: Wut über Satire oder Geldgier?
16-Jähriger gesteht Priestermord im türkischen Trabzon. Spekulationen über das Motiv
ISTANBUL taz ■ Auch einen Tag nach der Festnahme des mutmaßlichen Mörders des italienischen Priesters in der Türkei besteht Unklarheit über das Tatmotiv. Nach Angaben der Polizei in der Schwarzmeerstadt Trabzon ist der 16-Jährige geständig, über die Motive gibt es aber unterschiedliche, bislang allesamt unbestätigte Versionen.
So berichtete der Nachrichtenkanal NTV nach der Festnahme, der Jugendliche hätte ausgesagt, aus Wut über die Mohammed-Karikaturen Andrea Santoro erschossen zu haben. Weitere bekannt gewordene Details lassen aber starke Zweifel aufkommen, dass das Verbrechen in spontaner Wut verübt wurde.
So berichtet die seriöse Tageszeitung Cumhuriyet heute, der Priester habe den Jugendlichen offenbar deshalb bedenkenlos in die Kirche eingelassen, weil er ihn länger kannte. Der Junge habe öfter die Messe besucht und sei von dem Priester mit Geld unterstützt worden. Er habe mehrmals 100 Dollar bekommen und das als Belohnung für den Kirchenbesuch verstanden. Am letzten Sonntag habe er vier andere Jugendliche mitgebracht und 500 Dollar gefordert. Der Priester habe diese Summe verweigert, was der Anlass für den Mord gewesen sei.
Das Massenblatt Hürriyet verweist darauf, dass der Mord mit einer in der Türkei seltenen Waffe, einer Sig-Sauer-Pistole, verübt wurde. Dies Pistole habe dem älteren Bruder des Jugendlichen gehört, was darauf hindeute, dass dieser vielleicht im Auftrag – der Pfarrer soll sich mit der Mafia angelegt haben – gehandelt habe. Zudem sind Jugendliche aus dem nationalistischen Milieu, zu dem auch der mutmaßliche Täter gehört, in der Türkei derzeit von einem Film über eine Art türkischen Rambo im Irak mehr aufgeputscht als durch den Karikaturenstreit. Der Film spielt mit antiamerikanischen und antichristlichen Klischees.
Die Leiche des Priesters wurde gestern nach Italien überführt. Um erneut ihre Verurteilung des Mordes auszudrücken, stellte die türkische Regierung eine Maschine der Luftwaffe zur Verfügung, und der Gouverneur von Istanbul, begleitet vom Mufti von Istanbul, gab Andrea Santoro das letzte Geleit.
Premier Erdogan beteuerte, die Türkei sei tolerant gegenüber allen Religionen. „Mit unserem Beitritt zur EU wollen wir ein Zeichen gegen die Konfrontation zwischen Ost und West setzen.“ Erdogan reagierte damit auf einen italienischen Minister aus der Lega Nord, der gefordert hatte, nach dem Mord die Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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