: Energiegipfel ohne Tagesordnung
Kanzlerin Merkel plant einen „Energiegipfel“, um den Streit über die AKW-Laufzeiten zu schlichten. Sie scheint die Zusatzabsprachen im Atomkonsens nicht zu kennen
BERLIN taz ■ Strategisches Kalkül: Drei Landtagswahlen finden im März statt – also hat Kanzlerin Angela Merkel den koalitionsinternen Energiegipfel auf Anfang April verschoben. Er soll den Konflikt über den Atomausstieg zwischen Union und SPD entschärfen. Doch gibt es überhaupt einen Konflikt?
In den letzten Tagen stellten Unions-Ministerpräsidenten gern und intensiv den Atomkonsens in Frage. Der sieht vor, bis zum Ende der Legislaturperiode vier Atomreaktoren abzuschalten. Die so genannte Regellaufzeit endet für Biblis A am 26. Februar 2007, für Neckarwestheim I am 1. Dezember 2008, für Biblis B und Brunsbüttel Anfang 2009.
Doch tatsächlich geht es im koalitionsinternen Streit nur um zwei Reaktoren: Biblis A und Neckarwestheim. Denn „Biblis B und Brunsbüttel werden nicht abgeschaltet“, sagt der Atomexperte Klaus Traube. Schließlich können von anderen AKWs legal Laufzeiten übertragen werden. Gemäß Atomkonsens darf Biblis B Laufzeit von Mülheim-Kärlich übernehmen, Brunsbüttel Laufzeit von Stade.
Selbst wenn die Union auch Biblis A und Neckarwestheim I über die Legislaturperiode retten wollte – wollen das auch die Betreiber? Für beide AKWs gibt es im Atomkonsens Sonderabsprachen. Sie finden sich allerdings nicht im Gesetz, sondern im Einigungspapier mit der Industrie. Für Biblis A geht es um die „Notstandswarte“: Hessens damaliger Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) hatte den Betreiber RWE verpflichtet, eine Super-GAU-sichere Steuerzentrale zu bauen. Dann kamen die Ausstiegsverhandlungen. RWE argumentierte, dass die knapp 1 Milliarde Euro teure Warte sowieso erst pünktlich zur Biblis-A-Abschaltung fertig würde. Die rot-grünen Unterhändler prüften und gingen auf RWE zu; im Juni 2000 erklärte das Bundesumweltministerium: „Unter der Voraussetzung einer Erklärung des Betreibers, auf Übertragung von Reststrommengen auf Biblis A zu verzichten, wird binnen drei Monate über ein angemessenes Nachrüstprogramm entschieden.“ Bedeutet: Nennt RWE ein konkretes Abschaltdatum, muss die Notstandswarte nicht gebaut werden. RWE ist darauf eingegangen, hat sich also aufs Abschalten festgelegt. „RWE würde seine Glaubwürdigkeit verlieren, wenn es trotzdem einen Antrag beim Bundesumweltminister einreicht“, glaubt ein Verfahrenskenner.
Bleibt also Neckarwestheim. Zum 31. Dezember 2007 wird dort die periodische Sicherheitsüberprüfung fällig. „Diese Überprüfung ist sehr umfangreich und hat oft nicht ganz unwesentliche Investitionen in die Erneuerung der Sicherheitssysteme zur Folge“, sagt Herbert Würth vom Aktionsbündnis Neckarwestheim. Allein der Check kostet nach Brancheninformationen deutlich mehr als 1 Million Euro.
Auch hier gibt es eine Sonderabsprache: Betreiber EnBW könnte sich die Sicherheitsüberprüfung sparen – wenn sich der Konzern zum Abschalten entschließt. Aber es gibt auch noch eine Alternative: „Theoretisch könnte EnBW in Neckarwestheim die verabredete Regellaufzeit durch gedrosselten Betrieb überschreiten – sogar bis in die nächste Legislaturperiode“, so Atomexperte Traube.
„Alle zehn Jahre ist dieser Sicherheitscheck dran“, bestätigt EnBW-Sprecher Dirk Ommeln gegenüber der taz. Noch sei nicht entschieden, ob der Konzern tatsächlich prüft. Ommeln: „Wenn wir den Sicherheits-Check machen, heißt das aber nicht, dass wir nicht wie vorgesehen abschalten werden.“ Auch beim inzwischen stillgelegten AKW Obrigheim habe man bis zuletzt in die Sicherheit investiert.
Andere Experten sind sich allerdings nicht so sicher, dass Absprachen und Betriebswirtschaft die Abschaltpolitik der Konzerne bestimmen. „Selbst eine investierte Milliarde kann ein Atomkonzern beim derzeitigen Strompreisniveau locker wegstecken“, so Felix Matthes vom Ökoinstitut. Schließlich könne man mit Blöcken wie in Neckarwestheim jährlich „leicht eine Milliarde verdienen“.NICK REIMER
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