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„Mehr als nur Essen verteilen“

Seit elf Jahren organisiert Aune Renk die Suppenküche in der Marienkirche – ehrenamtlich. Für die 70-Jährige ist diese Aufgabe zum Lebensinhalt geworden. Jetzt hat sie der Senat dafür ausgezeichnet

VON TANIA GREINER

In der Sakristei klappert Geschirr. Berge von Tassen, Schüsseln und Tellern stapeln sich auf einem Tisch. „Sehen Sie, so viele Leute waren da: insgesamt 156“, sagt Aune Renk stolz und zeigt auf den Geschirrberg, der darauf wartet, gespült zu werden. Gestern war was los bei ihr – wie jeden zweiten Sonntag. Dann sind unter der Empore der gotischen Stadtkirche die Tische gedeckt.

Zur Suppenküche in der St.-Marien-Kirche nahe dem Fernsehturm kommt, wer Hunger hat, Wärme braucht oder obdachlos ist – oder alles zusammen. Vor elf Jahren wurde diese Einrichtung gegründet. Seitdem ist Aune Renk dabei. Als ihre Vorgängerin wenig später aus Altersgründen aufhörte, übernahm sie die Leitung. „Jemand muss die Fäden zusammenhalten, sonst überlebt ein ehrenamtliches Projekt nicht“, erzählt die Rentnerin.

Zufrieden sieht sie aus. Und wenn sie an den gestrigen Tag denkt, gerät sie ins Schwärmen. „Wir hatten ein tolles Buffet mit Hühnerbeinen, Buletten, Kartoffelsalat und Gulaschsuppe. Nur feine Sachen“, berichtet sie. Sonst gebe es gewöhnlich Stullen und Eintopf. Aber zum Jahresende wollte sie ihren „Schäfchen“ etwas Besonderes bieten. Viele sind ihr über die Jahre ans Herz gewachsen.

Am Anfang sei ihr die Arbeit schwer gefallen. „Ich war ja vorher keine Sozialarbeiterin“, sagt die inzwischen 70-Jährige. Als studierte Kunsthistorikerin arbeitete sie bis zur Rente als Archivarin. „Ich hatte nur mit Originalen zu tun“, erinnert sie sich. Einst hielt sie im Stadtarchiv Ost „Berlin in den Händen“. Später war sie an der Akademie der Künste beschäftigt. Dann kam die Rente – und damit ein neuer Lebensabschnitt. „Einer, an dessen Ende der Tod steht“, sagt sie, und ihr Gesicht wird für kurze Zeit ernst. „Es gibt so viele 70-Jährige, die stehen schon mit einem Bein im Sarg.“

Aune Renk ist davon weit entfernt. Als sie in Rente ging, stellte sich ihr die Frage, was sie anfangen sollte mit ihrer Zeit. Fast 40 Jahre war sie aktives Mitglied der Marienkantorei. Sie hat die Entstehung der Suppenküche miterlebt. Rasch war sie selbst mittendrin. „Ich wollte nicht nur Essen verteilen“, sagt sie. Das herkömmliche Bild von der Suppenküche gefällt ihr nicht. „Da steht eine Frau im weißen Kittel mit der Kelle in der Hand, eine andere reicht dem Bedürftigen die Suppe.“ Bei ihr stehen Suppenschüssel und Brotteller auf den Tischen. Oft setzt sie sich dazu, tätschelt Hände oder singt mit ihren Zöglingen. „Das klingt schöner als jeder Profichor.“ Ihr Gesicht strahlt, wenn sie davon erzählt.

„Alle sind gleich“ – das versucht sie den „Suppenküchlern“ immer zu zeigen. Rafft einer, greift sie ein. „Du kannst hier nicht den Stullenteller komplett in die Tasche packen.“ Klare Worte seien wichtig. Aber belehren oder missionieren will sie nicht. „Die wollen nicht an die Strippe genommen werden. Das werden sie im Alltag ohnehin ständig“, weiß Aune Renk.

Großzügige Spenden

Die Kirchengemeinde ist heute stolz auf die Suppenküche. Anfangs war das nicht immer so. „In der DDR gab es keine Armut. Für alles hat der Staat gesorgt.“ Die Kirche als sozialer Ort musste erst akzeptiert werden. Inzwischen werde großzügig für die Einrichtung gespendet. Unterstützt wird die Suppenküche auch durch den Senat, den Sozialverein Friedrichshain e. V. sowie die Caritas. Und das Brot spendet die Berliner Tafel.

In der Sakristei türmt sich noch immer das Geschirr. Doch die Teller glänzen jetzt. Verlegen schaut Aune Renk ihre Kolleginnen an. „Sehen Sie, die Suppenküche, das bin nicht ich allein.“ Der kleine Kreis von Ehrenamtlichen ist dem Schmutzberg auf die Pelle gerückt. „Sonst helfe ich aber mit“, fügt sie rasch hinzu. Keiner zweifelt daran, auch nicht die Senatsverwaltung. Anfang Dezember hat sie Aune Renk die Ehrennadel für besonderes soziales Engagement verliehen.

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