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Wenn Götter vor sich hin dämmern

OHE! OHE! Auch an seinem 200. Geburtstag bleibt Richard Wagner ein so kontroverser wie anregender Komponist: Sein „Ring des Nibelungen“ inspirierte selbst Schriftsteller von der Spätromantik bis heute, wie Neuerscheinungen von Elfriede Jelinek, Eckhard Henscheid und Élémir Bourges zeigen

Wagner feiern

■ Geburtstagskonzert: In Bayreuth, klar, gibt es am 22. Mai das offizielle Konzert zum Geburtstag. Christian Thielemann dirigiert ein Best-of aus den Opern des Meisters. Natürlich längst ausverkauft. Aber hinterher geht’s mit der Party weiter in der Bayreuther Stadthalle – „alle Wagnerbegeisterten“ sind eingeladen.

■ Geburtstagsausstellung: Natürlich kann man auch nach Leipzig fahren. Dort läuft im Stadtgeschichtlichen Museum zum Jubelfest die Ausstellung „Wagnerlust & Wagnerlast“. These: Der „Kunstegoist“ Wagner hat sich alles für seine Kreativität zunutze gemacht – politische Revolutionen, Gunst des Königs, auch seine Lieben und Beziehungen.

■ Geburtstagsblog: Und wem diese ganze Feierei plötzlich irgendwie zu deutsch vorkommt, der kann sich beim Goethe-Institut mit internationalen Perspektiven wieder neu orientieren. Unter blog.goethe.de/wagner/ findet man etwa die Comicserie zum „Fliegenden Holländer“ des neuseeländischen Künstlers Mat Tait oder eine Cumbiaversion des „Walkürenritts“ von der peruanischen Gruppe Chicha Libre mit Surfgitarre. Lustig!

VON TIM CASPAR BOEHME

Die heutige Finanzkrise hätte Richard Wagner vermutlich gefallen. Nicht wegen des Elends, das sie über so viele Menschen bringt, sondern weil sie zugleich eine Chance für Veränderung, für eine andere Welt bietet. Die wollte der Komponist, der am 22. Mai vor 200 Jahren geboren wurde, auch mit seiner Musik herbeiführen. Und selbst wenn er den Lauf der Welt weniger stark bestimmt haben mag, als er hoffte, hat er immerhin den Gang der Musikgeschichte deutlich geprägt.

Auch in der Literatur hat Wagner, der in seinem eigenen Schreiben stark von Schriftstellern der Romantik beeinflusst war, schon unter seinen Zeitgenossen viele Bewunderer gehabt, Marcel Proust gehörte ebenso dazu wie ein kritisch-faszinierter Thomas Mann, des Weiteren zweifelhafte Persönlichkeiten wie der protofaschistische italienische Dichter Gabriele d’Annunzio. So polarisierend wie Wagners Kunst wirkte, kamen seine Anhänger ebenfalls aus stark entgegengesetzten Richtungen.

Der heute in Deutschland weitgehend vergessene französische Schriftsteller Élémir Bourges zählte im ausgehenden 19. Jahrhundert ebenfalls zu den Wagner-Begeisterten. Er ließ sich von dessen Musik zu seinem Debütroman „Götterdämmerung“ anregen, in dem der Komponist selbst zwei kurze Auftritte hat. Auch die titelgebende letzte Oper des „Ring des Nibelungen“-Zyklus erhält darin einen prominenten Platz. Der Roman, der bei seinem Erscheinen 1884 ein großer Erfolg war, liegt pünktlich zum Wagner-Jubiläum jetzt zum ersten Mal auf Deutsch vor.

Bourges, der den Symbolisten und der Décadence nahestand, zeichnet in satten Farben den Untergang eines fiktiven deutschen Adelsgeschlechts, in dessen Zentrum der unfassbar reiche, ansonsten aber mit wenigen Vorzügen ausgestattete Fürst Karl von Este steht. Dieser begeht im Jahr 1866 gerade seinen Geburtstag mit einem von Wagner persönlich dirigierten Konzert, in dem Fragmente aus der Oper „Die Walküre“ gegeben werden, als der Einfall der preußischen Truppen gemeldet wird und der Patriarch mit seiner Gefolgschaft ins Pariser Exil flüchten muss.

Dort lässt Karl von Este einen prächtigen Palast errichten, dessen luxuriöse Innenausstattung Bourges mit der gleichen Detailversessenheit schildert wie die charakterlichen Defekte seiner Bewohner, die von Gier, Niedertracht und Intrigantentum beherrscht sind. Die Kinder des Fürsten knüpfen dabei vereinzelt an die Figuren in Wagners „Ring“ an. Insbesondere das kunstliebende Geschwisterpaar Hans Ulrich und Christiane erinnert in seiner tragischen Inzestbeziehung an das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde aus der „Walküre“.

Sind die Götter bei Wagner schon von ihren Leidenschaften und Schwächen gezeichnet, gilt dies erst recht für die Menschen bei Bourges. Otto, der Lieblingssohn des Fürsten, zeichnet sich etwa durch aufbrausendes Temperament und sadistische Perversion aus. Die italienische Opernsängerin Giulia Belcredi, zunächst Mätresse des Fürsten, wird später zur Geliebten Ottos und heckt mit diesem ein Mordkomplott gegen seinen Vater aus.

Am Ende wird von den Hochwohlgeborenen nicht viel übrig geblieben sein. Karl von Este bricht schließlich bei einer Aufführung der „Götterdämmerung“ tot zusammen, allerdings nicht ohne zuvor noch einmal mit den gesellschaftlichen Umbrüchen seiner Zeit abzurechnen. Hat man sich bis dahin an der rauschhaften Erzählung erfreuen können, die keine ernsthaft positiven Helden kennt, dafür aber umso gewissenhafter einen seelischen Abgrund nach dem anderen durchmisst, muss man die Lektüre des Buchs im letzten Kapitel fast bereuen.

Denn hier holt einen das bei Wagner unvermeidliche Thema Antisemitismus ein. Durch die Figur des Fürsten hindurch teilt Bourges seine Weltsicht mit, in der nicht nur der Kapitalismus schlecht wegkommt, sondern vor allem das Judentum: „Dieser gierige und feindselige Volksstamm, der unaufhörlich damit beschäftigt war, die Völker mittels jener grausamen Erfindungen auszusaugen, die Geiz erfinden kann, hatte Jahrhundert um Jahrhundert alle Schätze und alles Gold der Welt ins Futter seiner Lumpen gestopft“, heißt es dort. Und als wäre das nicht genug, tritt Bourges kräftig nach: „Ihre Töchter stiegen ins Bett der Fürsten und vermischten reinstes christliches Blut auch noch mit dem übel riechenden Unrat des Ghettos.“ Wie der Romanist Albert Gier in seinem Nachwort mit einer Passage aus einem Brief Bourges’ belegt, betrachtete Bourges sein Gegeifer als „treffende Beiwörter“ für „die Juden“.

Dass man das Werk des seinerseits durch antisemitische Äußerungen auffällig gewordenen Komponisten auch in anderer Weise kapitalismuskritisch verarbeiten kann, zeigt Elfriede Jelinek mit ihrem als „Bühnenessay“ ausgewiesenen Beitrag zum Wagner-Jahr „Rein Gold“. In diesem Dialog zwischen Brünnhilde und ihrem Vater Wotan, mit dem Jelinek eine eigene Lesart des 3. Akts der „Walküre“ bietet, geht es ganz gegenwärtig um die Verwerfungen des Kapitalismus im Zeichen der Finanzkrise. Das Stichwort dazu gibt der „Ring“ selbst, in dem Wotan sich von Riesen die Burg Walhall bauen lässt, ohne seine Schulden bezahlen zu wollen und stattdessen die Göttin Freia als Lohn anbietet.

Bei Jelinek muss sich Wotan dafür von seiner Tochter, theoretisch mit Marx unterfüttert, vorwerfen lassen, dass er Riesen beschäftigt, damit die eigentlichen Arbeiter ersetzt und so die Zahl der Bedürftigen erhöht hat. Wotan wird erst auf Seite 49 zu seiner Antwort ansetzen. Dass es vorher für ihn keine Gelegenheit gab, liegt am wortspielerischen Sprachexzess des Stücks, in dessen endlosem Strom beständig Theorie-Einsprengsel und Alltagsreste mit Motiven aus Wagners Kosmos verschaltet werden. Es ist eine Fantasie über Wagner, die den Sog seiner Musik in die Struktur des Texts überführt und seine Mythen-Aneignungen in Dialog mit der Realität von heute treten lässt.

Wer darüber etwas den Überblick verliert, kann bei Eckhard Henscheid Rat suchen. „Götter, Menschen und sieben Tiere“ nennt er seinen „Gestaltenreigen“ zum „Ring des Nibelungen“. Ein herkömmliches Personenlexikon sollte man von dem Wagner-affinen Schriftsteller eher nicht erwarten, jedoch macht gerade Henscheids kenntnisreicher subjektiver Zugriff, der zwischen Figurenanalyse, musikalischer Interpretation und Verweisen quer durch die Geistesgeschichte mutig hin und her springt, das von F. W. Bernstein sehr schön bebilderte, durchaus eigenwillige Buch so anregend.

Élémir Bourges: „Götterdämmerung“. Aus dem Französischen von Alexandra Beilharz. Manesse, Zürich 2013, 480 S., 24,95 Euro; Elfriede Jelinek: „Rein Gold“. Rowohlt, Reinbek 2013, 224 S., 19,95 Euro; Eckhard Henscheid: „Götter, Menschen und sieben Tiere. Ein Gestaltenreigen“. Reclam, Stuttgart 2013, 222 S., 24,95 Euro

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