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Online-Primat im Urwald

Im Madidi Nationalpark können Touristen den Dschungel von Boliviens Nordwesten erkunden

von MARTIN H. PETRICH

Das Boot verschwindet im dichten Nebel, der sich wie ein Vorhang vor dem Bergdurchbruch zusammenzieht. „La Bala“, der Schuss, nennen die Bewohner des nahen Rurrenabaque diese eigenwillig geformte Stelle am Río Beni. Der Bootsfahrer bremst abrupt ab. Es wird nicht das letzte Mal auf dieser Fahrt sein. „Hier steigen wir aus“, verkündet Sandro nach einer Weile. Die Gäste folgen dem jungen Naturführer an den Fuß einer Bergwand, wo sich eine Gruppe Grünflügelaras eingenistet hat. „Für die Papageien ist diese Stelle zur Aufnahme von Salz von großer Bedeutung“, belehrt sie der Vierundzwanzigjährige, während die begeisterten Europäer per Fernglas den aufgeregten Flug der bunten Vögel verfolgen.

Weniger entzückt sind die Touristen etwas später, als sie das Boot verlassen haben und auf dem Weg durch den Wald zur Chalalán-Ökolodge gehen. Abseits stehen Mahagonibäume und Wandernde Palmen, zwischen deren stacheligen Stelzwurzeln sich gerne Boas zum Schlafen legen.

Ein beißender Geruch steigt plötzlich in die Nase und ein vernehmlich lauter werdendes Rascheln ist zu hören. „Hier ist ein Rudel Weißbartpekaris unterwegs“, informiert sie Sandro, „und die können ziemlich ungemütlich werden. Fühlen sie sich bedroht, kreisen sie ihre Opfer ein und attackieren sie mit ihren scharfen Hauern.“ Glücklicherweise sind die gefräßigen Nabelschweine mit anderen Dingen beschäftigt. Als Sandro mit seiner Gruppe endlich die Lodge erreicht, lassen sich die Gäste erleichtert in die Hängematten fallen. Bei einem Fruchtsaft lauschen sie dem Stimmengewirr des Tropenwaldes.

Seit sieben Jahren können interessierte Besucher von der Lodge aus die Dschungelwelt des Madidi Nationalparks im Nordwesten Boliviens erkunden: Über tausend Vogelarten und vierundvierzig Prozent aller in Südamerika heimischen Säugetierarten tummeln sich hier. Dank einer solchen Artenvielfalt kann sich der Park mit anderen südamerikanischen Schutzgebieten leicht messen. Mit fast 19.000 Quadratkilometern ist er etwas größer als Sachsen, er erstreckt sich von den schneebedeckten Fünftausendern der Anden entlang der Grenze zu Peru bis hin zum tropischen Amazonasbecken. Vom ewigen Eis über Bergnebelwälder und tropische Regenwälder bis zu Savannen, den Pampas, reichen die Ökozonen. Sich windenden Schlangen gleich durchziehen Flüsse das Gebiet.

Erst 1995, nachdem die Abholzung immer bedrohlichere Ausmaße angenommen hatte, erklärte die bolivianische Regierung den Madidi zum Nationalpark. Doch mit weniger als dreißig Parkwächtern vermag die dafür zuständige Nationalparkbehörde Sernap dieses riesige und schwer zugängliche Territorium nicht annähernd zu kontrollieren. Besonders auf das lukrative Mahagoni haben es die Holzfirmen abgesehen – und drücken den rund um den Madidi lebenden verarmten Bauern auch heute noch gern die gefräßigen Kettensägen in die Hand.

Wie etwa den Bewohnern des südlich vom Park gelegenen Städtchens Apolo. Sie sollen beim Bau einer Straße mitten durch den unberührten Dschungel in Richtung Norden helfen. „Ein touristisch völlig sinnloses Projekt“, meint Marcelo Arze, der für die internationale Umweltorganisation Conservation International in La Paz arbeitet: „Es geht schlicht darum, dass die Firmen über die Straße schneller an die lukrativen Edelhölzer herankommen wollen.“ Mit seinem Team arbeitet Arze seit Jahren an einem besseren Schutz für die bolivianischen Nationalparks. Dabei spielt auch der Ökotourismus eine zunehmende Rolle.

Mit finanzieller Unterstützung der Amerikanischen Entwicklungsbank (BID) half seine Organisation der Dschungelgemeinde San José de Uchupiamonas beim Bau der Chalalán-Ökolodge und bildete das Personal aus. Ehemalige Wilderer avancierten zu Naturführern, so auch Sandro, der heute ein gefragter Vogelkundler ist.

Das dreihundert Jahre alte San José liegt inmitten des Madidi Nationalparks, etwa drei Bootsstunden von der Lodge entfernt. Die Bewohner gehören der Volksgruppe der Quechua-Tacana an. Alle Mitarbeiter der Herberge stammen aus der Dreihundertfünfzig-Seelen-Gemeinde, darunter auch Eric Macuapa. „Seit fünf Jahren ist unsere Albergue finanziell unabhängig und wirft Gewinn ab“, sagt er voller Stolz. „Mit der Hälfte des Geldes finanzieren wir Gemeindeprojekte wie etwa die Krankenstation und die Schule, der Rest geht an die Familien.“

Um die „Albergue Ecológico“ besser zu vermarkten, hat der vierundzwanzig Jahre alte Eric ein neues Kontaktbüro in La Paz eröffnet. Beim Bemühen, mehr Touristen in den Nationalpark zu locken, mag vielleicht auch „Luca Luca“ helfen. So heißt das kleine Titi-Äffchen bei den Einheimischen wegen seines markanten Rufes. Es ist das einzige Tier im Madidi, welches mit www.goldenpalacemonkey.com über eine eigene Webseite verfügt. Denn dank eines nordamerikanischen Online-Casinos heißt es jetzt „GoldenPalace.com-Monkey“ – oder in feinstem Wissenschaftslatein „Callicebus aureipalatii“.

Am 3. März 2005 ersteigerte sich die virtuelle Spielbank aus den USA für 650.000 US-Dollar das Recht, dieses nur dreißig Zentimeter große Springäffchen zu taufen. Die Idee für diese ungewöhnliche Namensvergabe hatten Forscher der Wildlife Conservation Society (WCS), die das scheue Tierchen mit dem hübschen Goldschopf als eigenständige Springaffenart identifiziert hatten. „So wurde das Internet zu einem wesentlichen Schutzfaktor für diesen Affen und den Nationalpark“, lobt der Präsident der New Yorker Umweltorganisation. Der hohe Betrag kommt der Stiftung für die Entwicklung der Schutzgebiete Boliviens (Fundesnap) in La Paz zugute.

Sie kann das Geld gut gebrauchen, denn fast ihr gesamtes Budget für die Nationalparks wird von ausländischen Geldgebern – allen voran der Weltbank und der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – bestritten. Allein für die Verwaltung des Madidi muss die Stiftung jährlich eine halbe Million US-Dollar aufwenden.

Auf „Luca Luca“ zu treffen, ist beim Aufenthalt in der Chalalán-Lodge eher unwahrscheinlich. Doch auch ohne den flauschigen Promiprimaten ist das dortige Tierleben ziemlich spannend. Es lässt sich besonders gut bei einer abendlichen Ruderpartie auf der nahen Laguna Chalalán bestaunen. Während das Boot langsam über das stille Gewässer gleitet, flitzen Eisvögel und Tukane davon. Ein Kaiman verharrt wie versteinert im Schlamm, die Augen hypnotisierend auf das trübe Wasser gerichtet. Braune Kapuzineraffen springen in den Baumkronen zum Dinner. Den Schwanz um einen Ast gekringelt, stopft sich ein Affenbaby Früchte ins Maul – Szenen, wie sie Rudyard Kipling nicht besser in seinem Dschungelbuch hätte schildern können.

MARTIN H. PETRICH ist freier Journalist und Reisebuchautor. Er lebt in Berlin

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