: Auf Grill und Gabel schwören
Er ist kein gewöhnlicher Metzgermeister, sondern Ritter des Blutwurstordens: Ein Besuch bei Marcus Benser, der in Neukölln die Fleischerei Gleich betreibt
Zur deutschen Küche weiß Wikipedia viel zu sagen, auch der hessischen oder der bayerischen wird einiger Platz eingeräumt. Zur hiesigen Küche findet sich jedoch nur ein Satz: „Aus Berlin stammen Eisbein, Kasseler, Bockwurst, Bulette und Currywurst.“
In Berlin mieden schon immer alle, die es sich leisten konnten, die heimische Küche. Denn täglich zwischen Molle und Korn, Bulette und Wurst, Fassbrause und Spreequell wählen zu dürfen gefällt gemeinhin nur jenen, die das nicht müssen. Wilhelm II. allerdings, so erzählen die Chronisten, brüskierte des Öfteren Köche, da er den Berliner Hackfleisch-Kartoffel-Matsch den Gaumenfreuden seiner französischen oder italienischen Wirte vorzog. Darin war er wie die so genannten kleinen Leute, die nie recht verstanden, was an Wurst falsch sein könnte.
Die Lust auf Fleisch hat sich vor allem in den Bezirken gehalten, in denen berlinert und malocht wird. Deshalb überrascht es nicht, dass die Fleischerei Gleich am Karl-Marx-Platz in Neukölln zu finden ist, einem Bezirk, in dem zumindest bei der deutschstämmigen Bevölkerung das Raue noch als das Ehrliche gilt. Der Laden kommt sehr traditionell daher, die Ladentheke kennt noch die Zeit vor den Ölkrisen, die bedienenden Damen sind proper und herzlich, und ab und an bringt der Meister die frische Blutwurst, auch sie eine Berliner Spezialität, aus der Hinterhoffleischerei nach vorn in den Laden. „Das lass ich mir nicht nehmen“ sagt er.
Marcus Benser, der die Fleischerei Gleich, in der er ausgebildet wurde, vor einigen Jahren übernommen hat, ist alles andere als ein gewöhnlicher Fleischer. Er ist ein Ritter der Blutwurst, ein Chevalier du Goûte Boudin. Das wird man, wenn man sich dem jährlichen internationalen Blutwurstwettbewerb in Mortagne-au-Perche hingibt, ihn mehrfach gewinnt und schließlich aufgrund seines Engagements für die Wurst in die „Bruderschaft des Ordens der Blutwurstritter“ aufgenommen wird. Der Inthronisationseid lautet: „Auf Grill und Gabel schwöre ich, dass ich für alle Zeiten und an allen Orten die Blutwurst von Mortagne verteidigen, für sie werben und sie besingen, ihre Verdienste preisen und dazu beitragen werde, im Rahmen meiner Mittel zur Beibehaltung der gastronomischen Tradition der Region Perche und zum guten Ruf der französischen Küche beizutragen.“
In der Bruderschaft agiert neben Benser auch der Küchenstar Paul Bocuse. Bekannte Köche gehören auch zur Kundschaft Bensers. Knapp 50 Prozent seiner Kunden kämen extra der Fleischerei wegen hierher, sagt Benser. In der Fleischerei Gleich wird nach traditionellen Rezepten gearbeitet, es wird auf traditionelle Weise dargeboten und serviert. Der Imbiss, für den ein eigens angestellter Koch arbeitet, bietet klassische, derbe Hausmannskost, der Laden ist neonröhrenhell und verzichtet auf Lampen, die die Ware möglichst appetitlich ausleuchten.
Marcus Benser ist einer, wie ihn sich alle bürgerlichen Parteien wünschen: ein liberaler Traditionalist, der den internationalen Wettbewerb sucht, der Mitglied in einer französischen Vereinigung ist, ohne dabei das Bodenständige zu verlieren. Benser führt seinen Laden mit zehn Mitarbeitern erfolgreich, genießt sein Geld, arbeitet an jedem Tag selbst mit in der Fleischerei. Er ist stolz auf seine Familientradition – schon der Urgroßvater war Fleischer –, er interessiert sich ein bisschen für Marx, da er dem Kapitalismus nicht vollends vertraut, und schätzt an Neukölln, dass es ein „Schmelztiegel“ sei. Er sagt es, obschon Muslime aus religiösen Gründen nicht zu seinem Kundenstamm gehören.
Ein solcher Handwerksmeister weiß, wie er auftreten muss. Das Angebot etwa, industriell Blutwurstritter-Blutwurst für eine süddeutsche Discounterkette zu produzieren, schlug er nach einigem Überlegen ebenso aus wie die Möglichkeit, eine Filiale in einer Shopping Mall in einem „feineren“ Bezirk zu eröffnen. Er will, wie er sagt, „das Gesicht hinter der Wurst“ bleiben, will, dass ihm sein überschaubarer, doch guter Kundenkreis erhalten bleibt. Zu aggressives Auftreten würde den eher verscheuchen.
Mit einer catchy Internetadresse wie www.blutwurstritter.de und dem auffallend zurückhaltenden Auftritt seines Ladens weiß er seine Ware zu vermarkten. Was dabei verdient wird, reicht ihm, sagt er. Er gibt sich bescheiden und genügsam. Und auch der schicke Mercedes im Hof, dessen Bild sich zudem an der Wand des Fleischereibüros verewigt findet, zeugt von der Zufriedenheit seines Besitzers. JÖRG SUNDERMEIER
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