Reinheit der russischen Sprache. Vor allem soll die Sprachregelung aber verhindern, dass Terroristen „Massenmedien für eine vielfache Verstärkung der psychologischen und informationellen Einwirkung zynisch missbrauchen“.

Von nun werden tschetschenische Separatisten in russischen Medien ausnahmslos zu Terroristen und „Mudschaheddins“ – jeweils abhängig vom Kontext – zu „Söldnern“ oder „Guerilleros“. Der im Londoner Exil sitzende Bevollmächtigte des ermordeten tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow darf nur noch als „Sprachrohr der Guerilla“ bezeichnet werden.

Funktionen und Titel islamischer Geistlichkeit wie Scheich, Emir, Amir oder Imam, mit denen sich tschetschenische Terroristen und Separatisten schmücken, dürfen nicht mehr benutzt werden. Sie sind zu ersetzen durch den Sammelbegriff „Anführer einer Banditenbande“. Ein der fundamentalistischen Schule angehörender „Wahhabit“ verwandelt sich in einen „islamistischen Söldner“, während die islamistische Gemeinde „Dschamaat“, die im Nordkaukasus meist militante Ziele verfolgt, pauschal zur „terroristischen Organisation“ gestempelt wird.

Nicht erwünscht ist auch die Kombination „tschetschenischer“ oder „islamischer Terrorismus“. Sie widerspricht der Moskauer Lesart, wonach in Tschetschenien die Normalität längst wieder Einzug gehalten hat. Die Wendung ist durch die Verknüpfung „internationaler Terrorismus“ zu ersetzen.

Seit dem 9. September 2001 versucht der Kreml, den Tschetschenienkrieg als seinen Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu verkaufen. So gehört es zu einem festen Ritual, nach Terroranschlägen zunächst die Beteiligung von Söldnern aus der islamischen Welt herauszustreichen. Meist bleibt die Staatsanwaltschaft den Nachweis schuldig. Oder es stellt sich wie in Beslan heraus, dass die „schwarzen Söldner“ verkohlte Leichen kaukasischer Terroristen waren.

2005 wurden Massenmedien über 90-mal von der föderalen Einrichtung der Medienaufsicht wegen Verstößen gegen das „Reinheitsgebot“ verwarnt. Fünf Medien verloren die Lizenz.

KLAUS-HELGE DONATH

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